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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Verlieh ihren Empfindungen einen Stachel, eine Schärfe, die Rebekka doch
endlich überzeugten, daß es kaum möglich sein würde, sie je umzustimmen.
Dazu kam der Schmerz über den Verlust der kleinen Rahel, und Salome be¬
schuldigte David offen -- beurteilte sie ihn doch nach sich selbst --, das Kind
dem gleichen Tode geweiht zu haben, um sich an ihr für alles, was er ihr
vorwerfen konnte, zu rächen.

Wenn sie über ihr Unglück, das Unrecht, die Beleidigungen und Krän¬
kungen, die ihr angethan waren, nachdachte, so glühten ihre Wangen dunkler,
ihr Atem ging rascher, und oft schnitt der Husten ihr die harte Rede kurz ab,
mit der sie der Mutter ihres Mannes weh thun wollte. Tagsüber konnte sie
ihren Gefühlen Worte leihen, aber in der Nacht packte sie oft ein so wilder
Zorn gegen David, gegen Nebeka, gegen die ganze Welt, daß sie nicht anders
konnte, als hinauslaufen und sich in der kühlern Nachtluft draußen beruhigen
und erholen. Der Krankheitskeim, der in ihr gelegen hatte und durch ihren
Gang zum Rabbi in jener folgenschweren Nacht gezeitigt worden war, konnte
nicht mehr erstickt werden. Ihr Schicksal schien wohl geeignet, Salome krank
zu machen, doch an ihren Gefühlen, welcher Art sie auch sein mochten, starben diese
Menschen nicht; so wartete man gleichmütig, daß Salome sich erholen werde.

Dann kam eine Zeit, wo sie sich zu erholen schien, wo sie sogar milder
und ruhiger wurde, und Rebekka davon träumte, es werde ein Augenblick kommen,
wo sie die Erinnerung an ihren Sohn wieder Pflegen könne, ohne Salomes
Zorn heraufzubeschwören, wo sie sogar in der kleinen Rebekka das Andenken
an ihren Vater würde wecken und erhalten dürfen. Gab es doch kein Band,
welches dem zwischen Eltern und Kindern gleich kam! Nie hatte sie früher so
empfunden, daß Eltern und Kinder, um ganz glücklich zu sein, in den wichtigsten
Lebensfragen eines Sinnes sein müssen. Und trotzdem erhob sich jetzt der Ruf
in ihrem Herzen: Ach daß er lebte! Wenn auch als Christ!

Abend für Abend lenkte sie ihre Schritte nach dem Teiche, und in dem
Flüstern des Schilfes glaubte sie seinen letzten Gruß zu hören, seine unver¬
geßlich/Stimme zu erkennen.

Sie setzte sich dann auf einen breiten Stein und blickte mit ihren von nie
versiegenden Thränen getrübten Augen auf die Nebel, die auf dem Wasser hin
und her schwankten.

So saß sie in der Abenddämmerung, in tiefe Gedanken versunken. Ihr
weißes Kopftuch war durch ein schwarzes ersetzt, aus dem ihr vergrämtes Antlitz
noch bleicher als gewöhnlich hervorsah. Verloren in Erinnerung an den, der
nie aus ihrem Sinne schwand, hatte sie das Näherkommen eines Reiters über¬
hört und richtete sich plötzlich auf, sodaß das Pferd scheute und zur Seite sprang.

Halloh! Wer streicht hier so spät herum und macht die Pferde wild? rief
eine frische, jugendliche Stimme.

Rebekka stieß einen Ruf aus und sprang vorwärts.


David Beronski.

Verlieh ihren Empfindungen einen Stachel, eine Schärfe, die Rebekka doch
endlich überzeugten, daß es kaum möglich sein würde, sie je umzustimmen.
Dazu kam der Schmerz über den Verlust der kleinen Rahel, und Salome be¬
schuldigte David offen — beurteilte sie ihn doch nach sich selbst —, das Kind
dem gleichen Tode geweiht zu haben, um sich an ihr für alles, was er ihr
vorwerfen konnte, zu rächen.

Wenn sie über ihr Unglück, das Unrecht, die Beleidigungen und Krän¬
kungen, die ihr angethan waren, nachdachte, so glühten ihre Wangen dunkler,
ihr Atem ging rascher, und oft schnitt der Husten ihr die harte Rede kurz ab,
mit der sie der Mutter ihres Mannes weh thun wollte. Tagsüber konnte sie
ihren Gefühlen Worte leihen, aber in der Nacht packte sie oft ein so wilder
Zorn gegen David, gegen Nebeka, gegen die ganze Welt, daß sie nicht anders
konnte, als hinauslaufen und sich in der kühlern Nachtluft draußen beruhigen
und erholen. Der Krankheitskeim, der in ihr gelegen hatte und durch ihren
Gang zum Rabbi in jener folgenschweren Nacht gezeitigt worden war, konnte
nicht mehr erstickt werden. Ihr Schicksal schien wohl geeignet, Salome krank
zu machen, doch an ihren Gefühlen, welcher Art sie auch sein mochten, starben diese
Menschen nicht; so wartete man gleichmütig, daß Salome sich erholen werde.

Dann kam eine Zeit, wo sie sich zu erholen schien, wo sie sogar milder
und ruhiger wurde, und Rebekka davon träumte, es werde ein Augenblick kommen,
wo sie die Erinnerung an ihren Sohn wieder Pflegen könne, ohne Salomes
Zorn heraufzubeschwören, wo sie sogar in der kleinen Rebekka das Andenken
an ihren Vater würde wecken und erhalten dürfen. Gab es doch kein Band,
welches dem zwischen Eltern und Kindern gleich kam! Nie hatte sie früher so
empfunden, daß Eltern und Kinder, um ganz glücklich zu sein, in den wichtigsten
Lebensfragen eines Sinnes sein müssen. Und trotzdem erhob sich jetzt der Ruf
in ihrem Herzen: Ach daß er lebte! Wenn auch als Christ!

Abend für Abend lenkte sie ihre Schritte nach dem Teiche, und in dem
Flüstern des Schilfes glaubte sie seinen letzten Gruß zu hören, seine unver¬
geßlich/Stimme zu erkennen.

Sie setzte sich dann auf einen breiten Stein und blickte mit ihren von nie
versiegenden Thränen getrübten Augen auf die Nebel, die auf dem Wasser hin
und her schwankten.

So saß sie in der Abenddämmerung, in tiefe Gedanken versunken. Ihr
weißes Kopftuch war durch ein schwarzes ersetzt, aus dem ihr vergrämtes Antlitz
noch bleicher als gewöhnlich hervorsah. Verloren in Erinnerung an den, der
nie aus ihrem Sinne schwand, hatte sie das Näherkommen eines Reiters über¬
hört und richtete sich plötzlich auf, sodaß das Pferd scheute und zur Seite sprang.

Halloh! Wer streicht hier so spät herum und macht die Pferde wild? rief
eine frische, jugendliche Stimme.

Rebekka stieß einen Ruf aus und sprang vorwärts.


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[0426] David Beronski. Verlieh ihren Empfindungen einen Stachel, eine Schärfe, die Rebekka doch endlich überzeugten, daß es kaum möglich sein würde, sie je umzustimmen. Dazu kam der Schmerz über den Verlust der kleinen Rahel, und Salome be¬ schuldigte David offen — beurteilte sie ihn doch nach sich selbst —, das Kind dem gleichen Tode geweiht zu haben, um sich an ihr für alles, was er ihr vorwerfen konnte, zu rächen. Wenn sie über ihr Unglück, das Unrecht, die Beleidigungen und Krän¬ kungen, die ihr angethan waren, nachdachte, so glühten ihre Wangen dunkler, ihr Atem ging rascher, und oft schnitt der Husten ihr die harte Rede kurz ab, mit der sie der Mutter ihres Mannes weh thun wollte. Tagsüber konnte sie ihren Gefühlen Worte leihen, aber in der Nacht packte sie oft ein so wilder Zorn gegen David, gegen Nebeka, gegen die ganze Welt, daß sie nicht anders konnte, als hinauslaufen und sich in der kühlern Nachtluft draußen beruhigen und erholen. Der Krankheitskeim, der in ihr gelegen hatte und durch ihren Gang zum Rabbi in jener folgenschweren Nacht gezeitigt worden war, konnte nicht mehr erstickt werden. Ihr Schicksal schien wohl geeignet, Salome krank zu machen, doch an ihren Gefühlen, welcher Art sie auch sein mochten, starben diese Menschen nicht; so wartete man gleichmütig, daß Salome sich erholen werde. Dann kam eine Zeit, wo sie sich zu erholen schien, wo sie sogar milder und ruhiger wurde, und Rebekka davon träumte, es werde ein Augenblick kommen, wo sie die Erinnerung an ihren Sohn wieder Pflegen könne, ohne Salomes Zorn heraufzubeschwören, wo sie sogar in der kleinen Rebekka das Andenken an ihren Vater würde wecken und erhalten dürfen. Gab es doch kein Band, welches dem zwischen Eltern und Kindern gleich kam! Nie hatte sie früher so empfunden, daß Eltern und Kinder, um ganz glücklich zu sein, in den wichtigsten Lebensfragen eines Sinnes sein müssen. Und trotzdem erhob sich jetzt der Ruf in ihrem Herzen: Ach daß er lebte! Wenn auch als Christ! Abend für Abend lenkte sie ihre Schritte nach dem Teiche, und in dem Flüstern des Schilfes glaubte sie seinen letzten Gruß zu hören, seine unver¬ geßlich/Stimme zu erkennen. Sie setzte sich dann auf einen breiten Stein und blickte mit ihren von nie versiegenden Thränen getrübten Augen auf die Nebel, die auf dem Wasser hin und her schwankten. So saß sie in der Abenddämmerung, in tiefe Gedanken versunken. Ihr weißes Kopftuch war durch ein schwarzes ersetzt, aus dem ihr vergrämtes Antlitz noch bleicher als gewöhnlich hervorsah. Verloren in Erinnerung an den, der nie aus ihrem Sinne schwand, hatte sie das Näherkommen eines Reiters über¬ hört und richtete sich plötzlich auf, sodaß das Pferd scheute und zur Seite sprang. Halloh! Wer streicht hier so spät herum und macht die Pferde wild? rief eine frische, jugendliche Stimme. Rebekka stieß einen Ruf aus und sprang vorwärts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/426>, abgerufen am 28.09.2024.