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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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GW böser Geist im heutigen England.

' ""Weisführung dafür"-^De sich hören. Ehe, wir -ihm aber darin folgen, betrachten
.Wik..Wszugsweise seinen Versuch, das, was mit dem Ausdrucke Carl im allge¬
meinen bezeichnet Wird, festzustellen. Carlyle hat ihn irgendwo als "organisirte
Heuchelei" erklM/'Ohitinan behandelt zunächst in einem Kapitel eine dem Carl
verwandte engliscMHi^enschaft, den Pharisäismus, von dem er sagt: "Er ist
das Wesen unsrer individuellen und nationalen Selbstgenügsamkeit . . . eine be-
sondMArt des DüiDH, oberflächlich angesehen ein Nachbar des französischen
Chauvinismus, genauer betrachtet aber etwas wesentlich unsrer Mittelklasse an¬
gehöriges. /. . Daß unsre Presse sich ohne Unterlaß herausnimmt, fremden
Land/rü die Leviten zu lesen, ist vielleicht kein auffallender Zug. . . . Aber in
unstich Versuchen, an unsre pharisäische Selbstschätzung zu glauben, sind wir
einzig. Natürlich giebt es keine Regierungsweise, die unserm parlamentarischen
System gleich käme, kein -Familienleben ist gleich dem unsern und keine Rein¬
lichkeit gleich Her, welche man sich durch Penrs Seife verschafft. . . . Unsre Presse
beglückwünscht periodisch den deutschen Kronprinzen dazu, daß er eine englische
Iran hat. Wir wissen kaum, zu welchen englische,^ Segnungen allen wir nicht
bereit sind, draußen stehenden Glück zu wünschen. Nicht allein in Bezug auf
unser häusliches Leben und seine Reinheit dürfen wir bei Betrachtung unsrer
weniger begünstigten Nachbarn eine pharisäische Genugthuung empfinden. O nein,
die ganze Linie entlang, auf jeder Stufe und Bahn des Lebens läßt unser
Pharisäismus uns jenes höchst wünschenswerte letzte Ziel erreichen, welches im
Gefühle unsrer eignen Überlegenheit besteht. Unsre Pharisäer brauchen von
etwas nur zu sagen, es ist englisch, und sie nehmen es hin als synonhm mit:
es ist das Rechte. . . . Wir verdrehen die Augen, wenn wir im Auslande Frauen
Feldarbeiten verrichten sehen, während wir die Augen vor der Entwürdigung
der Weiblichkeit in allem und jedem unsrer großen gewerblichen Mittelpunkte
verschließen, Londons, wo sie besonders stark ist, nicht zu gedenken. . . . Wir
bemitleiden die armen Hunde, die wir auf dem Festlande vor kleine Karren ge¬
schirrt sehen, und machen uns heuchlerisch glauben, unser Mitleid sei Folge von
Mitgefühl mit dem getreuen Vierfüßler, während es in Wirklichkeit nichts andres
ist als die Folge eines Vischers von unsrer aristokratischen Gesetzgebung, welche
Anstoß daran nahm, daß Vierfüßlern, die für das Jagdvergnügen unsrer bessern
Klassen vorbehalten sind, zu knechtischen Beschäftigungen verwendet werden. Ja
unsre höhere Moralität ist stets ein beliebter Futtertrog für deu heuchelnden
Zweifüßler gewesen und hat uns von Zeit zu Zeit recht lächerlich erscheinen
lassen."

Whitmcm erblickt den englischen Pharisäismus überall, auf der Kanzel, in
der Presse, namentlich in der limss, endlich auch am Hofe, z. B. in den
Schreiben, welche die Königin Viktoria und ihr Gemahl während des Krim-
krieges an den König von Preußen richteten, deren ermahnender Ton gegen
den Souverän einer befreundeten Großmacht geradezu erschrecken muß, und die


GW böser Geist im heutigen England.

' »"Weisführung dafür"-^De sich hören. Ehe, wir -ihm aber darin folgen, betrachten
.Wik..Wszugsweise seinen Versuch, das, was mit dem Ausdrucke Carl im allge¬
meinen bezeichnet Wird, festzustellen. Carlyle hat ihn irgendwo als „organisirte
Heuchelei" erklM/'Ohitinan behandelt zunächst in einem Kapitel eine dem Carl
verwandte engliscMHi^enschaft, den Pharisäismus, von dem er sagt: „Er ist
das Wesen unsrer individuellen und nationalen Selbstgenügsamkeit . . . eine be-
sondMArt des DüiDH, oberflächlich angesehen ein Nachbar des französischen
Chauvinismus, genauer betrachtet aber etwas wesentlich unsrer Mittelklasse an¬
gehöriges. /. . Daß unsre Presse sich ohne Unterlaß herausnimmt, fremden
Land/rü die Leviten zu lesen, ist vielleicht kein auffallender Zug. . . . Aber in
unstich Versuchen, an unsre pharisäische Selbstschätzung zu glauben, sind wir
einzig. Natürlich giebt es keine Regierungsweise, die unserm parlamentarischen
System gleich käme, kein -Familienleben ist gleich dem unsern und keine Rein¬
lichkeit gleich Her, welche man sich durch Penrs Seife verschafft. . . . Unsre Presse
beglückwünscht periodisch den deutschen Kronprinzen dazu, daß er eine englische
Iran hat. Wir wissen kaum, zu welchen englische,^ Segnungen allen wir nicht
bereit sind, draußen stehenden Glück zu wünschen. Nicht allein in Bezug auf
unser häusliches Leben und seine Reinheit dürfen wir bei Betrachtung unsrer
weniger begünstigten Nachbarn eine pharisäische Genugthuung empfinden. O nein,
die ganze Linie entlang, auf jeder Stufe und Bahn des Lebens läßt unser
Pharisäismus uns jenes höchst wünschenswerte letzte Ziel erreichen, welches im
Gefühle unsrer eignen Überlegenheit besteht. Unsre Pharisäer brauchen von
etwas nur zu sagen, es ist englisch, und sie nehmen es hin als synonhm mit:
es ist das Rechte. . . . Wir verdrehen die Augen, wenn wir im Auslande Frauen
Feldarbeiten verrichten sehen, während wir die Augen vor der Entwürdigung
der Weiblichkeit in allem und jedem unsrer großen gewerblichen Mittelpunkte
verschließen, Londons, wo sie besonders stark ist, nicht zu gedenken. . . . Wir
bemitleiden die armen Hunde, die wir auf dem Festlande vor kleine Karren ge¬
schirrt sehen, und machen uns heuchlerisch glauben, unser Mitleid sei Folge von
Mitgefühl mit dem getreuen Vierfüßler, während es in Wirklichkeit nichts andres
ist als die Folge eines Vischers von unsrer aristokratischen Gesetzgebung, welche
Anstoß daran nahm, daß Vierfüßlern, die für das Jagdvergnügen unsrer bessern
Klassen vorbehalten sind, zu knechtischen Beschäftigungen verwendet werden. Ja
unsre höhere Moralität ist stets ein beliebter Futtertrog für deu heuchelnden
Zweifüßler gewesen und hat uns von Zeit zu Zeit recht lächerlich erscheinen
lassen."

Whitmcm erblickt den englischen Pharisäismus überall, auf der Kanzel, in
der Presse, namentlich in der limss, endlich auch am Hofe, z. B. in den
Schreiben, welche die Königin Viktoria und ihr Gemahl während des Krim-
krieges an den König von Preußen richteten, deren ermahnender Ton gegen
den Souverän einer befreundeten Großmacht geradezu erschrecken muß, und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/389>, abgerufen am 21.06.2024.