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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Lin böser Geist im heutigen England.

Herzens, ja dem alles, was irgend unmittelbar Wahrhaftigst'des Herzens h
mehr oder minder ein Greuel ist, redet stets in amtlicher Sprache, einenge-,
fütterten, ja bisweilen aus Flicken zusammengenähten DiaMte, jedoch immer
mit einem gewissen Körper im Innern, nie mit keinem.. -Der Gebrauch der
Menschenzunge war damals ein andrer, als er heutzntägeMt. Ich rate dem
Leser, all das Zeug von Carl, Täuschung, MnechiaveSismus und Mgleicheii
entschieden an der Schwelle liegen zu lassen. Er wird Mg -thun, zu cMiben-,
daß diese Puritaner wirklich meinten, was sie sagen, und unbefangen zu-ver¬
suchen, ob er herausbringen kann, was es ist. Allmählich wird sich ein wun¬
derbar großartiges Phänomen vor seinen erstaunten Augen erheben. Eine'prak¬
tische Welt, gegründet auf den Glauben an Gott, wie ihn viele Jahrtaich"nde
zuvor geschaut hatten, wie ihn aber niemals, ein Jahrhundert seitdem zu sehen
begnadigt gewesen ist. Es war das letzte Aufleuchten- desselben in unsrer Welt,
dieser englische Puritanismus, sehr groß, sehr glorreich, tragisch Mnug für alle
denkenden Herzen, die aus diesen unsern Tagen auf ihn Hinblicken.-"

Endlich, Band III, S.^103, nachdem er bemerkt hat, die Geschichte Crom-
wells und seiner Puritaner sei "das Reichste und Edelste, was England bisher
habe," fährt der kannta-lor temxoris a"ti fort: "und die Grundlage, von der
England wieder auszugehen haben wird, wenn England wieder gottwärts
ringen soll statt einzig teufelwürts und mammonwärts. Man hat es zwei Jahr¬
hunderte mit dem behaglichen heitern Elemente des Carl> versucht, und es ist
mißlungen. Ein heiteres Element, eine allgemeine vollständige Lebensatmo¬
sphäre von Carl in der Religion, Carl in der Politik, Carl allenthalben, wo
England vergeblich in vergnüglicher, sänftiglich redender Weise zu leben hoffte --
England befindet sich jetzt auf dem Punkte, darin zu ersticken, große Massen
seines Volkes sind nicht mehr imstande, in diesem heitern Elemente sich auch
nur Kartoffeln zu verschaffen, England wird aus dem herauskommen müssen;
England ist endlich auch schrecklich erwacht, macht sich allenthalben bereit, heraus¬
zukommen. England wird, dünkt mich, indem seine Amazonenaugen noch einmal
fremdartiges Himmelslicht blitzen, wie Phöbus Apollo verhängnisvoll den
pythischen Sumpfschlangen, seine Hand und sein Herz erheben und schwören:
Beim Ewigen, ich will darin nicht sterben! Ich hatte einst Männer, die
Besseres wußten als das."

Nach Carlyles Ansicht wäre also die Nationaluntugend des Briten oder
der am häufigsten und deutlichsten erscheinende unter seinen bösen Geistern keine
Erbschaft, welche die Puritaner der Zeit Cromwells hinterlassen hätten, sondern
vielmehr ein Erzeugnis von neuerm Datum, eine Frucht späterer Verderbnis,
mit welcher verglichen jene als goldnes Zeitalter erschiene. Wie aber ist der
Carl entstanden, und wer oder was trägt die Schuld dabei? Whitmcm beant¬
wortet diese Fragen mit der Behauptung: "Unser gesellschaftlicher Carl ist die
Folge der weltlichen Form unsrer protestantischen Staatskirche," und feine Be-


Lin böser Geist im heutigen England.

Herzens, ja dem alles, was irgend unmittelbar Wahrhaftigst'des Herzens h
mehr oder minder ein Greuel ist, redet stets in amtlicher Sprache, einenge-,
fütterten, ja bisweilen aus Flicken zusammengenähten DiaMte, jedoch immer
mit einem gewissen Körper im Innern, nie mit keinem.. -Der Gebrauch der
Menschenzunge war damals ein andrer, als er heutzntägeMt. Ich rate dem
Leser, all das Zeug von Carl, Täuschung, MnechiaveSismus und Mgleicheii
entschieden an der Schwelle liegen zu lassen. Er wird Mg -thun, zu cMiben-,
daß diese Puritaner wirklich meinten, was sie sagen, und unbefangen zu-ver¬
suchen, ob er herausbringen kann, was es ist. Allmählich wird sich ein wun¬
derbar großartiges Phänomen vor seinen erstaunten Augen erheben. Eine'prak¬
tische Welt, gegründet auf den Glauben an Gott, wie ihn viele Jahrtaich«nde
zuvor geschaut hatten, wie ihn aber niemals, ein Jahrhundert seitdem zu sehen
begnadigt gewesen ist. Es war das letzte Aufleuchten- desselben in unsrer Welt,
dieser englische Puritanismus, sehr groß, sehr glorreich, tragisch Mnug für alle
denkenden Herzen, die aus diesen unsern Tagen auf ihn Hinblicken.-"

Endlich, Band III, S.^103, nachdem er bemerkt hat, die Geschichte Crom-
wells und seiner Puritaner sei „das Reichste und Edelste, was England bisher
habe," fährt der kannta-lor temxoris a«ti fort: „und die Grundlage, von der
England wieder auszugehen haben wird, wenn England wieder gottwärts
ringen soll statt einzig teufelwürts und mammonwärts. Man hat es zwei Jahr¬
hunderte mit dem behaglichen heitern Elemente des Carl> versucht, und es ist
mißlungen. Ein heiteres Element, eine allgemeine vollständige Lebensatmo¬
sphäre von Carl in der Religion, Carl in der Politik, Carl allenthalben, wo
England vergeblich in vergnüglicher, sänftiglich redender Weise zu leben hoffte —
England befindet sich jetzt auf dem Punkte, darin zu ersticken, große Massen
seines Volkes sind nicht mehr imstande, in diesem heitern Elemente sich auch
nur Kartoffeln zu verschaffen, England wird aus dem herauskommen müssen;
England ist endlich auch schrecklich erwacht, macht sich allenthalben bereit, heraus¬
zukommen. England wird, dünkt mich, indem seine Amazonenaugen noch einmal
fremdartiges Himmelslicht blitzen, wie Phöbus Apollo verhängnisvoll den
pythischen Sumpfschlangen, seine Hand und sein Herz erheben und schwören:
Beim Ewigen, ich will darin nicht sterben! Ich hatte einst Männer, die
Besseres wußten als das."

Nach Carlyles Ansicht wäre also die Nationaluntugend des Briten oder
der am häufigsten und deutlichsten erscheinende unter seinen bösen Geistern keine
Erbschaft, welche die Puritaner der Zeit Cromwells hinterlassen hätten, sondern
vielmehr ein Erzeugnis von neuerm Datum, eine Frucht späterer Verderbnis,
mit welcher verglichen jene als goldnes Zeitalter erschiene. Wie aber ist der
Carl entstanden, und wer oder was trägt die Schuld dabei? Whitmcm beant¬
wortet diese Fragen mit der Behauptung: „Unser gesellschaftlicher Carl ist die
Folge der weltlichen Form unsrer protestantischen Staatskirche," und feine Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/388>, abgerufen am 21.06.2024.