Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vavid Beronski.

Dadurch, daß du Rüben verzeihst, antwortete sie, ihr Antlitz an Rahel
verbergend, als sie diese wieder forttrug.

Mein Bruder! begann der Geistliche am Abend. Der Heiland hat dich
mächtig und gncidiglich geleitet und beschützt. Wenn deine Kräfte gewachsen sind,
womit willst du ihm danken? Wie willst du dein Leben einrichten, um aller Welt
seine Gnade zu verkündigen, seine Barmherzigkeit zu loben und ihn zu preisen?

Was kann ich thun? sagte David traurig und mit bebenden Lippen. Mein
Körper fühlt sich genesen, die Bande der Erschlaffung, welche Erschöpfung und
Entbehrung aller Art um meinen Geist geschlagen hatten, weichen, aber nie
kann ich mich von jenen Banden lösen -- o, mein Gott! Nie darf ich wagen,
mich unter die zu mischen, die ihn, den Ewigen, laut preisen dürfen. Sie nennen
mich Bruder, würden Sie das noch thun, wenn Sie alles wüßten? Er schlug
die Hände vor sein Antlitz und schluchzte laut.

Und wäre deine Sünde rot wie Blut, so will ich sie schneeweiß machen,
sagte der Prediger ernst. Mein Bruder, ist dein Vertrauen auf deines Heilandes
Gnade so gering? Wenn je einer seine göttliche Führung klar und deutlich
gesehen hat, so bist du es. Wohl sind wir alle nicht wert seiner göttlichen
Güte und Barmherzigkeit, aber je mehr wir das erkennen, umso inniger muß
es uns zu ihm hinziehen. Und ist jemand berufen, der Verkünder solcher
Barmherzigkeit zu sein, so bist du es. Werde ein Prediger seines Wortes in
der Gemeinde. "

Wie könnte ich wagen, eine Gemeinde öffentlich zu belehren, mit dem Be-
wußtsein -- o wenden Sie sich nicht ab! Er ergriff des Predigers Hand und
flüsterte leise: daß ein Fluch auf mir ruht! Würden nicht die Segensworte auf
meinen Lippen stocken, wenn ich sie aussprechen wollte? Ich, der ich unter
einem Fluche lebe!

Das ist finsterer Aberglaube! rief der Geistliche zürnend. Auf keines
Menschen Leben lastet ein Fluch, nur unsre Sünden können zum Fluch für uns
werden. Gott, der Allgütige, der Allerbarmer, hat auf keines seiner Geschöpfe
einen Fluch gelegt, der es von seiner Gnade zurückhielte.

Hören Sie mich! bat David. Sie wissen nicht, was ich meine. Wie sehnt
sich meine Seele darnach, den Dank für die Befreiung von dem Joche der
Blindheit dadurch zu zeigen, daß ich mein Leben dem göttlichen Dienste aus¬
schließlich widmete, aber ich kann es nicht, ich darf es nicht, denn -- der Fluch
meiner Mutter liegt auf mir. Wie darf ein Mann, dessen Dasein durch die,
welche ihm das Leben gegeben und die ein Recht auf sein Leben Hot, auf ewig
alles Lichtes, aller Freude beraubt ist, wie darf der sich anmaßen, ein Verkünder
göttlicher Wahrheiten zu sein, ein Träger ewiger, göttlicher Geheimnisse? Unter
solchem Drucke leben, o Sie wissen nicht, was das heißt! Wie ein Abgrund
thut es sich zwischen mir und dem ersehnten, heiß erstrebten Ziele auf und wird
mich verschlingen!


Grenzboten I. 1S83. 47
Vavid Beronski.

Dadurch, daß du Rüben verzeihst, antwortete sie, ihr Antlitz an Rahel
verbergend, als sie diese wieder forttrug.

Mein Bruder! begann der Geistliche am Abend. Der Heiland hat dich
mächtig und gncidiglich geleitet und beschützt. Wenn deine Kräfte gewachsen sind,
womit willst du ihm danken? Wie willst du dein Leben einrichten, um aller Welt
seine Gnade zu verkündigen, seine Barmherzigkeit zu loben und ihn zu preisen?

Was kann ich thun? sagte David traurig und mit bebenden Lippen. Mein
Körper fühlt sich genesen, die Bande der Erschlaffung, welche Erschöpfung und
Entbehrung aller Art um meinen Geist geschlagen hatten, weichen, aber nie
kann ich mich von jenen Banden lösen — o, mein Gott! Nie darf ich wagen,
mich unter die zu mischen, die ihn, den Ewigen, laut preisen dürfen. Sie nennen
mich Bruder, würden Sie das noch thun, wenn Sie alles wüßten? Er schlug
die Hände vor sein Antlitz und schluchzte laut.

Und wäre deine Sünde rot wie Blut, so will ich sie schneeweiß machen,
sagte der Prediger ernst. Mein Bruder, ist dein Vertrauen auf deines Heilandes
Gnade so gering? Wenn je einer seine göttliche Führung klar und deutlich
gesehen hat, so bist du es. Wohl sind wir alle nicht wert seiner göttlichen
Güte und Barmherzigkeit, aber je mehr wir das erkennen, umso inniger muß
es uns zu ihm hinziehen. Und ist jemand berufen, der Verkünder solcher
Barmherzigkeit zu sein, so bist du es. Werde ein Prediger seines Wortes in
der Gemeinde. „

Wie könnte ich wagen, eine Gemeinde öffentlich zu belehren, mit dem Be-
wußtsein — o wenden Sie sich nicht ab! Er ergriff des Predigers Hand und
flüsterte leise: daß ein Fluch auf mir ruht! Würden nicht die Segensworte auf
meinen Lippen stocken, wenn ich sie aussprechen wollte? Ich, der ich unter
einem Fluche lebe!

Das ist finsterer Aberglaube! rief der Geistliche zürnend. Auf keines
Menschen Leben lastet ein Fluch, nur unsre Sünden können zum Fluch für uns
werden. Gott, der Allgütige, der Allerbarmer, hat auf keines seiner Geschöpfe
einen Fluch gelegt, der es von seiner Gnade zurückhielte.

Hören Sie mich! bat David. Sie wissen nicht, was ich meine. Wie sehnt
sich meine Seele darnach, den Dank für die Befreiung von dem Joche der
Blindheit dadurch zu zeigen, daß ich mein Leben dem göttlichen Dienste aus¬
schließlich widmete, aber ich kann es nicht, ich darf es nicht, denn — der Fluch
meiner Mutter liegt auf mir. Wie darf ein Mann, dessen Dasein durch die,
welche ihm das Leben gegeben und die ein Recht auf sein Leben Hot, auf ewig
alles Lichtes, aller Freude beraubt ist, wie darf der sich anmaßen, ein Verkünder
göttlicher Wahrheiten zu sein, ein Träger ewiger, göttlicher Geheimnisse? Unter
solchem Drucke leben, o Sie wissen nicht, was das heißt! Wie ein Abgrund
thut es sich zwischen mir und dem ersehnten, heiß erstrebten Ziele auf und wird
mich verschlingen!


Grenzboten I. 1S83. 47
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202476"/>
            <fw type="header" place="top"> Vavid Beronski.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1404"> Dadurch, daß du Rüben verzeihst, antwortete sie, ihr Antlitz an Rahel<lb/>
verbergend, als sie diese wieder forttrug.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1405"> Mein Bruder! begann der Geistliche am Abend. Der Heiland hat dich<lb/>
mächtig und gncidiglich geleitet und beschützt. Wenn deine Kräfte gewachsen sind,<lb/>
womit willst du ihm danken? Wie willst du dein Leben einrichten, um aller Welt<lb/>
seine Gnade zu verkündigen, seine Barmherzigkeit zu loben und ihn zu preisen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1406"> Was kann ich thun? sagte David traurig und mit bebenden Lippen. Mein<lb/>
Körper fühlt sich genesen, die Bande der Erschlaffung, welche Erschöpfung und<lb/>
Entbehrung aller Art um meinen Geist geschlagen hatten, weichen, aber nie<lb/>
kann ich mich von jenen Banden lösen &#x2014; o, mein Gott! Nie darf ich wagen,<lb/>
mich unter die zu mischen, die ihn, den Ewigen, laut preisen dürfen. Sie nennen<lb/>
mich Bruder, würden Sie das noch thun, wenn Sie alles wüßten? Er schlug<lb/>
die Hände vor sein Antlitz und schluchzte laut.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1407"> Und wäre deine Sünde rot wie Blut, so will ich sie schneeweiß machen,<lb/>
sagte der Prediger ernst. Mein Bruder, ist dein Vertrauen auf deines Heilandes<lb/>
Gnade so gering? Wenn je einer seine göttliche Führung klar und deutlich<lb/>
gesehen hat, so bist du es. Wohl sind wir alle nicht wert seiner göttlichen<lb/>
Güte und Barmherzigkeit, aber je mehr wir das erkennen, umso inniger muß<lb/>
es uns zu ihm hinziehen. Und ist jemand berufen, der Verkünder solcher<lb/>
Barmherzigkeit zu sein, so bist du es. Werde ein Prediger seines Wortes in<lb/>
der Gemeinde. &#x201E;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1408"> Wie könnte ich wagen, eine Gemeinde öffentlich zu belehren, mit dem Be-<lb/>
wußtsein &#x2014; o wenden Sie sich nicht ab! Er ergriff des Predigers Hand und<lb/>
flüsterte leise: daß ein Fluch auf mir ruht! Würden nicht die Segensworte auf<lb/>
meinen Lippen stocken, wenn ich sie aussprechen wollte? Ich, der ich unter<lb/>
einem Fluche lebe!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1409"> Das ist finsterer Aberglaube! rief der Geistliche zürnend. Auf keines<lb/>
Menschen Leben lastet ein Fluch, nur unsre Sünden können zum Fluch für uns<lb/>
werden. Gott, der Allgütige, der Allerbarmer, hat auf keines seiner Geschöpfe<lb/>
einen Fluch gelegt, der es von seiner Gnade zurückhielte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1410"> Hören Sie mich! bat David. Sie wissen nicht, was ich meine. Wie sehnt<lb/>
sich meine Seele darnach, den Dank für die Befreiung von dem Joche der<lb/>
Blindheit dadurch zu zeigen, daß ich mein Leben dem göttlichen Dienste aus¬<lb/>
schließlich widmete, aber ich kann es nicht, ich darf es nicht, denn &#x2014; der Fluch<lb/>
meiner Mutter liegt auf mir. Wie darf ein Mann, dessen Dasein durch die,<lb/>
welche ihm das Leben gegeben und die ein Recht auf sein Leben Hot, auf ewig<lb/>
alles Lichtes, aller Freude beraubt ist, wie darf der sich anmaßen, ein Verkünder<lb/>
göttlicher Wahrheiten zu sein, ein Träger ewiger, göttlicher Geheimnisse? Unter<lb/>
solchem Drucke leben, o Sie wissen nicht, was das heißt! Wie ein Abgrund<lb/>
thut es sich zwischen mir und dem ersehnten, heiß erstrebten Ziele auf und wird<lb/>
mich verschlingen!</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1S83. 47</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0377] Vavid Beronski. Dadurch, daß du Rüben verzeihst, antwortete sie, ihr Antlitz an Rahel verbergend, als sie diese wieder forttrug. Mein Bruder! begann der Geistliche am Abend. Der Heiland hat dich mächtig und gncidiglich geleitet und beschützt. Wenn deine Kräfte gewachsen sind, womit willst du ihm danken? Wie willst du dein Leben einrichten, um aller Welt seine Gnade zu verkündigen, seine Barmherzigkeit zu loben und ihn zu preisen? Was kann ich thun? sagte David traurig und mit bebenden Lippen. Mein Körper fühlt sich genesen, die Bande der Erschlaffung, welche Erschöpfung und Entbehrung aller Art um meinen Geist geschlagen hatten, weichen, aber nie kann ich mich von jenen Banden lösen — o, mein Gott! Nie darf ich wagen, mich unter die zu mischen, die ihn, den Ewigen, laut preisen dürfen. Sie nennen mich Bruder, würden Sie das noch thun, wenn Sie alles wüßten? Er schlug die Hände vor sein Antlitz und schluchzte laut. Und wäre deine Sünde rot wie Blut, so will ich sie schneeweiß machen, sagte der Prediger ernst. Mein Bruder, ist dein Vertrauen auf deines Heilandes Gnade so gering? Wenn je einer seine göttliche Führung klar und deutlich gesehen hat, so bist du es. Wohl sind wir alle nicht wert seiner göttlichen Güte und Barmherzigkeit, aber je mehr wir das erkennen, umso inniger muß es uns zu ihm hinziehen. Und ist jemand berufen, der Verkünder solcher Barmherzigkeit zu sein, so bist du es. Werde ein Prediger seines Wortes in der Gemeinde. „ Wie könnte ich wagen, eine Gemeinde öffentlich zu belehren, mit dem Be- wußtsein — o wenden Sie sich nicht ab! Er ergriff des Predigers Hand und flüsterte leise: daß ein Fluch auf mir ruht! Würden nicht die Segensworte auf meinen Lippen stocken, wenn ich sie aussprechen wollte? Ich, der ich unter einem Fluche lebe! Das ist finsterer Aberglaube! rief der Geistliche zürnend. Auf keines Menschen Leben lastet ein Fluch, nur unsre Sünden können zum Fluch für uns werden. Gott, der Allgütige, der Allerbarmer, hat auf keines seiner Geschöpfe einen Fluch gelegt, der es von seiner Gnade zurückhielte. Hören Sie mich! bat David. Sie wissen nicht, was ich meine. Wie sehnt sich meine Seele darnach, den Dank für die Befreiung von dem Joche der Blindheit dadurch zu zeigen, daß ich mein Leben dem göttlichen Dienste aus¬ schließlich widmete, aber ich kann es nicht, ich darf es nicht, denn — der Fluch meiner Mutter liegt auf mir. Wie darf ein Mann, dessen Dasein durch die, welche ihm das Leben gegeben und die ein Recht auf sein Leben Hot, auf ewig alles Lichtes, aller Freude beraubt ist, wie darf der sich anmaßen, ein Verkünder göttlicher Wahrheiten zu sein, ein Träger ewiger, göttlicher Geheimnisse? Unter solchem Drucke leben, o Sie wissen nicht, was das heißt! Wie ein Abgrund thut es sich zwischen mir und dem ersehnten, heiß erstrebten Ziele auf und wird mich verschlingen! Grenzboten I. 1S83. 47

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/377
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/377>, abgerufen am 21.06.2024.