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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

Gebrauch ungewiß oder verschieden sei, könne ein guter Sprachlehrer durch die
Ähnlichkeit der meisten Beispiele oder durch die daraus entstandenen Regeln ent¬
scheiden, welcher Gebrauch dem andern vorzuziehen sei.

Daß er bei der Festsetzung der Regeln in seiner "deutschen Sprachkunst"
wirklich nach solchen Grundsätzen verfuhr, lehrt z. B. das, was er auf den
Einwand erwiedert, man solle die doppelte Verneinung im Deutschen nicht ab¬
schaffen. Er sagt da: "Ich würde es auch gewiß nicht thun, wenn es nicht
schon von sich selbst abgekommen wäre. Aufbringen aber kann und mag ich es
von neuem nicht."

Wie bescheiden er von dem Berufe eines Grammatikers und von der
Wirkung der Grammatik denkt, zeigt schon ein Satz aus dem ersten Stück der
"Beyträge" (I, 79), wo es heißt: "Ich bin geneigt zu glauben, daß man die
deutsche Sprache, was den Anfang ihrer.Verbesserung betrifft, mehr durch gut
geschriebene Bücher als durch die Sprachkunst ins Aufnehmen bringen könne."
Und in der später erschienenen Sprachkunst sagt er: "Man muß sich durch das
Lesen der besten Schriftsteller in dem rechten Gebrauche der Sprache befestigen.
Denn die Gewohnheit ist der große Lehrmeister der Sprache, und alle diejenigen
fehlen, die aus Neuerungssucht was Besondres aushecken, das den Leuten fremd,
neu, unerhört vorkommt."

Gegenüber der Verwilderung und Ungleichmäßigkeit der deutschen Sprache
zur Zeit Gottscheds war ein Mann nötig, der mit Verständnis und Geschmack
aus dem Schwankenden auswählte, und dessen Einfluß groß genug war, um
seinen Vorschlägen Ansehen und Geltung zu verschaffen. Gottsched war ein
solcher Mann, und darum ist sein Einfluß auf die Gestaltung der deutschen
Schriftsprache so groß gewesen, darum hat es ihm nicht an treuen Jüngern,
nicht an solchen gefehlt, die seine Vorschläge befolgten und mit Wort und That
dafür eintraten.

Selbst ein Mann wie Bodmer, der später zu Gottscheds entschiedensten
Gegnern gehörte, konnte sich anfangs dem Einflüsse Gottscheds nicht entziehen.
Gottsched hatte sich in den "Vernünftigen Tadlerinncn" über die "Diskurse der
Mahler" von Bodmer und Breitinger anerkennend ausgesprochen, aber hinzu¬
gefügt, es fehle den Schweizern das Vermögen, sich in einer reinen hochdeutschen
Schreibart auszudrücken, ihr Vaterland habe sie gehindert, in Worten und
Redensarten die Nichtigkeit zu beobachten, die sie in ihren Gedanken und Ver-
nunftschlüssen bewiesen. Es sei daher zu wünschen, daß sie ihre Schrift noch
einmal übersehen und mit Beihilfe eines rechten Kenners der Zierlichkeit unsrer
Muttersprache alle diejenigen Stellen, die mehr nach der Schweiz als nach
Deutschland schmeckten, ausbessern möchten. Bodmer ließ sich das nicht umsonst
gesagt sein. Als er eine neue Streitschrift veröffentlichen wollte, schickte er die
Handschrift derselben erst an Johann Christoph Clauder in Leipzig zur Aus-
merzung der Sprachfehler, namentlich der schweizerisch-mundartlichen Ausdrücke.


Gottsched und die deutsche Sprache.

Gebrauch ungewiß oder verschieden sei, könne ein guter Sprachlehrer durch die
Ähnlichkeit der meisten Beispiele oder durch die daraus entstandenen Regeln ent¬
scheiden, welcher Gebrauch dem andern vorzuziehen sei.

Daß er bei der Festsetzung der Regeln in seiner „deutschen Sprachkunst"
wirklich nach solchen Grundsätzen verfuhr, lehrt z. B. das, was er auf den
Einwand erwiedert, man solle die doppelte Verneinung im Deutschen nicht ab¬
schaffen. Er sagt da: „Ich würde es auch gewiß nicht thun, wenn es nicht
schon von sich selbst abgekommen wäre. Aufbringen aber kann und mag ich es
von neuem nicht."

Wie bescheiden er von dem Berufe eines Grammatikers und von der
Wirkung der Grammatik denkt, zeigt schon ein Satz aus dem ersten Stück der
„Beyträge" (I, 79), wo es heißt: „Ich bin geneigt zu glauben, daß man die
deutsche Sprache, was den Anfang ihrer.Verbesserung betrifft, mehr durch gut
geschriebene Bücher als durch die Sprachkunst ins Aufnehmen bringen könne."
Und in der später erschienenen Sprachkunst sagt er: „Man muß sich durch das
Lesen der besten Schriftsteller in dem rechten Gebrauche der Sprache befestigen.
Denn die Gewohnheit ist der große Lehrmeister der Sprache, und alle diejenigen
fehlen, die aus Neuerungssucht was Besondres aushecken, das den Leuten fremd,
neu, unerhört vorkommt."

Gegenüber der Verwilderung und Ungleichmäßigkeit der deutschen Sprache
zur Zeit Gottscheds war ein Mann nötig, der mit Verständnis und Geschmack
aus dem Schwankenden auswählte, und dessen Einfluß groß genug war, um
seinen Vorschlägen Ansehen und Geltung zu verschaffen. Gottsched war ein
solcher Mann, und darum ist sein Einfluß auf die Gestaltung der deutschen
Schriftsprache so groß gewesen, darum hat es ihm nicht an treuen Jüngern,
nicht an solchen gefehlt, die seine Vorschläge befolgten und mit Wort und That
dafür eintraten.

Selbst ein Mann wie Bodmer, der später zu Gottscheds entschiedensten
Gegnern gehörte, konnte sich anfangs dem Einflüsse Gottscheds nicht entziehen.
Gottsched hatte sich in den „Vernünftigen Tadlerinncn" über die „Diskurse der
Mahler" von Bodmer und Breitinger anerkennend ausgesprochen, aber hinzu¬
gefügt, es fehle den Schweizern das Vermögen, sich in einer reinen hochdeutschen
Schreibart auszudrücken, ihr Vaterland habe sie gehindert, in Worten und
Redensarten die Nichtigkeit zu beobachten, die sie in ihren Gedanken und Ver-
nunftschlüssen bewiesen. Es sei daher zu wünschen, daß sie ihre Schrift noch
einmal übersehen und mit Beihilfe eines rechten Kenners der Zierlichkeit unsrer
Muttersprache alle diejenigen Stellen, die mehr nach der Schweiz als nach
Deutschland schmeckten, ausbessern möchten. Bodmer ließ sich das nicht umsonst
gesagt sein. Als er eine neue Streitschrift veröffentlichen wollte, schickte er die
Handschrift derselben erst an Johann Christoph Clauder in Leipzig zur Aus-
merzung der Sprachfehler, namentlich der schweizerisch-mundartlichen Ausdrücke.


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[0354] Gottsched und die deutsche Sprache. Gebrauch ungewiß oder verschieden sei, könne ein guter Sprachlehrer durch die Ähnlichkeit der meisten Beispiele oder durch die daraus entstandenen Regeln ent¬ scheiden, welcher Gebrauch dem andern vorzuziehen sei. Daß er bei der Festsetzung der Regeln in seiner „deutschen Sprachkunst" wirklich nach solchen Grundsätzen verfuhr, lehrt z. B. das, was er auf den Einwand erwiedert, man solle die doppelte Verneinung im Deutschen nicht ab¬ schaffen. Er sagt da: „Ich würde es auch gewiß nicht thun, wenn es nicht schon von sich selbst abgekommen wäre. Aufbringen aber kann und mag ich es von neuem nicht." Wie bescheiden er von dem Berufe eines Grammatikers und von der Wirkung der Grammatik denkt, zeigt schon ein Satz aus dem ersten Stück der „Beyträge" (I, 79), wo es heißt: „Ich bin geneigt zu glauben, daß man die deutsche Sprache, was den Anfang ihrer.Verbesserung betrifft, mehr durch gut geschriebene Bücher als durch die Sprachkunst ins Aufnehmen bringen könne." Und in der später erschienenen Sprachkunst sagt er: „Man muß sich durch das Lesen der besten Schriftsteller in dem rechten Gebrauche der Sprache befestigen. Denn die Gewohnheit ist der große Lehrmeister der Sprache, und alle diejenigen fehlen, die aus Neuerungssucht was Besondres aushecken, das den Leuten fremd, neu, unerhört vorkommt." Gegenüber der Verwilderung und Ungleichmäßigkeit der deutschen Sprache zur Zeit Gottscheds war ein Mann nötig, der mit Verständnis und Geschmack aus dem Schwankenden auswählte, und dessen Einfluß groß genug war, um seinen Vorschlägen Ansehen und Geltung zu verschaffen. Gottsched war ein solcher Mann, und darum ist sein Einfluß auf die Gestaltung der deutschen Schriftsprache so groß gewesen, darum hat es ihm nicht an treuen Jüngern, nicht an solchen gefehlt, die seine Vorschläge befolgten und mit Wort und That dafür eintraten. Selbst ein Mann wie Bodmer, der später zu Gottscheds entschiedensten Gegnern gehörte, konnte sich anfangs dem Einflüsse Gottscheds nicht entziehen. Gottsched hatte sich in den „Vernünftigen Tadlerinncn" über die „Diskurse der Mahler" von Bodmer und Breitinger anerkennend ausgesprochen, aber hinzu¬ gefügt, es fehle den Schweizern das Vermögen, sich in einer reinen hochdeutschen Schreibart auszudrücken, ihr Vaterland habe sie gehindert, in Worten und Redensarten die Nichtigkeit zu beobachten, die sie in ihren Gedanken und Ver- nunftschlüssen bewiesen. Es sei daher zu wünschen, daß sie ihre Schrift noch einmal übersehen und mit Beihilfe eines rechten Kenners der Zierlichkeit unsrer Muttersprache alle diejenigen Stellen, die mehr nach der Schweiz als nach Deutschland schmeckten, ausbessern möchten. Bodmer ließ sich das nicht umsonst gesagt sein. Als er eine neue Streitschrift veröffentlichen wollte, schickte er die Handschrift derselben erst an Johann Christoph Clauder in Leipzig zur Aus- merzung der Sprachfehler, namentlich der schweizerisch-mundartlichen Ausdrücke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/354>, abgerufen am 21.06.2024.