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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dnbar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

beiderseits des Helden Krankheit. Der Aussatz Dubars, von Jstars Mutter
gesandt, stimmt mit der Hautkrankheit überein, welche den Herakles infolge seiner
Bekleidung mit dem Nessusgewcmde der Dejanira am ganzen Körper befällt.
Nachdem dann Herakles durch Feuer, Dubar durch Eintauchen in die Flut ge¬
reinigt ist, schließen beide Mythen mit einer Apotheose des Helden.

Trotz aller dieser Ähnlichkeiten, welche zeigen, daß der Sagenstoff durch
die Griechen von den Asiaten übernommen worden ist, finden sich dennoch im
griechischen Mythus Verschiebungen und Verwischungen von Einzelheiten, wunder¬
bare Vermischungen mit Gestalten und Thatsachen andrer Sagenkreise, welche
beweisen, daß der naturmythische Inhalt der asiatischen Sage dem Griechen
wohl seinem Grundzuge nach, nicht aber in allen seinen Einzelheiten verständlich
war. Natnrmythns ist aber jeder Mythus in seinem letzten Ursprünge, d. h. er
ist eine allegorische, der menschlichen Phantasie entstammende Versinnlichung der
dem Verstände unbegreiflichen Vorgänge in der Natur mit ihrem ewigen Wechsel
von Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Sommer und Winter, Leben und
Tod. Daraus ergiebt sich, daß, je näher wir dem Ursprünge einer Sage
kommen, wir auch ihre Deutung aus den Erscheinungen in der Natur umso
augenfälliger feststellen können.

Nun ist die ursprüngliche Gestalt des Herkulesmythus aus asiatischem
Boden erwachsen, die Dubarsage ist Ureigentum des sumerisch-arkadischen
Volkes. Nach der Art dortiger Naturbetrachtung wird also ihr Inhalt auch
allein naturmythisch zu deuten sein, während wir in der hellenischen Sagenform
nur diejenigen Gestalten und Episoden auf gleiche Weise erklären können, welche
entweder mit den orientalischen gemeinsame Naturerscheinungen allegorisiren oder
solche, die für Griechenland bezeichnend sind und deren Versinnbildlichung ans
griechischem Boden erwachsen ist. Da nun der Dubar-Herkulesmythus ein
Sounenmythus ist, die segensreiche sowie schädliche Wirkung der Sonnenwärme
auf Mensch und Natur aber von dem Hellenen so gut wie von dem Bewohner
des Euphratlandes empfunden wurde, so ist zu erwarten, daß der allgemeine
Verlauf der Sage, sowie manche Einzelheit sich auch bei den Griechen vollkommen
naturmythisch erklären läßt; da aber die allgemeine Naturanschauung des
Babylvniers, der sein Auge vorzugsweise gern der Nacht zuwendete, dem ge¬
stirnten Himmel seine Aufmerksamkeit schenkte und sich als System göttlicher
Verehrung den Sternkultus schuf, wesentlich verschieden von der des Griechen
war, der, nach Erspähung der scharfen Umrisse jedes Körpers trachtend, seinen
heitern Blick in die von Tageshelle erleuchtete Natur richtete, so werden namentlich
solche Episoden, welche sich auf das den Griechen nicht bekannte Sternsystem
des Keilschriftvolkes beziehen, obwohl sie in die hellenische Sage übergegangen
sind, dort die naturmythische Bedeutung nicht finden, welche auf dem Boden
Asiens und seiner Naturbetrachtung sofort klar ist. Die naturmythische Deu¬
tung der Sage selbst wird den Beweis liefern.


Die Dnbar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

beiderseits des Helden Krankheit. Der Aussatz Dubars, von Jstars Mutter
gesandt, stimmt mit der Hautkrankheit überein, welche den Herakles infolge seiner
Bekleidung mit dem Nessusgewcmde der Dejanira am ganzen Körper befällt.
Nachdem dann Herakles durch Feuer, Dubar durch Eintauchen in die Flut ge¬
reinigt ist, schließen beide Mythen mit einer Apotheose des Helden.

Trotz aller dieser Ähnlichkeiten, welche zeigen, daß der Sagenstoff durch
die Griechen von den Asiaten übernommen worden ist, finden sich dennoch im
griechischen Mythus Verschiebungen und Verwischungen von Einzelheiten, wunder¬
bare Vermischungen mit Gestalten und Thatsachen andrer Sagenkreise, welche
beweisen, daß der naturmythische Inhalt der asiatischen Sage dem Griechen
wohl seinem Grundzuge nach, nicht aber in allen seinen Einzelheiten verständlich
war. Natnrmythns ist aber jeder Mythus in seinem letzten Ursprünge, d. h. er
ist eine allegorische, der menschlichen Phantasie entstammende Versinnlichung der
dem Verstände unbegreiflichen Vorgänge in der Natur mit ihrem ewigen Wechsel
von Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Sommer und Winter, Leben und
Tod. Daraus ergiebt sich, daß, je näher wir dem Ursprünge einer Sage
kommen, wir auch ihre Deutung aus den Erscheinungen in der Natur umso
augenfälliger feststellen können.

Nun ist die ursprüngliche Gestalt des Herkulesmythus aus asiatischem
Boden erwachsen, die Dubarsage ist Ureigentum des sumerisch-arkadischen
Volkes. Nach der Art dortiger Naturbetrachtung wird also ihr Inhalt auch
allein naturmythisch zu deuten sein, während wir in der hellenischen Sagenform
nur diejenigen Gestalten und Episoden auf gleiche Weise erklären können, welche
entweder mit den orientalischen gemeinsame Naturerscheinungen allegorisiren oder
solche, die für Griechenland bezeichnend sind und deren Versinnbildlichung ans
griechischem Boden erwachsen ist. Da nun der Dubar-Herkulesmythus ein
Sounenmythus ist, die segensreiche sowie schädliche Wirkung der Sonnenwärme
auf Mensch und Natur aber von dem Hellenen so gut wie von dem Bewohner
des Euphratlandes empfunden wurde, so ist zu erwarten, daß der allgemeine
Verlauf der Sage, sowie manche Einzelheit sich auch bei den Griechen vollkommen
naturmythisch erklären läßt; da aber die allgemeine Naturanschauung des
Babylvniers, der sein Auge vorzugsweise gern der Nacht zuwendete, dem ge¬
stirnten Himmel seine Aufmerksamkeit schenkte und sich als System göttlicher
Verehrung den Sternkultus schuf, wesentlich verschieden von der des Griechen
war, der, nach Erspähung der scharfen Umrisse jedes Körpers trachtend, seinen
heitern Blick in die von Tageshelle erleuchtete Natur richtete, so werden namentlich
solche Episoden, welche sich auf das den Griechen nicht bekannte Sternsystem
des Keilschriftvolkes beziehen, obwohl sie in die hellenische Sage übergegangen
sind, dort die naturmythische Bedeutung nicht finden, welche auf dem Boden
Asiens und seiner Naturbetrachtung sofort klar ist. Die naturmythische Deu¬
tung der Sage selbst wird den Beweis liefern.


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[0346] Die Dnbar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. beiderseits des Helden Krankheit. Der Aussatz Dubars, von Jstars Mutter gesandt, stimmt mit der Hautkrankheit überein, welche den Herakles infolge seiner Bekleidung mit dem Nessusgewcmde der Dejanira am ganzen Körper befällt. Nachdem dann Herakles durch Feuer, Dubar durch Eintauchen in die Flut ge¬ reinigt ist, schließen beide Mythen mit einer Apotheose des Helden. Trotz aller dieser Ähnlichkeiten, welche zeigen, daß der Sagenstoff durch die Griechen von den Asiaten übernommen worden ist, finden sich dennoch im griechischen Mythus Verschiebungen und Verwischungen von Einzelheiten, wunder¬ bare Vermischungen mit Gestalten und Thatsachen andrer Sagenkreise, welche beweisen, daß der naturmythische Inhalt der asiatischen Sage dem Griechen wohl seinem Grundzuge nach, nicht aber in allen seinen Einzelheiten verständlich war. Natnrmythns ist aber jeder Mythus in seinem letzten Ursprünge, d. h. er ist eine allegorische, der menschlichen Phantasie entstammende Versinnlichung der dem Verstände unbegreiflichen Vorgänge in der Natur mit ihrem ewigen Wechsel von Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Sommer und Winter, Leben und Tod. Daraus ergiebt sich, daß, je näher wir dem Ursprünge einer Sage kommen, wir auch ihre Deutung aus den Erscheinungen in der Natur umso augenfälliger feststellen können. Nun ist die ursprüngliche Gestalt des Herkulesmythus aus asiatischem Boden erwachsen, die Dubarsage ist Ureigentum des sumerisch-arkadischen Volkes. Nach der Art dortiger Naturbetrachtung wird also ihr Inhalt auch allein naturmythisch zu deuten sein, während wir in der hellenischen Sagenform nur diejenigen Gestalten und Episoden auf gleiche Weise erklären können, welche entweder mit den orientalischen gemeinsame Naturerscheinungen allegorisiren oder solche, die für Griechenland bezeichnend sind und deren Versinnbildlichung ans griechischem Boden erwachsen ist. Da nun der Dubar-Herkulesmythus ein Sounenmythus ist, die segensreiche sowie schädliche Wirkung der Sonnenwärme auf Mensch und Natur aber von dem Hellenen so gut wie von dem Bewohner des Euphratlandes empfunden wurde, so ist zu erwarten, daß der allgemeine Verlauf der Sage, sowie manche Einzelheit sich auch bei den Griechen vollkommen naturmythisch erklären läßt; da aber die allgemeine Naturanschauung des Babylvniers, der sein Auge vorzugsweise gern der Nacht zuwendete, dem ge¬ stirnten Himmel seine Aufmerksamkeit schenkte und sich als System göttlicher Verehrung den Sternkultus schuf, wesentlich verschieden von der des Griechen war, der, nach Erspähung der scharfen Umrisse jedes Körpers trachtend, seinen heitern Blick in die von Tageshelle erleuchtete Natur richtete, so werden namentlich solche Episoden, welche sich auf das den Griechen nicht bekannte Sternsystem des Keilschriftvolkes beziehen, obwohl sie in die hellenische Sage übergegangen sind, dort die naturmythische Bedeutung nicht finden, welche auf dem Boden Asiens und seiner Naturbetrachtung sofort klar ist. Die naturmythische Deu¬ tung der Sage selbst wird den Beweis liefern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/346>, abgerufen am 23.06.2024.