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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

eins für die übrigen Staaten. Nach langen Erörterungen ließ man diese "Trias"
fallen und entschied sich für eine "Monas," d. h. für ein einziges unverant¬
wortliches Oberhaupt, das sich daun mit einem verantwortlichen Ministerium
umgeben sollte. Auf Antrag des Vorsitzenden, Heinrich von Gagern, wählte
man hierzu den Erzherzog Johann von Osterreich (29. Juni 1843).

Das war der sogenannte "kühne Griff" des Herrn von Gagern, der anfäng¬
lich mit einer ungeheuern Begeisterung aufgenommen wurde, die einem nüchternen
Beurteiler geradezu unbegreiflich erscheint, freilich auch nicht lange andauerte.
Deun wie dieser Erzherzog, ein sechsundsechzig Jahre alte Herr, zu einer so unver¬
dienten Ehre kam, ist gar nicht begreiflich, er selbst wußte es am wenigsten. Er
war allerdings aus einem sehr, sehr vornehmen Hause; er hatte in seinen
jüngern Jahren österreichische Heere geführt, wenn auch im ganzen mit wenig
Glück -- man denke an Hohenlinden und Raab; er war aber dann gar nicht
vorsichtig gewesen in der Wahl seines Schwiegervaters, eines bürgerlichen Post¬
meisters, hatte fast ein Menschenalter hindurch mit der Politik gar nichts zu thu"
gehabt, und hatte sich nur in Tirol durch seine Gemsjagden eine billige Volks¬
beliebtheit gewonnen. Seine Popularität in weitern Kreisen beruhte auf einem
Trinksprüche, den er als Gast des Königs von Preußen auf Schloß Stolzenfels
bei Koblenz ausgebracht hatte. Er soll gelautet haben: "Kein Preußen, kein
Österreich -- ein einiges Deutschland!" Nach den Berichten von Anwesenden
hätte er zwar gesagt: "Ein Österreich, ein Preußen, ein einiges Deutschland!"
Das thut aber nichts zur Sache: hohle Redensarten sind beides, Sinn und
Verstand ist in keiner von beiden; aber gerade weil man sich auch ganz und
gar nichts Rechtes dabei denken konnte, zündete der Ausspruch. Blendende
Phrasen, packende Schlagwörter beherrschten damals noch viel mehr das "Volk"
als heute. Der Hauptgrund, ihn zu wählen, war sicherlich wohl der, daß man
keinen andern Fürsten von hohem Hause finden konnte, der -- harmlos genug
war, sich zu einer solchen Komödie, zu einem solchen Gaukelspiele herzugeben,
wie ihm mit dieser Reichsverweserschaft zugemutet wurde.

Am 11. Juli zog "Hans ohne Land," wie Heine mit treffendem Witze
sagte, unter Kanonendonner und Glockengeläute in Frankfurt ein und nahm
seine Residenz in dem Thurn- und Taxisschen Palaste, welchen der Bundes¬
tag räumen mußte. Diese würdige Versammlung hatte bis zu diesem Tage
nämlich ein ungestörtes Stillleben geführt. Jetzt löste sie sich ohne Sang und
Klang auf und verduftete spurlos, wie man im gewöhnlichen Leben sagt. Am
folgenden Tage (12. Juli) umgab der neue Reichsverweser sich mit einem Reichs¬
ministerium und ernannte eine Anzahl von Unterstaatssekretären aus der Mitte
der Versammlung in der Paulskirche. So regierte denn diese sogenannte Zentral¬
gewalt lustig darauf los; zwar hatte sie weder Land noch Leute unter sich,
besaß weder Heer noch Finanzen, hatte auch nicht einen einzigen Gensdarmen,
um ihren Verfügungen Nachdruck zu geben. Aber das schadete nichts. In


Der deutsche Bund.

eins für die übrigen Staaten. Nach langen Erörterungen ließ man diese „Trias"
fallen und entschied sich für eine „Monas," d. h. für ein einziges unverant¬
wortliches Oberhaupt, das sich daun mit einem verantwortlichen Ministerium
umgeben sollte. Auf Antrag des Vorsitzenden, Heinrich von Gagern, wählte
man hierzu den Erzherzog Johann von Osterreich (29. Juni 1843).

Das war der sogenannte „kühne Griff" des Herrn von Gagern, der anfäng¬
lich mit einer ungeheuern Begeisterung aufgenommen wurde, die einem nüchternen
Beurteiler geradezu unbegreiflich erscheint, freilich auch nicht lange andauerte.
Deun wie dieser Erzherzog, ein sechsundsechzig Jahre alte Herr, zu einer so unver¬
dienten Ehre kam, ist gar nicht begreiflich, er selbst wußte es am wenigsten. Er
war allerdings aus einem sehr, sehr vornehmen Hause; er hatte in seinen
jüngern Jahren österreichische Heere geführt, wenn auch im ganzen mit wenig
Glück — man denke an Hohenlinden und Raab; er war aber dann gar nicht
vorsichtig gewesen in der Wahl seines Schwiegervaters, eines bürgerlichen Post¬
meisters, hatte fast ein Menschenalter hindurch mit der Politik gar nichts zu thu«
gehabt, und hatte sich nur in Tirol durch seine Gemsjagden eine billige Volks¬
beliebtheit gewonnen. Seine Popularität in weitern Kreisen beruhte auf einem
Trinksprüche, den er als Gast des Königs von Preußen auf Schloß Stolzenfels
bei Koblenz ausgebracht hatte. Er soll gelautet haben: „Kein Preußen, kein
Österreich — ein einiges Deutschland!" Nach den Berichten von Anwesenden
hätte er zwar gesagt: „Ein Österreich, ein Preußen, ein einiges Deutschland!"
Das thut aber nichts zur Sache: hohle Redensarten sind beides, Sinn und
Verstand ist in keiner von beiden; aber gerade weil man sich auch ganz und
gar nichts Rechtes dabei denken konnte, zündete der Ausspruch. Blendende
Phrasen, packende Schlagwörter beherrschten damals noch viel mehr das „Volk"
als heute. Der Hauptgrund, ihn zu wählen, war sicherlich wohl der, daß man
keinen andern Fürsten von hohem Hause finden konnte, der — harmlos genug
war, sich zu einer solchen Komödie, zu einem solchen Gaukelspiele herzugeben,
wie ihm mit dieser Reichsverweserschaft zugemutet wurde.

Am 11. Juli zog „Hans ohne Land," wie Heine mit treffendem Witze
sagte, unter Kanonendonner und Glockengeläute in Frankfurt ein und nahm
seine Residenz in dem Thurn- und Taxisschen Palaste, welchen der Bundes¬
tag räumen mußte. Diese würdige Versammlung hatte bis zu diesem Tage
nämlich ein ungestörtes Stillleben geführt. Jetzt löste sie sich ohne Sang und
Klang auf und verduftete spurlos, wie man im gewöhnlichen Leben sagt. Am
folgenden Tage (12. Juli) umgab der neue Reichsverweser sich mit einem Reichs¬
ministerium und ernannte eine Anzahl von Unterstaatssekretären aus der Mitte
der Versammlung in der Paulskirche. So regierte denn diese sogenannte Zentral¬
gewalt lustig darauf los; zwar hatte sie weder Land noch Leute unter sich,
besaß weder Heer noch Finanzen, hatte auch nicht einen einzigen Gensdarmen,
um ihren Verfügungen Nachdruck zu geben. Aber das schadete nichts. In


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[0302] Der deutsche Bund. eins für die übrigen Staaten. Nach langen Erörterungen ließ man diese „Trias" fallen und entschied sich für eine „Monas," d. h. für ein einziges unverant¬ wortliches Oberhaupt, das sich daun mit einem verantwortlichen Ministerium umgeben sollte. Auf Antrag des Vorsitzenden, Heinrich von Gagern, wählte man hierzu den Erzherzog Johann von Osterreich (29. Juni 1843). Das war der sogenannte „kühne Griff" des Herrn von Gagern, der anfäng¬ lich mit einer ungeheuern Begeisterung aufgenommen wurde, die einem nüchternen Beurteiler geradezu unbegreiflich erscheint, freilich auch nicht lange andauerte. Deun wie dieser Erzherzog, ein sechsundsechzig Jahre alte Herr, zu einer so unver¬ dienten Ehre kam, ist gar nicht begreiflich, er selbst wußte es am wenigsten. Er war allerdings aus einem sehr, sehr vornehmen Hause; er hatte in seinen jüngern Jahren österreichische Heere geführt, wenn auch im ganzen mit wenig Glück — man denke an Hohenlinden und Raab; er war aber dann gar nicht vorsichtig gewesen in der Wahl seines Schwiegervaters, eines bürgerlichen Post¬ meisters, hatte fast ein Menschenalter hindurch mit der Politik gar nichts zu thu« gehabt, und hatte sich nur in Tirol durch seine Gemsjagden eine billige Volks¬ beliebtheit gewonnen. Seine Popularität in weitern Kreisen beruhte auf einem Trinksprüche, den er als Gast des Königs von Preußen auf Schloß Stolzenfels bei Koblenz ausgebracht hatte. Er soll gelautet haben: „Kein Preußen, kein Österreich — ein einiges Deutschland!" Nach den Berichten von Anwesenden hätte er zwar gesagt: „Ein Österreich, ein Preußen, ein einiges Deutschland!" Das thut aber nichts zur Sache: hohle Redensarten sind beides, Sinn und Verstand ist in keiner von beiden; aber gerade weil man sich auch ganz und gar nichts Rechtes dabei denken konnte, zündete der Ausspruch. Blendende Phrasen, packende Schlagwörter beherrschten damals noch viel mehr das „Volk" als heute. Der Hauptgrund, ihn zu wählen, war sicherlich wohl der, daß man keinen andern Fürsten von hohem Hause finden konnte, der — harmlos genug war, sich zu einer solchen Komödie, zu einem solchen Gaukelspiele herzugeben, wie ihm mit dieser Reichsverweserschaft zugemutet wurde. Am 11. Juli zog „Hans ohne Land," wie Heine mit treffendem Witze sagte, unter Kanonendonner und Glockengeläute in Frankfurt ein und nahm seine Residenz in dem Thurn- und Taxisschen Palaste, welchen der Bundes¬ tag räumen mußte. Diese würdige Versammlung hatte bis zu diesem Tage nämlich ein ungestörtes Stillleben geführt. Jetzt löste sie sich ohne Sang und Klang auf und verduftete spurlos, wie man im gewöhnlichen Leben sagt. Am folgenden Tage (12. Juli) umgab der neue Reichsverweser sich mit einem Reichs¬ ministerium und ernannte eine Anzahl von Unterstaatssekretären aus der Mitte der Versammlung in der Paulskirche. So regierte denn diese sogenannte Zentral¬ gewalt lustig darauf los; zwar hatte sie weder Land noch Leute unter sich, besaß weder Heer noch Finanzen, hatte auch nicht einen einzigen Gensdarmen, um ihren Verfügungen Nachdruck zu geben. Aber das schadete nichts. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/302>, abgerufen am 23.06.2024.