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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

hatten die Regierungen sich schwach und kopflos gezeigt, und das "Volk" schien
wirklich die Macht in den Händen zu haben.

So standen die Regierungen der von Heidelberg aus angeregten deutschen
Bewegung unthätig und unschlüssig gegenüber; keine wagte eine Einrede. Das
sogenannte Vorparlament konnte unbehindert in Frankfurt zusammentreten
(31. März), der deutsche Bund nahm das Wappen des alten Reiches, den
schwarzen Doppeladler auf goldnem Grunde an, und bequemte sich dazu, sieb¬
zehn "Vertrauensmänner der deutschen Nation," entsprechend den siebzehn
Stimmen des engern Rates, aufzunehmen, um mit diesen gemeinschaftlich die
Vorarbeiten für die Verfassung, welche von einer deutschen Nationalversammlung
beraten werden sollte, zu machen.

Das Vorparlament hielt vier Sitzungen ab unter der Leitung des be¬
kannten Strafrechtslehrers Mittermaier. Man beschloß die Berufung einer
konstituirenden deutschen Nationalversammlung, welche die deutsche Reichsver¬
fassung endgiltig feststellen und vollenden sollte. Die Wahlen hierfür sollten
schleunigst stattfinden, und zwar "auf breitester Grundlage," d. h. auf Grund
des allgemeinen und direkten Wahlrechts. Für die Leitung und Überwachung
dieser Wahlen wurde ein Fünfzigerausschuß zu Frankfurt a. M. eingesetzt.

Um etwas Abwechslung in die Sache zu bringen, fand im April die erste
ausgesprochen republikanische Schilderhebung im badischen Oberlande statt.
Hecker und Struve standen an der Spitze. Der tapfere Mundheld Herwegh
führte Hilfstruppen herbei, Polen, Franzosen, deutsche Arbeiter, die in Frank¬
reich die sozialistischen Lehren eingesogen hatten. Der Aufstand wurde von
Bundestruppen rasch unterdrückt; die verräterische Erschießung des wackern
Generals Friedrich von Gagern bei Kentern kennzeichnet genügend die Elemente,
aus deuen "der Freiheit Heer" zusammengesetzt war. Ähnliche Aufstände brachen
in andern Gegenden Deutschlands aus.

Umsomehr ließen die verschüchterten Regierungen alles geschehen. Die Wahlen
fanden auf Grund der ganz unbeschränkten Wahlfreiheit statt. So trat denn die
deutsche Nationalversammlung oder das erste deutsche Parlament am 18. Mai,
nachmittags um drei Uhr, in der Paulskirche zu Frankfurt zusammen. Lauter
Jubel des Volkes begrüßte seinen Zusammentritt; denn man zweifelte nicht,
daß diese Versammlung, in deren Mitte sich so viele hervorragende Männer
ans allen Landen, aus allen Berufsarten, namentlich recht viele gelehrte Profes¬
soren befanden, unzweifelhaft eine Wiedergeburt Deutschlands würde zu stände
bringen können.

Auf welche Weise das freilich geschehen sollte, darüber gingen in der Pauls¬
kirche selbst die Meinungen am meisten auseinander. Doch einigte mau sich
zunächst darüber, daß eine neue Zentralgewalt eingesetzt werden müsse, denn
vom Bundestage wollte niemand mehr etwas wissen. Zunächst dachte man
an ein Direktorium von drei Mitgliedern, eins für Österreich, eins für Preußen,


Der deutsche Bund.

hatten die Regierungen sich schwach und kopflos gezeigt, und das „Volk" schien
wirklich die Macht in den Händen zu haben.

So standen die Regierungen der von Heidelberg aus angeregten deutschen
Bewegung unthätig und unschlüssig gegenüber; keine wagte eine Einrede. Das
sogenannte Vorparlament konnte unbehindert in Frankfurt zusammentreten
(31. März), der deutsche Bund nahm das Wappen des alten Reiches, den
schwarzen Doppeladler auf goldnem Grunde an, und bequemte sich dazu, sieb¬
zehn „Vertrauensmänner der deutschen Nation," entsprechend den siebzehn
Stimmen des engern Rates, aufzunehmen, um mit diesen gemeinschaftlich die
Vorarbeiten für die Verfassung, welche von einer deutschen Nationalversammlung
beraten werden sollte, zu machen.

Das Vorparlament hielt vier Sitzungen ab unter der Leitung des be¬
kannten Strafrechtslehrers Mittermaier. Man beschloß die Berufung einer
konstituirenden deutschen Nationalversammlung, welche die deutsche Reichsver¬
fassung endgiltig feststellen und vollenden sollte. Die Wahlen hierfür sollten
schleunigst stattfinden, und zwar „auf breitester Grundlage," d. h. auf Grund
des allgemeinen und direkten Wahlrechts. Für die Leitung und Überwachung
dieser Wahlen wurde ein Fünfzigerausschuß zu Frankfurt a. M. eingesetzt.

Um etwas Abwechslung in die Sache zu bringen, fand im April die erste
ausgesprochen republikanische Schilderhebung im badischen Oberlande statt.
Hecker und Struve standen an der Spitze. Der tapfere Mundheld Herwegh
führte Hilfstruppen herbei, Polen, Franzosen, deutsche Arbeiter, die in Frank¬
reich die sozialistischen Lehren eingesogen hatten. Der Aufstand wurde von
Bundestruppen rasch unterdrückt; die verräterische Erschießung des wackern
Generals Friedrich von Gagern bei Kentern kennzeichnet genügend die Elemente,
aus deuen „der Freiheit Heer" zusammengesetzt war. Ähnliche Aufstände brachen
in andern Gegenden Deutschlands aus.

Umsomehr ließen die verschüchterten Regierungen alles geschehen. Die Wahlen
fanden auf Grund der ganz unbeschränkten Wahlfreiheit statt. So trat denn die
deutsche Nationalversammlung oder das erste deutsche Parlament am 18. Mai,
nachmittags um drei Uhr, in der Paulskirche zu Frankfurt zusammen. Lauter
Jubel des Volkes begrüßte seinen Zusammentritt; denn man zweifelte nicht,
daß diese Versammlung, in deren Mitte sich so viele hervorragende Männer
ans allen Landen, aus allen Berufsarten, namentlich recht viele gelehrte Profes¬
soren befanden, unzweifelhaft eine Wiedergeburt Deutschlands würde zu stände
bringen können.

Auf welche Weise das freilich geschehen sollte, darüber gingen in der Pauls¬
kirche selbst die Meinungen am meisten auseinander. Doch einigte mau sich
zunächst darüber, daß eine neue Zentralgewalt eingesetzt werden müsse, denn
vom Bundestage wollte niemand mehr etwas wissen. Zunächst dachte man
an ein Direktorium von drei Mitgliedern, eins für Österreich, eins für Preußen,


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[0301] Der deutsche Bund. hatten die Regierungen sich schwach und kopflos gezeigt, und das „Volk" schien wirklich die Macht in den Händen zu haben. So standen die Regierungen der von Heidelberg aus angeregten deutschen Bewegung unthätig und unschlüssig gegenüber; keine wagte eine Einrede. Das sogenannte Vorparlament konnte unbehindert in Frankfurt zusammentreten (31. März), der deutsche Bund nahm das Wappen des alten Reiches, den schwarzen Doppeladler auf goldnem Grunde an, und bequemte sich dazu, sieb¬ zehn „Vertrauensmänner der deutschen Nation," entsprechend den siebzehn Stimmen des engern Rates, aufzunehmen, um mit diesen gemeinschaftlich die Vorarbeiten für die Verfassung, welche von einer deutschen Nationalversammlung beraten werden sollte, zu machen. Das Vorparlament hielt vier Sitzungen ab unter der Leitung des be¬ kannten Strafrechtslehrers Mittermaier. Man beschloß die Berufung einer konstituirenden deutschen Nationalversammlung, welche die deutsche Reichsver¬ fassung endgiltig feststellen und vollenden sollte. Die Wahlen hierfür sollten schleunigst stattfinden, und zwar „auf breitester Grundlage," d. h. auf Grund des allgemeinen und direkten Wahlrechts. Für die Leitung und Überwachung dieser Wahlen wurde ein Fünfzigerausschuß zu Frankfurt a. M. eingesetzt. Um etwas Abwechslung in die Sache zu bringen, fand im April die erste ausgesprochen republikanische Schilderhebung im badischen Oberlande statt. Hecker und Struve standen an der Spitze. Der tapfere Mundheld Herwegh führte Hilfstruppen herbei, Polen, Franzosen, deutsche Arbeiter, die in Frank¬ reich die sozialistischen Lehren eingesogen hatten. Der Aufstand wurde von Bundestruppen rasch unterdrückt; die verräterische Erschießung des wackern Generals Friedrich von Gagern bei Kentern kennzeichnet genügend die Elemente, aus deuen „der Freiheit Heer" zusammengesetzt war. Ähnliche Aufstände brachen in andern Gegenden Deutschlands aus. Umsomehr ließen die verschüchterten Regierungen alles geschehen. Die Wahlen fanden auf Grund der ganz unbeschränkten Wahlfreiheit statt. So trat denn die deutsche Nationalversammlung oder das erste deutsche Parlament am 18. Mai, nachmittags um drei Uhr, in der Paulskirche zu Frankfurt zusammen. Lauter Jubel des Volkes begrüßte seinen Zusammentritt; denn man zweifelte nicht, daß diese Versammlung, in deren Mitte sich so viele hervorragende Männer ans allen Landen, aus allen Berufsarten, namentlich recht viele gelehrte Profes¬ soren befanden, unzweifelhaft eine Wiedergeburt Deutschlands würde zu stände bringen können. Auf welche Weise das freilich geschehen sollte, darüber gingen in der Pauls¬ kirche selbst die Meinungen am meisten auseinander. Doch einigte mau sich zunächst darüber, daß eine neue Zentralgewalt eingesetzt werden müsse, denn vom Bundestage wollte niemand mehr etwas wissen. Zunächst dachte man an ein Direktorium von drei Mitgliedern, eins für Österreich, eins für Preußen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/301>, abgerufen am 23.06.2024.