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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

Heinrich Heine, jener "ungezogene Liebling der Grazien," dessen politische
Ansichten und Grundsätze fast nur auf einen blinden, fast thörichten Preußenhaß
hinauslaufen, hat die äußere und die innere Lage Deutschlands zu den Zeiten
des alten Bundestages in wenigen Versen höchst treffend gezeichnet. Für die
äußern Verhältnisse gelten folgende Zeilen:


Franzosen und Russen beherrschen das Land,
Das Meer gehört den Vrittm;
Uns aber bleibt im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.

Über die innern Zustünde ließ er seinen Tannhäuser, der aus Rom zurückkommt,
sagen:


Und als ich auf dem Sankt Gotthard stand,
Da hört' ich Deutschland schnarchen;
Es schlief da unten in sanfter Hut
Von sechsunddreißig Monarchen.

Dieses politische Still- und Traumleben im Vaterlande, oder vielmehr in
den vielen "engern Vaterländern," dauerte, bis das Jahr 1848 hereinbrach,
das "tolle Jahr." Doch würde es über den Rahmen dieser Arbeit hinaus¬
gehen, die politischen und die damit in engem Zusammenhange stehenden kriege¬
rischen Vorgänge jenes bewegten Zeitabschnittes hier auch nur einigermaßen
eingehend zu besprechen. Hier können nur die wichtigsten Ereignisse jener poli¬
tischen Sturm- und Drangperiode kurz berührt werden.

Der Sturm der Februarrevolution hatte in Paris den immer ziemlich
wackligen Thron der Julimonarchie über den Haufen geworfen; der Bürger¬
könig Ludwig Philipp war, gleich seinem Vorgänger, nach England in die
Verbannung gegangen. Der Anstoß, der durch diese Vorgänge in Paris ge¬
geben war, setzte sich fast durch alle Länder Europas fort. Namentlich in
Deutschland hatte fast jeder Staat seine Revolution oder doch wenigstens sein
Revolutiönchen. Fast in allen deutschen Hauptstädten und in Dutzenden von
andern Städten gab es zu verschiednen Zeiten Empörungen, Aufstände, Barri¬
kaden und Straßenkampfe mehr oder weniger ernster und blutiger Art. Die
politischen Leidenschaften, die der Bundestag so lange und so erfolgreich nieder¬
gehalten hatte, daß die Regierungskreise kaum an ihr Vorhandensein glaubten,
brachen sich plötzlich mit anscheinend elementarer Kraft Bahn und äußerten sich
teils in grauenhaft widerwärtiger, teils in grotesk komischer Weise. Alle Regie¬
rungen Deutschlands verloren eine Zeit lang mehr oder weniger den Kopf und
fügten sich den meisten Forderungen des "Volkes"; die "Volksmänner" wurden
teilweise in die Ministerien berufen.

Daß durch diese Bewegungen auch die deutsche Frage wieder in Fluß kam,
konnte nicht fehlen. Zwar war der radikalen Partei an Deutschland wenig


Der deutsche Bund.

Heinrich Heine, jener „ungezogene Liebling der Grazien," dessen politische
Ansichten und Grundsätze fast nur auf einen blinden, fast thörichten Preußenhaß
hinauslaufen, hat die äußere und die innere Lage Deutschlands zu den Zeiten
des alten Bundestages in wenigen Versen höchst treffend gezeichnet. Für die
äußern Verhältnisse gelten folgende Zeilen:


Franzosen und Russen beherrschen das Land,
Das Meer gehört den Vrittm;
Uns aber bleibt im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.

Über die innern Zustünde ließ er seinen Tannhäuser, der aus Rom zurückkommt,
sagen:


Und als ich auf dem Sankt Gotthard stand,
Da hört' ich Deutschland schnarchen;
Es schlief da unten in sanfter Hut
Von sechsunddreißig Monarchen.

Dieses politische Still- und Traumleben im Vaterlande, oder vielmehr in
den vielen „engern Vaterländern," dauerte, bis das Jahr 1848 hereinbrach,
das „tolle Jahr." Doch würde es über den Rahmen dieser Arbeit hinaus¬
gehen, die politischen und die damit in engem Zusammenhange stehenden kriege¬
rischen Vorgänge jenes bewegten Zeitabschnittes hier auch nur einigermaßen
eingehend zu besprechen. Hier können nur die wichtigsten Ereignisse jener poli¬
tischen Sturm- und Drangperiode kurz berührt werden.

Der Sturm der Februarrevolution hatte in Paris den immer ziemlich
wackligen Thron der Julimonarchie über den Haufen geworfen; der Bürger¬
könig Ludwig Philipp war, gleich seinem Vorgänger, nach England in die
Verbannung gegangen. Der Anstoß, der durch diese Vorgänge in Paris ge¬
geben war, setzte sich fast durch alle Länder Europas fort. Namentlich in
Deutschland hatte fast jeder Staat seine Revolution oder doch wenigstens sein
Revolutiönchen. Fast in allen deutschen Hauptstädten und in Dutzenden von
andern Städten gab es zu verschiednen Zeiten Empörungen, Aufstände, Barri¬
kaden und Straßenkampfe mehr oder weniger ernster und blutiger Art. Die
politischen Leidenschaften, die der Bundestag so lange und so erfolgreich nieder¬
gehalten hatte, daß die Regierungskreise kaum an ihr Vorhandensein glaubten,
brachen sich plötzlich mit anscheinend elementarer Kraft Bahn und äußerten sich
teils in grauenhaft widerwärtiger, teils in grotesk komischer Weise. Alle Regie¬
rungen Deutschlands verloren eine Zeit lang mehr oder weniger den Kopf und
fügten sich den meisten Forderungen des „Volkes"; die „Volksmänner" wurden
teilweise in die Ministerien berufen.

Daß durch diese Bewegungen auch die deutsche Frage wieder in Fluß kam,
konnte nicht fehlen. Zwar war der radikalen Partei an Deutschland wenig


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[0299] Der deutsche Bund. Heinrich Heine, jener „ungezogene Liebling der Grazien," dessen politische Ansichten und Grundsätze fast nur auf einen blinden, fast thörichten Preußenhaß hinauslaufen, hat die äußere und die innere Lage Deutschlands zu den Zeiten des alten Bundestages in wenigen Versen höchst treffend gezeichnet. Für die äußern Verhältnisse gelten folgende Zeilen: Franzosen und Russen beherrschen das Land, Das Meer gehört den Vrittm; Uns aber bleibt im Luftreich des Traums Die Herrschaft unbestritten. Über die innern Zustünde ließ er seinen Tannhäuser, der aus Rom zurückkommt, sagen: Und als ich auf dem Sankt Gotthard stand, Da hört' ich Deutschland schnarchen; Es schlief da unten in sanfter Hut Von sechsunddreißig Monarchen. Dieses politische Still- und Traumleben im Vaterlande, oder vielmehr in den vielen „engern Vaterländern," dauerte, bis das Jahr 1848 hereinbrach, das „tolle Jahr." Doch würde es über den Rahmen dieser Arbeit hinaus¬ gehen, die politischen und die damit in engem Zusammenhange stehenden kriege¬ rischen Vorgänge jenes bewegten Zeitabschnittes hier auch nur einigermaßen eingehend zu besprechen. Hier können nur die wichtigsten Ereignisse jener poli¬ tischen Sturm- und Drangperiode kurz berührt werden. Der Sturm der Februarrevolution hatte in Paris den immer ziemlich wackligen Thron der Julimonarchie über den Haufen geworfen; der Bürger¬ könig Ludwig Philipp war, gleich seinem Vorgänger, nach England in die Verbannung gegangen. Der Anstoß, der durch diese Vorgänge in Paris ge¬ geben war, setzte sich fast durch alle Länder Europas fort. Namentlich in Deutschland hatte fast jeder Staat seine Revolution oder doch wenigstens sein Revolutiönchen. Fast in allen deutschen Hauptstädten und in Dutzenden von andern Städten gab es zu verschiednen Zeiten Empörungen, Aufstände, Barri¬ kaden und Straßenkampfe mehr oder weniger ernster und blutiger Art. Die politischen Leidenschaften, die der Bundestag so lange und so erfolgreich nieder¬ gehalten hatte, daß die Regierungskreise kaum an ihr Vorhandensein glaubten, brachen sich plötzlich mit anscheinend elementarer Kraft Bahn und äußerten sich teils in grauenhaft widerwärtiger, teils in grotesk komischer Weise. Alle Regie¬ rungen Deutschlands verloren eine Zeit lang mehr oder weniger den Kopf und fügten sich den meisten Forderungen des „Volkes"; die „Volksmänner" wurden teilweise in die Ministerien berufen. Daß durch diese Bewegungen auch die deutsche Frage wieder in Fluß kam, konnte nicht fehlen. Zwar war der radikalen Partei an Deutschland wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/299>, abgerufen am 22.06.2024.