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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

allerlei in den weiten Falten seines Kastens. Dann blickte er hinaus nach dem
Himmel und spähte nach der Windrichtung. Der Himmel war ziemlich wolkenlos,
nur im Osten lag eine dunkle Wolkenwand, die für später Regen verhieß. Einzelne
Sterne blinkten zwischen leichten Wölkchen herbor, von keinem Mondenschein zurück¬
gedrängt. Der Wind, der über sein Antlitz strich, schien weniger kalt als vorhin.

Es muß sein, sagte er keine, nahm ein weiches Tuch, welches Scilome im
Zorne beim Hinausstürzen fortgeschleudert hatte, und ging dann mit vorsichtigen,
leisen Schritten durch das Haus bis in das Gemach, wo die gemeinschaftliche
Schlafstätte war.

Auf einem niedrigen Polster lag Salome, neben ihr die beiden Kinder.
Sie hatte beide mit den Armen an sich gedrückt, doch der Schlaf hatte ihre
Glieder gelöst, ihre Arme lagen nun schlaff auf dem Lager, und im un¬
ruhigen Kinderschlafe hatten sich die Kleinen von ihr abgewendet. Das flackernde
Licht eines Lämpchens warf unruhige Schatten über die Schlafenden.

Leise auf den Zehen stahl sich David an das Lager, kniete nieder, schob
vorsichtig den Arm unter die kleine Nadel, und indem er sie sanft an sich zog,
warf er mit einer raschen Bewegung das Tuch über sie -- gerade im richtigen
Augenblicke. Schon hatte sich das kleine Kinderantlitz weinerlich verzogen, da
wurde sie leidenschaftlich an das laut pochende Herz ihres Vaters gepreßt, ein
Kuß und ein leise geflüsterter Zuspruch beruhigte sie. Die halb geöffneten
blauen Augen fielen wieder zu, sie schmiegte sich in die weichen Falten des
Tuches und schlief weiter.

David atmete tief ans -- die Hälfte seines Planes war gelungen. Nach¬
dem er das Tuch um sich befestigt hatte, so daß Nadel geborgen ruhte und
doch seine weitern Bewegungen nicht hemmte, versuchte er um auch die kleine
Rebekka von Salomes Seite zu ziehen. Aber vielleicht war sein Griff doch
nicht so sicher, seine Hand durch die Last, die er trug, gehindert -- die Kleine
schrak bei der ersten, leisen Berührung zusammen. Salome erwachte durch einen
Laut, den das Kind ausstieß, streckte halb schlafend die Hand aus, zog sie näher
und legte den Arm um sie.

Regungslos war David in der halb gebückten Stellung geblieben, er wagte
kaum zu atmen. Die Zeit drängte. Erwachte Salome vollends, so war sein
Plan rettungslos gescheitert. Auch warten durfte er nicht länger, wenn er nicht
alles aufs Spiel setzen wollte.

In heftigem, innern: Kampfe blieb er unentschlossen stehen. Da regte sich
Nadel und versuchte ein Ärmchen frei zu bekommen. Noch eine Minute Zögerns,
und auch sie mußte ihm wieder verloren sein.

Noch einmal blickte er auf Salome herab. Ju dem Halbdunkel erschien
ihr Antlitz noch finsterer und drohender als sonst. Sie hatte die eine Hand
zusammen geballt auf den Busen gelegt, die Stirn war in strenge Falten ge¬
zogen, die schmalen Lippen fest zusammen gepreßt.


David Beronski.

allerlei in den weiten Falten seines Kastens. Dann blickte er hinaus nach dem
Himmel und spähte nach der Windrichtung. Der Himmel war ziemlich wolkenlos,
nur im Osten lag eine dunkle Wolkenwand, die für später Regen verhieß. Einzelne
Sterne blinkten zwischen leichten Wölkchen herbor, von keinem Mondenschein zurück¬
gedrängt. Der Wind, der über sein Antlitz strich, schien weniger kalt als vorhin.

Es muß sein, sagte er keine, nahm ein weiches Tuch, welches Scilome im
Zorne beim Hinausstürzen fortgeschleudert hatte, und ging dann mit vorsichtigen,
leisen Schritten durch das Haus bis in das Gemach, wo die gemeinschaftliche
Schlafstätte war.

Auf einem niedrigen Polster lag Salome, neben ihr die beiden Kinder.
Sie hatte beide mit den Armen an sich gedrückt, doch der Schlaf hatte ihre
Glieder gelöst, ihre Arme lagen nun schlaff auf dem Lager, und im un¬
ruhigen Kinderschlafe hatten sich die Kleinen von ihr abgewendet. Das flackernde
Licht eines Lämpchens warf unruhige Schatten über die Schlafenden.

Leise auf den Zehen stahl sich David an das Lager, kniete nieder, schob
vorsichtig den Arm unter die kleine Nadel, und indem er sie sanft an sich zog,
warf er mit einer raschen Bewegung das Tuch über sie — gerade im richtigen
Augenblicke. Schon hatte sich das kleine Kinderantlitz weinerlich verzogen, da
wurde sie leidenschaftlich an das laut pochende Herz ihres Vaters gepreßt, ein
Kuß und ein leise geflüsterter Zuspruch beruhigte sie. Die halb geöffneten
blauen Augen fielen wieder zu, sie schmiegte sich in die weichen Falten des
Tuches und schlief weiter.

David atmete tief ans — die Hälfte seines Planes war gelungen. Nach¬
dem er das Tuch um sich befestigt hatte, so daß Nadel geborgen ruhte und
doch seine weitern Bewegungen nicht hemmte, versuchte er um auch die kleine
Rebekka von Salomes Seite zu ziehen. Aber vielleicht war sein Griff doch
nicht so sicher, seine Hand durch die Last, die er trug, gehindert — die Kleine
schrak bei der ersten, leisen Berührung zusammen. Salome erwachte durch einen
Laut, den das Kind ausstieß, streckte halb schlafend die Hand aus, zog sie näher
und legte den Arm um sie.

Regungslos war David in der halb gebückten Stellung geblieben, er wagte
kaum zu atmen. Die Zeit drängte. Erwachte Salome vollends, so war sein
Plan rettungslos gescheitert. Auch warten durfte er nicht länger, wenn er nicht
alles aufs Spiel setzen wollte.

In heftigem, innern: Kampfe blieb er unentschlossen stehen. Da regte sich
Nadel und versuchte ein Ärmchen frei zu bekommen. Noch eine Minute Zögerns,
und auch sie mußte ihm wieder verloren sein.

Noch einmal blickte er auf Salome herab. Ju dem Halbdunkel erschien
ihr Antlitz noch finsterer und drohender als sonst. Sie hatte die eine Hand
zusammen geballt auf den Busen gelegt, die Stirn war in strenge Falten ge¬
zogen, die schmalen Lippen fest zusammen gepreßt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/263>, abgerufen am 22.06.2024.