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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Soiintagsphilosoxhcn.

selbst ergänze oder die Wendung gerade von der Seite nehme, die nach dem Zu¬
sammenhange eben die rechte ist, d. h. das Suchen der Wahrheit kaun des Guten
gar uicht entbehren, das die Sache selbst suchen will über die Jchheit hinaus und
auch die treue Hingebung des guten Willens übt, in den Dcnkkreis des Andern
hineinzutrcten, als wäre es sein eigner, also: dem Gegner zu helfen, nicht um
seinetwillen, sondern um der über beiden stehenden gesuchten Sache willen. Im
gewöhnlichen Leben freilich gilt das Gegenteil bei manchen als eine besondere
Kunst, das Geschick, in der Rede des Andern Lücken und Mehrdeutigkeiten zu
erHaschen, aus Wortlücken Sachlücken zu machen zu augenblicklichem Triumph
über den Gegner. In der Jugend, z. B. in der Schulzeit, übt sich Wohl jeder
mit Lust in dieser geistigen Fechtkunst. Aber im Laufe der Jahre kommt Wohl
auch einer, der sie besonders gut kann, davon zurück durch die Erfahrung, daß
sich an den augenblicklichen Triumph ein Schade hängt für den Ernst der Sache
und damit auch für ihn, und daß es eine größere Kraftäußerung ist, dem eben
fraglichen Ganzen zu dienen als nur sich selber.

So eng hängen Wahr und Gut zusammen, sobald man mit dem ersten
Ernst macht. Und das Schöne? Ja, wo Wahr und Gut treulich zusammenstehen,
tritt es von selbst dazu. Wo im Streit einer sich herbeiläßt, z. B. dem Andern
in einem Punkte voll Recht zu geben wider seine anfängliche Meinung, wo er
in der Rede über sich hinaus die Sache rein in sich wirken läßt, da nimmt
unwillkürlich seine Stimme einen Klang, seine Miene einen Schein an, die schön
sind, so schön wohl, als es seiner Natur überhaupt gegeben ist. Das Schöne
wächst von selbst zwischen dem Guten und Wahren, hier wie überall, die drei
bleiben doch verschwistert als Dreieinheit.




Tagebuchblätter eines Soiintagsphilosoxhcn.

selbst ergänze oder die Wendung gerade von der Seite nehme, die nach dem Zu¬
sammenhange eben die rechte ist, d. h. das Suchen der Wahrheit kaun des Guten
gar uicht entbehren, das die Sache selbst suchen will über die Jchheit hinaus und
auch die treue Hingebung des guten Willens übt, in den Dcnkkreis des Andern
hineinzutrcten, als wäre es sein eigner, also: dem Gegner zu helfen, nicht um
seinetwillen, sondern um der über beiden stehenden gesuchten Sache willen. Im
gewöhnlichen Leben freilich gilt das Gegenteil bei manchen als eine besondere
Kunst, das Geschick, in der Rede des Andern Lücken und Mehrdeutigkeiten zu
erHaschen, aus Wortlücken Sachlücken zu machen zu augenblicklichem Triumph
über den Gegner. In der Jugend, z. B. in der Schulzeit, übt sich Wohl jeder
mit Lust in dieser geistigen Fechtkunst. Aber im Laufe der Jahre kommt Wohl
auch einer, der sie besonders gut kann, davon zurück durch die Erfahrung, daß
sich an den augenblicklichen Triumph ein Schade hängt für den Ernst der Sache
und damit auch für ihn, und daß es eine größere Kraftäußerung ist, dem eben
fraglichen Ganzen zu dienen als nur sich selber.

So eng hängen Wahr und Gut zusammen, sobald man mit dem ersten
Ernst macht. Und das Schöne? Ja, wo Wahr und Gut treulich zusammenstehen,
tritt es von selbst dazu. Wo im Streit einer sich herbeiläßt, z. B. dem Andern
in einem Punkte voll Recht zu geben wider seine anfängliche Meinung, wo er
in der Rede über sich hinaus die Sache rein in sich wirken läßt, da nimmt
unwillkürlich seine Stimme einen Klang, seine Miene einen Schein an, die schön
sind, so schön wohl, als es seiner Natur überhaupt gegeben ist. Das Schöne
wächst von selbst zwischen dem Guten und Wahren, hier wie überall, die drei
bleiben doch verschwistert als Dreieinheit.




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[0259] Tagebuchblätter eines Soiintagsphilosoxhcn. selbst ergänze oder die Wendung gerade von der Seite nehme, die nach dem Zu¬ sammenhange eben die rechte ist, d. h. das Suchen der Wahrheit kaun des Guten gar uicht entbehren, das die Sache selbst suchen will über die Jchheit hinaus und auch die treue Hingebung des guten Willens übt, in den Dcnkkreis des Andern hineinzutrcten, als wäre es sein eigner, also: dem Gegner zu helfen, nicht um seinetwillen, sondern um der über beiden stehenden gesuchten Sache willen. Im gewöhnlichen Leben freilich gilt das Gegenteil bei manchen als eine besondere Kunst, das Geschick, in der Rede des Andern Lücken und Mehrdeutigkeiten zu erHaschen, aus Wortlücken Sachlücken zu machen zu augenblicklichem Triumph über den Gegner. In der Jugend, z. B. in der Schulzeit, übt sich Wohl jeder mit Lust in dieser geistigen Fechtkunst. Aber im Laufe der Jahre kommt Wohl auch einer, der sie besonders gut kann, davon zurück durch die Erfahrung, daß sich an den augenblicklichen Triumph ein Schade hängt für den Ernst der Sache und damit auch für ihn, und daß es eine größere Kraftäußerung ist, dem eben fraglichen Ganzen zu dienen als nur sich selber. So eng hängen Wahr und Gut zusammen, sobald man mit dem ersten Ernst macht. Und das Schöne? Ja, wo Wahr und Gut treulich zusammenstehen, tritt es von selbst dazu. Wo im Streit einer sich herbeiläßt, z. B. dem Andern in einem Punkte voll Recht zu geben wider seine anfängliche Meinung, wo er in der Rede über sich hinaus die Sache rein in sich wirken läßt, da nimmt unwillkürlich seine Stimme einen Klang, seine Miene einen Schein an, die schön sind, so schön wohl, als es seiner Natur überhaupt gegeben ist. Das Schöne wächst von selbst zwischen dem Guten und Wahren, hier wie überall, die drei bleiben doch verschwistert als Dreieinheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/259>, abgerufen am 22.06.2024.