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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Kind meines Herzens! Höre die Stimme deiner Mutter, weise mich nicht wie
eine Bettlerin fort --

Du weinst ja! du denkst, nun wird er alles thun, weil deine Thränen ihn
vermochten, ein Weib zu nehmen, schrie Salome, indem sie ihrer zornigen Er¬
bitterung freien Lauf ließ. Ja, berede deinen Sohn, die Gebetsriemen wieder
anzulegen, den Sabbat zu heiligen und den Gcbetsmantel umzuhängen. Schicke
ihn doch wieder in die Schule, damit er unter die Zuchtrute komme und noch
einmal gehorchen lerne! Nein! In den Gassen sollte man mit den Fingern auf
ihn weisen, und jeder sollte es wissen, daß er ein Abtrünniger ist, der Weib und
Kinder betrogen und verraten hat. Ein Hustenanfall schnitt ihr die Rede ab.

Schweig! Er ist dein Herr und Gebieter, deine Zunge soll sich nicht gegen
ihn auflehnen! sagte Rebekka streng und würdevoll.

Salome! erwiederte David mit mildem Ernste, indem er vergebens ihre
Hand zu fassen suchte. Wohl habe ich dich zum Weibe genommen, um die
Thränen meiner Mutter zu trocknen, aber nie habe ich dich entgelten lassen,
daß mein Herz dich nicht gewählt hatte. Laß mich ruhig meinen Weg gehen --

Soll ich als eine Verlassene unter den Weibern unsers Volkes dastehen?
Der Rabbi wird den Fluch über dich aussprechen, und wer wird sich dann
meiner annehmen? Ich werde eine Ausgestoßene, Verachtete sein und meine
Kinder gleich Geächteten. Verflucht sei der Tag, an dem du deine Hand aus¬
strecktest, mich zu berühren, verflucht die Stunde, in der ich dein Weib ward!

Schreiend stürzte sie hinaus. Ein eiskalter Wind stieß in die offne Thür.

Sie wird sich den Tod holen! rief David und wollte ihr nacheilen, indem
er laut ihren Namen rief, doch Rebekka zog ihn hastig herein und schloß fest
die Thür, obgleich ihre Hände zitterten und kaum das Schloß fanden.

Unsre Schmach wird auf den Gassen ausgerufen werden, in Sack und
Asche müssen wir gehen -- so dankst du uns unsre Liebe! rief sie, vor Angst
und Erregung schluchzend. Wohin soll ich mich wenden, wo mich verbergen,
wenn sie mit Fingern auf mich zeigen werden? Ich Unglückliche! Kein Segen,
ein Fluch sind die Kinder! Was habe ich gethan, daß ich so gestraft werde?

O Mutter! Habe Erbarmen! Verzeihe mir, was ich dir anthun muß,
ich kann ja nicht anders! rief David, ihre Kniee umklammernd.

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog sein Haupt an ihre Brust.

Laß ab von deinem Beginnen, flüsterte sie weinend und zitternd. Verbirg
deine Gedanken, braucht sie doch niemand zu kennen. Lebe ruhig weiter wie
bisher, sei glücklich mit deinen Kindern, stürze sie und uns nicht in unabsehbares
Elend! Das Glück, die Zukunft deines Hauses liegt in deinen Händen. Du
sollst ja nichts thun als schweigen, alles ruhig gehen lassen und stille sein.
Kannst du uicht so viel für deine Mutter thun? (Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
David Beronski.

Kind meines Herzens! Höre die Stimme deiner Mutter, weise mich nicht wie
eine Bettlerin fort —

Du weinst ja! du denkst, nun wird er alles thun, weil deine Thränen ihn
vermochten, ein Weib zu nehmen, schrie Salome, indem sie ihrer zornigen Er¬
bitterung freien Lauf ließ. Ja, berede deinen Sohn, die Gebetsriemen wieder
anzulegen, den Sabbat zu heiligen und den Gcbetsmantel umzuhängen. Schicke
ihn doch wieder in die Schule, damit er unter die Zuchtrute komme und noch
einmal gehorchen lerne! Nein! In den Gassen sollte man mit den Fingern auf
ihn weisen, und jeder sollte es wissen, daß er ein Abtrünniger ist, der Weib und
Kinder betrogen und verraten hat. Ein Hustenanfall schnitt ihr die Rede ab.

Schweig! Er ist dein Herr und Gebieter, deine Zunge soll sich nicht gegen
ihn auflehnen! sagte Rebekka streng und würdevoll.

Salome! erwiederte David mit mildem Ernste, indem er vergebens ihre
Hand zu fassen suchte. Wohl habe ich dich zum Weibe genommen, um die
Thränen meiner Mutter zu trocknen, aber nie habe ich dich entgelten lassen,
daß mein Herz dich nicht gewählt hatte. Laß mich ruhig meinen Weg gehen —

Soll ich als eine Verlassene unter den Weibern unsers Volkes dastehen?
Der Rabbi wird den Fluch über dich aussprechen, und wer wird sich dann
meiner annehmen? Ich werde eine Ausgestoßene, Verachtete sein und meine
Kinder gleich Geächteten. Verflucht sei der Tag, an dem du deine Hand aus¬
strecktest, mich zu berühren, verflucht die Stunde, in der ich dein Weib ward!

Schreiend stürzte sie hinaus. Ein eiskalter Wind stieß in die offne Thür.

Sie wird sich den Tod holen! rief David und wollte ihr nacheilen, indem
er laut ihren Namen rief, doch Rebekka zog ihn hastig herein und schloß fest
die Thür, obgleich ihre Hände zitterten und kaum das Schloß fanden.

Unsre Schmach wird auf den Gassen ausgerufen werden, in Sack und
Asche müssen wir gehen — so dankst du uns unsre Liebe! rief sie, vor Angst
und Erregung schluchzend. Wohin soll ich mich wenden, wo mich verbergen,
wenn sie mit Fingern auf mich zeigen werden? Ich Unglückliche! Kein Segen,
ein Fluch sind die Kinder! Was habe ich gethan, daß ich so gestraft werde?

O Mutter! Habe Erbarmen! Verzeihe mir, was ich dir anthun muß,
ich kann ja nicht anders! rief David, ihre Kniee umklammernd.

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog sein Haupt an ihre Brust.

Laß ab von deinem Beginnen, flüsterte sie weinend und zitternd. Verbirg
deine Gedanken, braucht sie doch niemand zu kennen. Lebe ruhig weiter wie
bisher, sei glücklich mit deinen Kindern, stürze sie und uns nicht in unabsehbares
Elend! Das Glück, die Zukunft deines Hauses liegt in deinen Händen. Du
sollst ja nichts thun als schweigen, alles ruhig gehen lassen und stille sein.
Kannst du uicht so viel für deine Mutter thun? (Fortsetzung folgt.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0224] David Beronski. Kind meines Herzens! Höre die Stimme deiner Mutter, weise mich nicht wie eine Bettlerin fort — Du weinst ja! du denkst, nun wird er alles thun, weil deine Thränen ihn vermochten, ein Weib zu nehmen, schrie Salome, indem sie ihrer zornigen Er¬ bitterung freien Lauf ließ. Ja, berede deinen Sohn, die Gebetsriemen wieder anzulegen, den Sabbat zu heiligen und den Gcbetsmantel umzuhängen. Schicke ihn doch wieder in die Schule, damit er unter die Zuchtrute komme und noch einmal gehorchen lerne! Nein! In den Gassen sollte man mit den Fingern auf ihn weisen, und jeder sollte es wissen, daß er ein Abtrünniger ist, der Weib und Kinder betrogen und verraten hat. Ein Hustenanfall schnitt ihr die Rede ab. Schweig! Er ist dein Herr und Gebieter, deine Zunge soll sich nicht gegen ihn auflehnen! sagte Rebekka streng und würdevoll. Salome! erwiederte David mit mildem Ernste, indem er vergebens ihre Hand zu fassen suchte. Wohl habe ich dich zum Weibe genommen, um die Thränen meiner Mutter zu trocknen, aber nie habe ich dich entgelten lassen, daß mein Herz dich nicht gewählt hatte. Laß mich ruhig meinen Weg gehen — Soll ich als eine Verlassene unter den Weibern unsers Volkes dastehen? Der Rabbi wird den Fluch über dich aussprechen, und wer wird sich dann meiner annehmen? Ich werde eine Ausgestoßene, Verachtete sein und meine Kinder gleich Geächteten. Verflucht sei der Tag, an dem du deine Hand aus¬ strecktest, mich zu berühren, verflucht die Stunde, in der ich dein Weib ward! Schreiend stürzte sie hinaus. Ein eiskalter Wind stieß in die offne Thür. Sie wird sich den Tod holen! rief David und wollte ihr nacheilen, indem er laut ihren Namen rief, doch Rebekka zog ihn hastig herein und schloß fest die Thür, obgleich ihre Hände zitterten und kaum das Schloß fanden. Unsre Schmach wird auf den Gassen ausgerufen werden, in Sack und Asche müssen wir gehen — so dankst du uns unsre Liebe! rief sie, vor Angst und Erregung schluchzend. Wohin soll ich mich wenden, wo mich verbergen, wenn sie mit Fingern auf mich zeigen werden? Ich Unglückliche! Kein Segen, ein Fluch sind die Kinder! Was habe ich gethan, daß ich so gestraft werde? O Mutter! Habe Erbarmen! Verzeihe mir, was ich dir anthun muß, ich kann ja nicht anders! rief David, ihre Kniee umklammernd. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog sein Haupt an ihre Brust. Laß ab von deinem Beginnen, flüsterte sie weinend und zitternd. Verbirg deine Gedanken, braucht sie doch niemand zu kennen. Lebe ruhig weiter wie bisher, sei glücklich mit deinen Kindern, stürze sie und uns nicht in unabsehbares Elend! Das Glück, die Zukunft deines Hauses liegt in deinen Händen. Du sollst ja nichts thun als schweigen, alles ruhig gehen lassen und stille sein. Kannst du uicht so viel für deine Mutter thun? (Fortsetzung folgt.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/224>, abgerufen am 27.06.2024.