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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski,

aus Knechtschaft und Gefahr errettet, zu Macht und Herrlichkeit geführt hat,
von demselben Volke getötet, gekreuzigt worden ist? Von uns, seinen Ge¬
schöpfen! Denen, die anbetend im Staube vor ihm liegen müßten, von der
Herrlichkeit seiner Gegenwart getroffen und vernichtet! Ja, weint über euch und
eure Kiuder! Sind wir nicht diese Kinder, die unter dem Fluche jeues nie zu
sühnenden Verbrechens liegen? Gefangen ist unser Sinn, unser Geist gebunden,
daß wir ihn nicht erkennen können -- das ist die Erfüllung des Fluches! Ihn,
der da wahrhaftig auferstanden ist, von dem Gamaliel sagt: Es wird sich zeigen,
ob seine Lehre vou Gott sei. Ja, wahrlich ist sie von Gott, sein heiliger Geist
bezeugt es! O großer Heiland, Erretter, Versöhner! Ich rufe zu dir, erbarme
dich unser!

Wie ein Feuerstrom waren die begeisterten Worte über die starr dastehenden
Frauen dahin gebraust. Wie die Nacht vor der aufgehenden Sonne, so waren
Furcht und Besorgnis aus Davids Seele gewichen, sein Haupt hob sich frei,
sein Antlitz strahlte vor innerer Freude und Begeisterung.

Mutter! Höre meine Worte! Salome, Weib! folge meinem Wunsche und
zusammen wollen wir unsre Kinder --

Schweig, Unseliger! rief Rebekka, sich endlich aufraffend. Ein böser Geist
ist in dich gefahren. Tochter, er ist besessen! Es ist nicht David, mein Sohn,
der da redet, es ist ein unsauberer, fremdartiger Geist --

Ein Geist, den du aufgezogen hast, unterbrach sie Salome gellend. Aus¬
gestoßen muß er werden und der Fluch über ihn ausgesprochen!

Er ist dein Mann! Sieh, er ist krank, wir wollen niemand davon sagen.
Sein Geist wird wieder klar werden, und er wird seine Worte widerrufen.

Nein! Alle sollten es wissen, damit er gestraft und dadurch gebessert würde,
schrie Salome mit hochroten Wangen und keuchenden Atem, in nicht mehr zu
zügelnder Aufregung. Vor der großen Versammlung müßte er Abbitte leisten
und ius Gefängnis gesperrt werden, bis er zur Besinnung gekommen ist!

Er ist der Vater deiner Kinder, er wird ihnen zuliebe --

Deine Schwäche hat ihn so weit kommen lassen. Ein ungehorsames Kind
hast du dir auferzogen, einen Abtrünnigen! Man sollte auch dich mit strafe".
Ich will keine Gemeinschaft mehr mit euch haben --

Ihr Atem stockte, sie mußte nach Luft ringen, eine jähe Blässe überzog
ihre scharfen Züge, indes einige Tropfen Blut auf ihre Lippen traten, die sie
hastig abwischte, ohne in ihrer übermächtigen Erregung darauf zu achten.

Mutter, wird auch deine Liebe mich verlassen? fragte David.

Wie kann ich ein Kind lieben, das mich bis ins tiefste Herz verwundet
und kränkt? rief Rebekka aufschluchzend. Muß ich nicht wünschen, Adonai hätte
lieber meinen Schoß verschlossen, als mir einen Sohn zu geben, der mich mit
Schmach und Schande bedeckt? O David, David! Nimm deine Worte zurück!
Bist du doch von deinem ersten Atemzuge an immer ein guter Sohn gewesen.


David Beronski,

aus Knechtschaft und Gefahr errettet, zu Macht und Herrlichkeit geführt hat,
von demselben Volke getötet, gekreuzigt worden ist? Von uns, seinen Ge¬
schöpfen! Denen, die anbetend im Staube vor ihm liegen müßten, von der
Herrlichkeit seiner Gegenwart getroffen und vernichtet! Ja, weint über euch und
eure Kiuder! Sind wir nicht diese Kinder, die unter dem Fluche jeues nie zu
sühnenden Verbrechens liegen? Gefangen ist unser Sinn, unser Geist gebunden,
daß wir ihn nicht erkennen können — das ist die Erfüllung des Fluches! Ihn,
der da wahrhaftig auferstanden ist, von dem Gamaliel sagt: Es wird sich zeigen,
ob seine Lehre vou Gott sei. Ja, wahrlich ist sie von Gott, sein heiliger Geist
bezeugt es! O großer Heiland, Erretter, Versöhner! Ich rufe zu dir, erbarme
dich unser!

Wie ein Feuerstrom waren die begeisterten Worte über die starr dastehenden
Frauen dahin gebraust. Wie die Nacht vor der aufgehenden Sonne, so waren
Furcht und Besorgnis aus Davids Seele gewichen, sein Haupt hob sich frei,
sein Antlitz strahlte vor innerer Freude und Begeisterung.

Mutter! Höre meine Worte! Salome, Weib! folge meinem Wunsche und
zusammen wollen wir unsre Kinder —

Schweig, Unseliger! rief Rebekka, sich endlich aufraffend. Ein böser Geist
ist in dich gefahren. Tochter, er ist besessen! Es ist nicht David, mein Sohn,
der da redet, es ist ein unsauberer, fremdartiger Geist —

Ein Geist, den du aufgezogen hast, unterbrach sie Salome gellend. Aus¬
gestoßen muß er werden und der Fluch über ihn ausgesprochen!

Er ist dein Mann! Sieh, er ist krank, wir wollen niemand davon sagen.
Sein Geist wird wieder klar werden, und er wird seine Worte widerrufen.

Nein! Alle sollten es wissen, damit er gestraft und dadurch gebessert würde,
schrie Salome mit hochroten Wangen und keuchenden Atem, in nicht mehr zu
zügelnder Aufregung. Vor der großen Versammlung müßte er Abbitte leisten
und ius Gefängnis gesperrt werden, bis er zur Besinnung gekommen ist!

Er ist der Vater deiner Kinder, er wird ihnen zuliebe —

Deine Schwäche hat ihn so weit kommen lassen. Ein ungehorsames Kind
hast du dir auferzogen, einen Abtrünnigen! Man sollte auch dich mit strafe».
Ich will keine Gemeinschaft mehr mit euch haben —

Ihr Atem stockte, sie mußte nach Luft ringen, eine jähe Blässe überzog
ihre scharfen Züge, indes einige Tropfen Blut auf ihre Lippen traten, die sie
hastig abwischte, ohne in ihrer übermächtigen Erregung darauf zu achten.

Mutter, wird auch deine Liebe mich verlassen? fragte David.

Wie kann ich ein Kind lieben, das mich bis ins tiefste Herz verwundet
und kränkt? rief Rebekka aufschluchzend. Muß ich nicht wünschen, Adonai hätte
lieber meinen Schoß verschlossen, als mir einen Sohn zu geben, der mich mit
Schmach und Schande bedeckt? O David, David! Nimm deine Worte zurück!
Bist du doch von deinem ersten Atemzuge an immer ein guter Sohn gewesen.


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[0223] David Beronski, aus Knechtschaft und Gefahr errettet, zu Macht und Herrlichkeit geführt hat, von demselben Volke getötet, gekreuzigt worden ist? Von uns, seinen Ge¬ schöpfen! Denen, die anbetend im Staube vor ihm liegen müßten, von der Herrlichkeit seiner Gegenwart getroffen und vernichtet! Ja, weint über euch und eure Kiuder! Sind wir nicht diese Kinder, die unter dem Fluche jeues nie zu sühnenden Verbrechens liegen? Gefangen ist unser Sinn, unser Geist gebunden, daß wir ihn nicht erkennen können — das ist die Erfüllung des Fluches! Ihn, der da wahrhaftig auferstanden ist, von dem Gamaliel sagt: Es wird sich zeigen, ob seine Lehre vou Gott sei. Ja, wahrlich ist sie von Gott, sein heiliger Geist bezeugt es! O großer Heiland, Erretter, Versöhner! Ich rufe zu dir, erbarme dich unser! Wie ein Feuerstrom waren die begeisterten Worte über die starr dastehenden Frauen dahin gebraust. Wie die Nacht vor der aufgehenden Sonne, so waren Furcht und Besorgnis aus Davids Seele gewichen, sein Haupt hob sich frei, sein Antlitz strahlte vor innerer Freude und Begeisterung. Mutter! Höre meine Worte! Salome, Weib! folge meinem Wunsche und zusammen wollen wir unsre Kinder — Schweig, Unseliger! rief Rebekka, sich endlich aufraffend. Ein böser Geist ist in dich gefahren. Tochter, er ist besessen! Es ist nicht David, mein Sohn, der da redet, es ist ein unsauberer, fremdartiger Geist — Ein Geist, den du aufgezogen hast, unterbrach sie Salome gellend. Aus¬ gestoßen muß er werden und der Fluch über ihn ausgesprochen! Er ist dein Mann! Sieh, er ist krank, wir wollen niemand davon sagen. Sein Geist wird wieder klar werden, und er wird seine Worte widerrufen. Nein! Alle sollten es wissen, damit er gestraft und dadurch gebessert würde, schrie Salome mit hochroten Wangen und keuchenden Atem, in nicht mehr zu zügelnder Aufregung. Vor der großen Versammlung müßte er Abbitte leisten und ius Gefängnis gesperrt werden, bis er zur Besinnung gekommen ist! Er ist der Vater deiner Kinder, er wird ihnen zuliebe — Deine Schwäche hat ihn so weit kommen lassen. Ein ungehorsames Kind hast du dir auferzogen, einen Abtrünnigen! Man sollte auch dich mit strafe». Ich will keine Gemeinschaft mehr mit euch haben — Ihr Atem stockte, sie mußte nach Luft ringen, eine jähe Blässe überzog ihre scharfen Züge, indes einige Tropfen Blut auf ihre Lippen traten, die sie hastig abwischte, ohne in ihrer übermächtigen Erregung darauf zu achten. Mutter, wird auch deine Liebe mich verlassen? fragte David. Wie kann ich ein Kind lieben, das mich bis ins tiefste Herz verwundet und kränkt? rief Rebekka aufschluchzend. Muß ich nicht wünschen, Adonai hätte lieber meinen Schoß verschlossen, als mir einen Sohn zu geben, der mich mit Schmach und Schande bedeckt? O David, David! Nimm deine Worte zurück! Bist du doch von deinem ersten Atemzuge an immer ein guter Sohn gewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/223>, abgerufen am 28.09.2024.