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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

wohlverstandenen Interessen Österreichs damals mindestens ebenso sehr wider¬
sprach, als Feind Deutschlands aufzutreten, wie das heutzutage der Fall sein
würde, das begriff der schlaue Staatsmann sehr wohl. Also mußte die Wieder¬
errichtung eines deutschen Reiches verhindert, also mußte eine Form gefunden
werden, unter der möglichst unmerklich, aber möglichst gründlich die Kräfte
Deutschlands und seiner Einzelstaaten für die österreichischen Sonderinteressen
ausgenutzt werden konnten. Daher war es hauptsächlich Österreich, welches
nichts davon wissen wollte, daß die Verheißungen von Kalisch unter irgend einer
Form erfüllt würden.

Von dem einseitigen Jnteressenstandpunkte dieses Staates und seiner Dynastie
aus betrachtet, lag hierin eine politische Logik, die man vielleicht mißbilligen,
aber die man begreifen kann. Schwerer zu begreifen ist es dagegen, warum
sich Österreich nicht sofort den Verbündeten anschloß und lediglich aus Eigen¬
nutz und Selbstsucht an dem Kriege gegen den Mann teilnahm, der es zu
wiederholten malen so schwer gedemütigt und so sehr verkleinert hatte. Denn
wenn die Verbündeten Mächte allein den Imperator stürzten, so ist schwer ab¬
zusehen, wie dann Österreich, welches nichts gethan hatte, beim Fnedensschlnsse
seine Rechnung finden wollte. Gelang es dagegen dem rachsüchtigen und un¬
versöhnlichen Korsen noch einmal, seine wankende Kaisermacht zu befestigen, so
konnte es nach dem bekannten Charakter dieses Mannes nicht zweifelhaft sein,
daß seine Rache schon dafür allein schwer auf Österreich fallen würde, daß es
sich ihm nicht angeschlossen hatte. Wer nicht für ihn war, der war gegen ihn.
Nur im engsten Anschlusse an die Verbündeten konnte Österreich darauf hoffen,
seine Verlornen Provinzen und seine Verlorne Machtstellung wieder zu erlangen.
Trotzdem zögerte es noch Monate lang, ehe es sich dem Bunde anschloß, und
als es endlich, nach Ablauf des Waffenstillstandes, an dem Kriege teilnahm, war
seine Kriegführung so schleppend und lahm, seine ganze Haltung so unentschlossen
und unklar, daß dadurch der vpfervolle Krieg um viele Monate verlängert
wurde.

Es ist viel darüber geschrieben und gestritten worden, was eigentlich Öster¬
reich zu dieser Politik veranlaßt hat. Man hat viel geredet von dem weichen
.Herzen des guten Kaisers Franz, der seine Tochter und seinen Schwiegersohn
nicht ganz habe fallen lassen wollen n. s. w. Verwandtschaftliche und Familien¬
verhältnisse haben jedoch nnr sehr selten in der großen Politik den Ausschlag
gegeben, und in diesem Falle sicher nicht. Denn Kaiser Franz, bei all seiner zur
Schau getragenen Biederkeit und Leutseligkeit, verlor niemals seinen politischen
Vorteil aus dem Auge; sentimental war der hohe Herr nicht, und seinem
Minister Metternich kann man diesen Fehler noch weniger vorwerfen. Das,
was Österreich zu dieser Politik bewog, war derselbe Grundzug, der für die
Staatskunst dieses Landes zwei Jahrhunderte lang, seit der Regierungszeit des
Großen Kurfürsten bis fast in die allerneueste Zeit hinein, bezeichnend und


Der deutsche Bund.

wohlverstandenen Interessen Österreichs damals mindestens ebenso sehr wider¬
sprach, als Feind Deutschlands aufzutreten, wie das heutzutage der Fall sein
würde, das begriff der schlaue Staatsmann sehr wohl. Also mußte die Wieder¬
errichtung eines deutschen Reiches verhindert, also mußte eine Form gefunden
werden, unter der möglichst unmerklich, aber möglichst gründlich die Kräfte
Deutschlands und seiner Einzelstaaten für die österreichischen Sonderinteressen
ausgenutzt werden konnten. Daher war es hauptsächlich Österreich, welches
nichts davon wissen wollte, daß die Verheißungen von Kalisch unter irgend einer
Form erfüllt würden.

Von dem einseitigen Jnteressenstandpunkte dieses Staates und seiner Dynastie
aus betrachtet, lag hierin eine politische Logik, die man vielleicht mißbilligen,
aber die man begreifen kann. Schwerer zu begreifen ist es dagegen, warum
sich Österreich nicht sofort den Verbündeten anschloß und lediglich aus Eigen¬
nutz und Selbstsucht an dem Kriege gegen den Mann teilnahm, der es zu
wiederholten malen so schwer gedemütigt und so sehr verkleinert hatte. Denn
wenn die Verbündeten Mächte allein den Imperator stürzten, so ist schwer ab¬
zusehen, wie dann Österreich, welches nichts gethan hatte, beim Fnedensschlnsse
seine Rechnung finden wollte. Gelang es dagegen dem rachsüchtigen und un¬
versöhnlichen Korsen noch einmal, seine wankende Kaisermacht zu befestigen, so
konnte es nach dem bekannten Charakter dieses Mannes nicht zweifelhaft sein,
daß seine Rache schon dafür allein schwer auf Österreich fallen würde, daß es
sich ihm nicht angeschlossen hatte. Wer nicht für ihn war, der war gegen ihn.
Nur im engsten Anschlusse an die Verbündeten konnte Österreich darauf hoffen,
seine Verlornen Provinzen und seine Verlorne Machtstellung wieder zu erlangen.
Trotzdem zögerte es noch Monate lang, ehe es sich dem Bunde anschloß, und
als es endlich, nach Ablauf des Waffenstillstandes, an dem Kriege teilnahm, war
seine Kriegführung so schleppend und lahm, seine ganze Haltung so unentschlossen
und unklar, daß dadurch der vpfervolle Krieg um viele Monate verlängert
wurde.

Es ist viel darüber geschrieben und gestritten worden, was eigentlich Öster¬
reich zu dieser Politik veranlaßt hat. Man hat viel geredet von dem weichen
.Herzen des guten Kaisers Franz, der seine Tochter und seinen Schwiegersohn
nicht ganz habe fallen lassen wollen n. s. w. Verwandtschaftliche und Familien¬
verhältnisse haben jedoch nnr sehr selten in der großen Politik den Ausschlag
gegeben, und in diesem Falle sicher nicht. Denn Kaiser Franz, bei all seiner zur
Schau getragenen Biederkeit und Leutseligkeit, verlor niemals seinen politischen
Vorteil aus dem Auge; sentimental war der hohe Herr nicht, und seinem
Minister Metternich kann man diesen Fehler noch weniger vorwerfen. Das,
was Österreich zu dieser Politik bewog, war derselbe Grundzug, der für die
Staatskunst dieses Landes zwei Jahrhunderte lang, seit der Regierungszeit des
Großen Kurfürsten bis fast in die allerneueste Zeit hinein, bezeichnend und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/190>, abgerufen am 21.06.2024.