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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

kommandirenden Generals staatsrechtlich nicht verpflichtend sein könne, über ihn
hinweg zur Tagesordnung überging.

Hätte wirklich und ernstlich ein neues, wiedergebornes Reich errichtet werden
sollen, so konnte das nur unter folgenden drei Bedingungen geschehen. Erstens
hätten nicht nur Preußen und Rußland, sondern auch Österreich über einen
klaren, festen und bestimmten Plan für diese politische Neugestaltung völlig
einig sein und in allen ihren politischen und militärischen Schritten und Ma߬
nahmen folgerichtig auf dieses eine Ziel hinarbeiten müssen. Zweitens Hütte
sich Österreich von Anfang an offen und rückhaltlos den Verbündeten an¬
schließen und thatkräftig und entschlossen an dem großen Kampfe teilnehmen
müssen. Drittens -- und das war nicht der am wenigsten wichtige Punkt --
hätte man den Nheinbundfürsten gegenüber die allerrücksichisloseste und schroffste
Energie walten lassen müssen. Von diesen drei Punkten traf aber nicht einer
zu. Die leitenden Staatsmänner Preußens und ihr Monarch hatten unzweifel¬
haft den guten Willen, das auszuführen, was verheißen war. Kaiser Alexander
würde wahrscheinlich der Wiederaufrichtung Deutschlands nicht geradezu wider¬
strebt haben, wenn dieses Reich nicht so mächtig wurde, daß es sich dem rus¬
sischen Einflüsse ganz entzogen hätte. Über einen bestimmten, durchführbaren
Plan war aber offenbar jede der beiden Regierungen nicht einmal für sich klar,
geschweige denn daß sie darüber einig gewesen wären. Denn "die schützende
Hand, welche der Kaiser von Rußland über sein Werk halten wollte," d. h. ein
ziemlich unverblümt angedeutetes Protektorat Rußlands, konnte für Preußen
nicht sehr verlockend sein. Dem Kaiser Franz aber und seinem allmächtigen
Minister, dem Herrn Wolfgang Klemens von Metternich, fehlte, abgesehen von
allem übrigen, auch schon der gute Wille, auch nur einen Finger für die Wieder¬
geburt Deutschlands zu rühren. Das alte ErzHaus Habsburg hatte von jeher
nur Hausinteresse und Hauspolitik gekannt. Die Lothringer wichen von der
althergebrachten Überlieferung des Herrschergeschlechts, dessen Erben sie waren,
nicht ab. Fürst Metternich entsprach also nur den Absichten seines kaiserlichen
Herrn, wenn seine selbstsüchtige Interessenpolitik nur solche Ziele verfolgte
welche dem ErzHause und seinen Landen, daneben auch noch der Aristokratie
und Hierarchie, zu Nutz und Frommen gereichten. Deutschland war für ihn
bekanntlich nur ein "geographischer Begriff," und daß er das Erstarken des
deutsch-patriotischen Geistes als eine gewaltige Gefahr für Österreich ansah, das
beweist nicht nur die Geschichte jener Zeit der Befreiungskriege, sondern auch
die jenes Menschenalters, in welchem die fast unumschränkte Leitung des großen
Dvnaureiches allein in seinen Händen lag. Die im vorigen Jahrhunderte oft
ausgesprochene Behauptung: "Österreich kann nur das Oberhaupt oder der Aeind
des deutschen Reiches sein" war für ihn ebenfalls Glaubenssatz. Daß Oster¬
reich jedoch unter irgend welcher Form des Kaisertums jemals Deutschland
würde wieder beherrschen können, das glaubte selbst er nicht. Daß es aber den


Der deutsche Bund.

kommandirenden Generals staatsrechtlich nicht verpflichtend sein könne, über ihn
hinweg zur Tagesordnung überging.

Hätte wirklich und ernstlich ein neues, wiedergebornes Reich errichtet werden
sollen, so konnte das nur unter folgenden drei Bedingungen geschehen. Erstens
hätten nicht nur Preußen und Rußland, sondern auch Österreich über einen
klaren, festen und bestimmten Plan für diese politische Neugestaltung völlig
einig sein und in allen ihren politischen und militärischen Schritten und Ma߬
nahmen folgerichtig auf dieses eine Ziel hinarbeiten müssen. Zweitens Hütte
sich Österreich von Anfang an offen und rückhaltlos den Verbündeten an¬
schließen und thatkräftig und entschlossen an dem großen Kampfe teilnehmen
müssen. Drittens — und das war nicht der am wenigsten wichtige Punkt —
hätte man den Nheinbundfürsten gegenüber die allerrücksichisloseste und schroffste
Energie walten lassen müssen. Von diesen drei Punkten traf aber nicht einer
zu. Die leitenden Staatsmänner Preußens und ihr Monarch hatten unzweifel¬
haft den guten Willen, das auszuführen, was verheißen war. Kaiser Alexander
würde wahrscheinlich der Wiederaufrichtung Deutschlands nicht geradezu wider¬
strebt haben, wenn dieses Reich nicht so mächtig wurde, daß es sich dem rus¬
sischen Einflüsse ganz entzogen hätte. Über einen bestimmten, durchführbaren
Plan war aber offenbar jede der beiden Regierungen nicht einmal für sich klar,
geschweige denn daß sie darüber einig gewesen wären. Denn „die schützende
Hand, welche der Kaiser von Rußland über sein Werk halten wollte," d. h. ein
ziemlich unverblümt angedeutetes Protektorat Rußlands, konnte für Preußen
nicht sehr verlockend sein. Dem Kaiser Franz aber und seinem allmächtigen
Minister, dem Herrn Wolfgang Klemens von Metternich, fehlte, abgesehen von
allem übrigen, auch schon der gute Wille, auch nur einen Finger für die Wieder¬
geburt Deutschlands zu rühren. Das alte ErzHaus Habsburg hatte von jeher
nur Hausinteresse und Hauspolitik gekannt. Die Lothringer wichen von der
althergebrachten Überlieferung des Herrschergeschlechts, dessen Erben sie waren,
nicht ab. Fürst Metternich entsprach also nur den Absichten seines kaiserlichen
Herrn, wenn seine selbstsüchtige Interessenpolitik nur solche Ziele verfolgte
welche dem ErzHause und seinen Landen, daneben auch noch der Aristokratie
und Hierarchie, zu Nutz und Frommen gereichten. Deutschland war für ihn
bekanntlich nur ein „geographischer Begriff," und daß er das Erstarken des
deutsch-patriotischen Geistes als eine gewaltige Gefahr für Österreich ansah, das
beweist nicht nur die Geschichte jener Zeit der Befreiungskriege, sondern auch
die jenes Menschenalters, in welchem die fast unumschränkte Leitung des großen
Dvnaureiches allein in seinen Händen lag. Die im vorigen Jahrhunderte oft
ausgesprochene Behauptung: „Österreich kann nur das Oberhaupt oder der Aeind
des deutschen Reiches sein" war für ihn ebenfalls Glaubenssatz. Daß Oster¬
reich jedoch unter irgend welcher Form des Kaisertums jemals Deutschland
würde wieder beherrschen können, das glaubte selbst er nicht. Daß es aber den


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[0189] Der deutsche Bund. kommandirenden Generals staatsrechtlich nicht verpflichtend sein könne, über ihn hinweg zur Tagesordnung überging. Hätte wirklich und ernstlich ein neues, wiedergebornes Reich errichtet werden sollen, so konnte das nur unter folgenden drei Bedingungen geschehen. Erstens hätten nicht nur Preußen und Rußland, sondern auch Österreich über einen klaren, festen und bestimmten Plan für diese politische Neugestaltung völlig einig sein und in allen ihren politischen und militärischen Schritten und Ma߬ nahmen folgerichtig auf dieses eine Ziel hinarbeiten müssen. Zweitens Hütte sich Österreich von Anfang an offen und rückhaltlos den Verbündeten an¬ schließen und thatkräftig und entschlossen an dem großen Kampfe teilnehmen müssen. Drittens — und das war nicht der am wenigsten wichtige Punkt — hätte man den Nheinbundfürsten gegenüber die allerrücksichisloseste und schroffste Energie walten lassen müssen. Von diesen drei Punkten traf aber nicht einer zu. Die leitenden Staatsmänner Preußens und ihr Monarch hatten unzweifel¬ haft den guten Willen, das auszuführen, was verheißen war. Kaiser Alexander würde wahrscheinlich der Wiederaufrichtung Deutschlands nicht geradezu wider¬ strebt haben, wenn dieses Reich nicht so mächtig wurde, daß es sich dem rus¬ sischen Einflüsse ganz entzogen hätte. Über einen bestimmten, durchführbaren Plan war aber offenbar jede der beiden Regierungen nicht einmal für sich klar, geschweige denn daß sie darüber einig gewesen wären. Denn „die schützende Hand, welche der Kaiser von Rußland über sein Werk halten wollte," d. h. ein ziemlich unverblümt angedeutetes Protektorat Rußlands, konnte für Preußen nicht sehr verlockend sein. Dem Kaiser Franz aber und seinem allmächtigen Minister, dem Herrn Wolfgang Klemens von Metternich, fehlte, abgesehen von allem übrigen, auch schon der gute Wille, auch nur einen Finger für die Wieder¬ geburt Deutschlands zu rühren. Das alte ErzHaus Habsburg hatte von jeher nur Hausinteresse und Hauspolitik gekannt. Die Lothringer wichen von der althergebrachten Überlieferung des Herrschergeschlechts, dessen Erben sie waren, nicht ab. Fürst Metternich entsprach also nur den Absichten seines kaiserlichen Herrn, wenn seine selbstsüchtige Interessenpolitik nur solche Ziele verfolgte welche dem ErzHause und seinen Landen, daneben auch noch der Aristokratie und Hierarchie, zu Nutz und Frommen gereichten. Deutschland war für ihn bekanntlich nur ein „geographischer Begriff," und daß er das Erstarken des deutsch-patriotischen Geistes als eine gewaltige Gefahr für Österreich ansah, das beweist nicht nur die Geschichte jener Zeit der Befreiungskriege, sondern auch die jenes Menschenalters, in welchem die fast unumschränkte Leitung des großen Dvnaureiches allein in seinen Händen lag. Die im vorigen Jahrhunderte oft ausgesprochene Behauptung: „Österreich kann nur das Oberhaupt oder der Aeind des deutschen Reiches sein" war für ihn ebenfalls Glaubenssatz. Daß Oster¬ reich jedoch unter irgend welcher Form des Kaisertums jemals Deutschland würde wieder beherrschen können, das glaubte selbst er nicht. Daß es aber den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/189>, abgerufen am 21.06.2024.