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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Zur Schulgeldfrage.

Fehlen jeder Abstufung nach der Steuerfähigkeit in umgekehrtem Verhältnis zu
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zu den sonstigen öffentlichen Lasten
stehe. Verschärft werde dieses Mißverhältnis vollends dadurch, daß, während
die Befreiung Dürftiger von den Staats-, Gemeinde-, ja selbst von den Schul¬
abgaben nach bestehenden Bestimmungen ohne besondre Schwierigkeiten zu be¬
wirken sei, beim Schulgelde eine Beitreibung unumgänglich werde, wo nicht
die Übernahme auf die Armenkasse habe erfolgen müssen.

Wenn trotzdem in Beziehung auf das Schulgeld Klagen in erheblichem
Maße noch nicht laut geworden seien, so finde das lediglich darin seine Er¬
klärung, daß man es mit einer aus alter Zeit überkommenen Last zu thun habe,
deren Fortbestand allgemein für unvermeidlich angesehen werde. Nach Ansicht
der Staatsregierung sei das Schulgeld als diejenige öffentliche Last anzusehen,
an welcher eine Erleichterung des unbemittelten Teiles der Bevölkerung am rich¬
tigsten und wirksamsten ins Ange gefaßt werden könne. Der neue Gesetzent¬
wurf schreibe die Aufhebung des Schulgeldes und an dessen Stelle die Zahlung
entsprechender Betrüge aus der Staatskasse an die Schulgemeinden vor, und
bezwecke als Erfolg dieser Maßregel, durch die Aufbringung dieser Mittel für
die Staatskasse und durch die in vielen Schulgemeinden notwendig werdende
Erhöhung der persönlichen Schulumlagen die als drückend erkannte Last nach
der allgemeinen Stcuerfühigleit, d. h. nach dem Einkommen, zu verteilen.

Eine solche Erleichterung der direkten öffentlichen Lasten für die unver¬
mögenden Klassen erscheine umso mehr geboten, als die indirekte Belastung
derselben neuerdings infolge der Reichsgesetzgebung über die Zölle gesteigert sei
und diese Steigerung der Staatskasse durch erhöhte Einnahmen in den Anteilen
an Neichszöllen und -Steuern zu Gute komme. Nach Ansicht der Staats¬
regierung werde die beabsichtigte Maßregel aber nicht nur einem dringenden prak¬
tischen Bedürfnis abhelfen, fondern gleichzeitig eine an sich berechtigte und mit
der Verfassung durchaus im Einklange befindliche Änderung in der Verteilung
der Schullasten herbeiführen. Allerdings sei das Schulgeld ursprünglich die
Bezahlung des Lehrers für dessen Dienste gewesen, und auch jetzt uoch bilde
es formell einen Teil der Lehrerbesolduug. Aber nachdem das Einkommen der
Lehrer gesetzlich festgestellt und die Schulgemeinden zur Leistung desselben ver¬
pflichtet seien, nachdem überhaupt der Staat die Volksschulbildung zu einer
seiner wesentlichsten Aufgaben gemacht und solches durch den gesetzlichen Zwang
zum Besuch der Volksschulen, durch staatliche Fürsorge für den Lehrerstand,
durch gesetzliche Ordnung und Beaufsichtigung der Schulverbäudc und durch
Aufwendung erheblicher Mittel zur Unterstützung dieser Verbünde bethätigt habe,
habe das Schulgeld längst seineu Charakter verloren und stehe sachlich eher den
öffentlichen Abgaben gleich, zumal da es hier nicht an den Besuch der Volks¬
schule, sondern in erster Linie an die Schulpflichtigkeit geknüpft sei. Wenn es
aber das staatliche Interesse sei, welches dazu führe, die Volksschule einzurichten


Zur Schulgeldfrage.

Fehlen jeder Abstufung nach der Steuerfähigkeit in umgekehrtem Verhältnis zu
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zu den sonstigen öffentlichen Lasten
stehe. Verschärft werde dieses Mißverhältnis vollends dadurch, daß, während
die Befreiung Dürftiger von den Staats-, Gemeinde-, ja selbst von den Schul¬
abgaben nach bestehenden Bestimmungen ohne besondre Schwierigkeiten zu be¬
wirken sei, beim Schulgelde eine Beitreibung unumgänglich werde, wo nicht
die Übernahme auf die Armenkasse habe erfolgen müssen.

Wenn trotzdem in Beziehung auf das Schulgeld Klagen in erheblichem
Maße noch nicht laut geworden seien, so finde das lediglich darin seine Er¬
klärung, daß man es mit einer aus alter Zeit überkommenen Last zu thun habe,
deren Fortbestand allgemein für unvermeidlich angesehen werde. Nach Ansicht
der Staatsregierung sei das Schulgeld als diejenige öffentliche Last anzusehen,
an welcher eine Erleichterung des unbemittelten Teiles der Bevölkerung am rich¬
tigsten und wirksamsten ins Ange gefaßt werden könne. Der neue Gesetzent¬
wurf schreibe die Aufhebung des Schulgeldes und an dessen Stelle die Zahlung
entsprechender Betrüge aus der Staatskasse an die Schulgemeinden vor, und
bezwecke als Erfolg dieser Maßregel, durch die Aufbringung dieser Mittel für
die Staatskasse und durch die in vielen Schulgemeinden notwendig werdende
Erhöhung der persönlichen Schulumlagen die als drückend erkannte Last nach
der allgemeinen Stcuerfühigleit, d. h. nach dem Einkommen, zu verteilen.

Eine solche Erleichterung der direkten öffentlichen Lasten für die unver¬
mögenden Klassen erscheine umso mehr geboten, als die indirekte Belastung
derselben neuerdings infolge der Reichsgesetzgebung über die Zölle gesteigert sei
und diese Steigerung der Staatskasse durch erhöhte Einnahmen in den Anteilen
an Neichszöllen und -Steuern zu Gute komme. Nach Ansicht der Staats¬
regierung werde die beabsichtigte Maßregel aber nicht nur einem dringenden prak¬
tischen Bedürfnis abhelfen, fondern gleichzeitig eine an sich berechtigte und mit
der Verfassung durchaus im Einklange befindliche Änderung in der Verteilung
der Schullasten herbeiführen. Allerdings sei das Schulgeld ursprünglich die
Bezahlung des Lehrers für dessen Dienste gewesen, und auch jetzt uoch bilde
es formell einen Teil der Lehrerbesolduug. Aber nachdem das Einkommen der
Lehrer gesetzlich festgestellt und die Schulgemeinden zur Leistung desselben ver¬
pflichtet seien, nachdem überhaupt der Staat die Volksschulbildung zu einer
seiner wesentlichsten Aufgaben gemacht und solches durch den gesetzlichen Zwang
zum Besuch der Volksschulen, durch staatliche Fürsorge für den Lehrerstand,
durch gesetzliche Ordnung und Beaufsichtigung der Schulverbäudc und durch
Aufwendung erheblicher Mittel zur Unterstützung dieser Verbünde bethätigt habe,
habe das Schulgeld längst seineu Charakter verloren und stehe sachlich eher den
öffentlichen Abgaben gleich, zumal da es hier nicht an den Besuch der Volks¬
schule, sondern in erster Linie an die Schulpflichtigkeit geknüpft sei. Wenn es
aber das staatliche Interesse sei, welches dazu führe, die Volksschule einzurichten


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[0143] Zur Schulgeldfrage. Fehlen jeder Abstufung nach der Steuerfähigkeit in umgekehrtem Verhältnis zu der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und zu den sonstigen öffentlichen Lasten stehe. Verschärft werde dieses Mißverhältnis vollends dadurch, daß, während die Befreiung Dürftiger von den Staats-, Gemeinde-, ja selbst von den Schul¬ abgaben nach bestehenden Bestimmungen ohne besondre Schwierigkeiten zu be¬ wirken sei, beim Schulgelde eine Beitreibung unumgänglich werde, wo nicht die Übernahme auf die Armenkasse habe erfolgen müssen. Wenn trotzdem in Beziehung auf das Schulgeld Klagen in erheblichem Maße noch nicht laut geworden seien, so finde das lediglich darin seine Er¬ klärung, daß man es mit einer aus alter Zeit überkommenen Last zu thun habe, deren Fortbestand allgemein für unvermeidlich angesehen werde. Nach Ansicht der Staatsregierung sei das Schulgeld als diejenige öffentliche Last anzusehen, an welcher eine Erleichterung des unbemittelten Teiles der Bevölkerung am rich¬ tigsten und wirksamsten ins Ange gefaßt werden könne. Der neue Gesetzent¬ wurf schreibe die Aufhebung des Schulgeldes und an dessen Stelle die Zahlung entsprechender Betrüge aus der Staatskasse an die Schulgemeinden vor, und bezwecke als Erfolg dieser Maßregel, durch die Aufbringung dieser Mittel für die Staatskasse und durch die in vielen Schulgemeinden notwendig werdende Erhöhung der persönlichen Schulumlagen die als drückend erkannte Last nach der allgemeinen Stcuerfühigleit, d. h. nach dem Einkommen, zu verteilen. Eine solche Erleichterung der direkten öffentlichen Lasten für die unver¬ mögenden Klassen erscheine umso mehr geboten, als die indirekte Belastung derselben neuerdings infolge der Reichsgesetzgebung über die Zölle gesteigert sei und diese Steigerung der Staatskasse durch erhöhte Einnahmen in den Anteilen an Neichszöllen und -Steuern zu Gute komme. Nach Ansicht der Staats¬ regierung werde die beabsichtigte Maßregel aber nicht nur einem dringenden prak¬ tischen Bedürfnis abhelfen, fondern gleichzeitig eine an sich berechtigte und mit der Verfassung durchaus im Einklange befindliche Änderung in der Verteilung der Schullasten herbeiführen. Allerdings sei das Schulgeld ursprünglich die Bezahlung des Lehrers für dessen Dienste gewesen, und auch jetzt uoch bilde es formell einen Teil der Lehrerbesolduug. Aber nachdem das Einkommen der Lehrer gesetzlich festgestellt und die Schulgemeinden zur Leistung desselben ver¬ pflichtet seien, nachdem überhaupt der Staat die Volksschulbildung zu einer seiner wesentlichsten Aufgaben gemacht und solches durch den gesetzlichen Zwang zum Besuch der Volksschulen, durch staatliche Fürsorge für den Lehrerstand, durch gesetzliche Ordnung und Beaufsichtigung der Schulverbäudc und durch Aufwendung erheblicher Mittel zur Unterstützung dieser Verbünde bethätigt habe, habe das Schulgeld längst seineu Charakter verloren und stehe sachlich eher den öffentlichen Abgaben gleich, zumal da es hier nicht an den Besuch der Volks¬ schule, sondern in erster Linie an die Schulpflichtigkeit geknüpft sei. Wenn es aber das staatliche Interesse sei, welches dazu führe, die Volksschule einzurichten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/143>, abgerufen am 28.09.2024.