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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Zur Schulgeldfrage,

süumnißstrafen Werden in den Augen der weniger gebildeten Kreise an Schärfe
verlieren, wenn es sich nicht mehr um die Versäumnis einer Pflicht handelt,
die einer Einrichtung entspringt, welche der Einzelne mit seinem eignen Gelde
bezahlen muß, sondern einer Einrichtung, deren Kosten teils der Staat selbst,
teils die Gemeinde in ihrer Gesamtheit trägt. Was die Verteilung der finan¬
ziellen Last betrifft, welche bei Aufhebung des Schulgeldes anderweit aufzu¬
bringen ist, so erscheint es nicht mehr als billig, daß der Staat diese Last inner¬
halb derjenigen Grenze übernimmt, die er bei der Festsetzung des Schulgeldes
selbst gezogen hat, daß er also den gesetzlichen Mindestbetrag des Volksschul-
geldcs auf seine Schultern nimmt, und ferner, daß die Gemeinden das Mehr
übernehmen, welches sie infolge erweiterter Einrichtungen einzelner Schulen
selbst geschaffen haben. Es ist unsers Erachtens eine umso größere Pflicht
und zugleich eine umso schönere Aufgabe des Staates, auf diesem Wege den
unbemittelten Klassen einen Ersatz zu gewähren für die indirekten Steuern, welche
diese mehr als die besser gestellten drücken, als die Überschüsse aus diesen Steuern
in seine Kasse fließen. Das, was den Gemeinden von dem Schulgelde zu tragen
übrig bleibt, kann billigerweise nur nach dem Fuß der Einkommensteuern ver¬
teilt werden.

In diesem Sinne ist man kürzlich in Oldenburg vorgegangen. Die olden-
bnrgischc Staatsregierung hat dem Landtage eine Gesetzvorlage gemacht, nach
welcher "für den Besuch der Volksschule ein Schulgeld ferner nicht entrichtet
werden soll." Für jedes die Schule am 13. Mai und 15. November besuchende
Kind soll der Schulgemeindc aus der Staatskasse jährlich drei Mark (der ge¬
setzliche Mindestbetrag des bisherigen Schulgeldes) bezahlt werden. Die Dienst¬
einnahme des Lehrers soll zunächst aus dem Ertrage der besonders dazu be¬
stimmten Fonds und Ländereien in den einzelnen Schulgemeinden aufgebracht
nud das hiernach an dem Lchrereinkommen fehlende, soweit die aus der Staats¬
kasse zu zahlenden Beiträge dazu nicht ausreichen, wie andre Schulaufgaben
(durch Umlagen nach der Einkommensteuer) gedeckt werden.

Die Motive zu dieser Vorlage heben hervor, daß das Schulgeld in den
Volksschulen von allen öffentlichen Lasten für die unbemittelten Klassen weitaus
die drückendste sei, und zwar nicht nur des Betrages wegen, sondern auch in
mehrfacher andrer Beziehung. Schon der Betrag für ein Kind übersteige den
Satz der Einkommensteuer in den untern Klassen und da, wo ein höheres
Schulgeld als das geringste gesetzliche gezahlt werde, selbst die Summe aller
öffentlichen Abgaben. Mehr noch werde es für die unbemittelten Familien zu
einer schweren Last aus dem Grunde, weil es naturgemäß gerade in den Jahren
beschafft werden müsse, in denen ohnehin die Verhältnisse knapper zu werden,
Not und Sorgen zu beginnen pflegen, und weil es bei wachsender Kinderzahl
gerade in den schwersten Jahren eine Höhe erreiche, welche durch den gesetzlichen
Anspruch auf Ermäßigung nur wenig erträglicher werde und welche bei dem


Zur Schulgeldfrage,

süumnißstrafen Werden in den Augen der weniger gebildeten Kreise an Schärfe
verlieren, wenn es sich nicht mehr um die Versäumnis einer Pflicht handelt,
die einer Einrichtung entspringt, welche der Einzelne mit seinem eignen Gelde
bezahlen muß, sondern einer Einrichtung, deren Kosten teils der Staat selbst,
teils die Gemeinde in ihrer Gesamtheit trägt. Was die Verteilung der finan¬
ziellen Last betrifft, welche bei Aufhebung des Schulgeldes anderweit aufzu¬
bringen ist, so erscheint es nicht mehr als billig, daß der Staat diese Last inner¬
halb derjenigen Grenze übernimmt, die er bei der Festsetzung des Schulgeldes
selbst gezogen hat, daß er also den gesetzlichen Mindestbetrag des Volksschul-
geldcs auf seine Schultern nimmt, und ferner, daß die Gemeinden das Mehr
übernehmen, welches sie infolge erweiterter Einrichtungen einzelner Schulen
selbst geschaffen haben. Es ist unsers Erachtens eine umso größere Pflicht
und zugleich eine umso schönere Aufgabe des Staates, auf diesem Wege den
unbemittelten Klassen einen Ersatz zu gewähren für die indirekten Steuern, welche
diese mehr als die besser gestellten drücken, als die Überschüsse aus diesen Steuern
in seine Kasse fließen. Das, was den Gemeinden von dem Schulgelde zu tragen
übrig bleibt, kann billigerweise nur nach dem Fuß der Einkommensteuern ver¬
teilt werden.

In diesem Sinne ist man kürzlich in Oldenburg vorgegangen. Die olden-
bnrgischc Staatsregierung hat dem Landtage eine Gesetzvorlage gemacht, nach
welcher „für den Besuch der Volksschule ein Schulgeld ferner nicht entrichtet
werden soll." Für jedes die Schule am 13. Mai und 15. November besuchende
Kind soll der Schulgemeindc aus der Staatskasse jährlich drei Mark (der ge¬
setzliche Mindestbetrag des bisherigen Schulgeldes) bezahlt werden. Die Dienst¬
einnahme des Lehrers soll zunächst aus dem Ertrage der besonders dazu be¬
stimmten Fonds und Ländereien in den einzelnen Schulgemeinden aufgebracht
nud das hiernach an dem Lchrereinkommen fehlende, soweit die aus der Staats¬
kasse zu zahlenden Beiträge dazu nicht ausreichen, wie andre Schulaufgaben
(durch Umlagen nach der Einkommensteuer) gedeckt werden.

Die Motive zu dieser Vorlage heben hervor, daß das Schulgeld in den
Volksschulen von allen öffentlichen Lasten für die unbemittelten Klassen weitaus
die drückendste sei, und zwar nicht nur des Betrages wegen, sondern auch in
mehrfacher andrer Beziehung. Schon der Betrag für ein Kind übersteige den
Satz der Einkommensteuer in den untern Klassen und da, wo ein höheres
Schulgeld als das geringste gesetzliche gezahlt werde, selbst die Summe aller
öffentlichen Abgaben. Mehr noch werde es für die unbemittelten Familien zu
einer schweren Last aus dem Grunde, weil es naturgemäß gerade in den Jahren
beschafft werden müsse, in denen ohnehin die Verhältnisse knapper zu werden,
Not und Sorgen zu beginnen pflegen, und weil es bei wachsender Kinderzahl
gerade in den schwersten Jahren eine Höhe erreiche, welche durch den gesetzlichen
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[0142] Zur Schulgeldfrage, süumnißstrafen Werden in den Augen der weniger gebildeten Kreise an Schärfe verlieren, wenn es sich nicht mehr um die Versäumnis einer Pflicht handelt, die einer Einrichtung entspringt, welche der Einzelne mit seinem eignen Gelde bezahlen muß, sondern einer Einrichtung, deren Kosten teils der Staat selbst, teils die Gemeinde in ihrer Gesamtheit trägt. Was die Verteilung der finan¬ ziellen Last betrifft, welche bei Aufhebung des Schulgeldes anderweit aufzu¬ bringen ist, so erscheint es nicht mehr als billig, daß der Staat diese Last inner¬ halb derjenigen Grenze übernimmt, die er bei der Festsetzung des Schulgeldes selbst gezogen hat, daß er also den gesetzlichen Mindestbetrag des Volksschul- geldcs auf seine Schultern nimmt, und ferner, daß die Gemeinden das Mehr übernehmen, welches sie infolge erweiterter Einrichtungen einzelner Schulen selbst geschaffen haben. Es ist unsers Erachtens eine umso größere Pflicht und zugleich eine umso schönere Aufgabe des Staates, auf diesem Wege den unbemittelten Klassen einen Ersatz zu gewähren für die indirekten Steuern, welche diese mehr als die besser gestellten drücken, als die Überschüsse aus diesen Steuern in seine Kasse fließen. Das, was den Gemeinden von dem Schulgelde zu tragen übrig bleibt, kann billigerweise nur nach dem Fuß der Einkommensteuern ver¬ teilt werden. In diesem Sinne ist man kürzlich in Oldenburg vorgegangen. Die olden- bnrgischc Staatsregierung hat dem Landtage eine Gesetzvorlage gemacht, nach welcher „für den Besuch der Volksschule ein Schulgeld ferner nicht entrichtet werden soll." Für jedes die Schule am 13. Mai und 15. November besuchende Kind soll der Schulgemeindc aus der Staatskasse jährlich drei Mark (der ge¬ setzliche Mindestbetrag des bisherigen Schulgeldes) bezahlt werden. Die Dienst¬ einnahme des Lehrers soll zunächst aus dem Ertrage der besonders dazu be¬ stimmten Fonds und Ländereien in den einzelnen Schulgemeinden aufgebracht nud das hiernach an dem Lchrereinkommen fehlende, soweit die aus der Staats¬ kasse zu zahlenden Beiträge dazu nicht ausreichen, wie andre Schulaufgaben (durch Umlagen nach der Einkommensteuer) gedeckt werden. Die Motive zu dieser Vorlage heben hervor, daß das Schulgeld in den Volksschulen von allen öffentlichen Lasten für die unbemittelten Klassen weitaus die drückendste sei, und zwar nicht nur des Betrages wegen, sondern auch in mehrfacher andrer Beziehung. Schon der Betrag für ein Kind übersteige den Satz der Einkommensteuer in den untern Klassen und da, wo ein höheres Schulgeld als das geringste gesetzliche gezahlt werde, selbst die Summe aller öffentlichen Abgaben. Mehr noch werde es für die unbemittelten Familien zu einer schweren Last aus dem Grunde, weil es naturgemäß gerade in den Jahren beschafft werden müsse, in denen ohnehin die Verhältnisse knapper zu werden, Not und Sorgen zu beginnen pflegen, und weil es bei wachsender Kinderzahl gerade in den schwersten Jahren eine Höhe erreiche, welche durch den gesetzlichen Anspruch auf Ermäßigung nur wenig erträglicher werde und welche bei dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/142>, abgerufen am 28.09.2024.