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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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landwirtschaftliche Nöte.

Verbrauchs der Landwirte. Da soll nun nicht geleugnet werden, daß bei diesem
Punkte von vornherein ein Rechenfehler gemacht zu werden pflegt, indem der
Besitzer meint, "was das Gut selbst liefere, das koste ihn eigentlich nichts,"
während er doch reichlich und angenehm wohnt, immer einen schönen Garten
und sehr häufig einen Park hat, Gemüse, Obst, Kartoffeln, Geflügel, Eier, Milch
und Butter, Brot, Schweine- und Hammelfleisch und manches andre für sich
verbraucht, und alle diese schonen Dinge doch nur im Schlaraffenlcinde umsonst
zu haben sind. Man pflegt sie aber, das ist wahr, bei der Rechnung nicht
oder doch nur sehr schwach in Ansatz zu bringen, und das ist ein großer Fehler.
Dennoch bleibt es richtig, daß die Lebensweise der meisten ländlichen Besitzer
recht bescheiden ist, und bessere bürgerliche Familien höchstens hinsichtlich der
Menge einen Anlaß zum Neide finden könnten. Es mag sein, daß diese Be¬
scheidenheit der Lebensführung sehr vielen, namentlich adlichen Besitzern erst
durch die harte Not der Zeit hat aufgezwungen werden müssen, aber an der
Sache ändert dies doch wohl nichts, und das große Publikum der Handel- und
Gewerbetreibenden hat sicherlich keinen Grund, sich darüber zu beklagen, wenn
diese Klasse von Leuten eine gewisse Neigung zur Großartigkeit im "Leben und
leben lassen" hat. Nun giebt es ja mancherlei mit örtlichen und provinziellen
Verhältnissen zusammenhängende Gewöhnungen, denen der Einzelne sich schwer
entziehen kann und die leicht zu übermäßigen Gelegenhcitsansgciben und in
gewissen Punkten auch wohl zu einer Steigerung der ganzen Lebenshaltung
führen. So ist uns der Fall bekannt, daß die Gutsbesitzer bei jeweiligem Be¬
suche ihrer Provinzialhauptstadt ein übriges thun zu müssen glauben; das würde
nichts zu sagen haben, wenn sie im Jahre ein- oder zweimal dahin kämen, aber
gewöhnlich müssen sie umso öfter dahin, je tiefer sie in Geldverlegenheiten geraten
sind, und müssen dann ja erst recht zeigen, daß sie sich nicht "lumpen zu lassen"
brauchen. Das ist ein großer Übelstand, der schon manches Besitzverhältnis
aus einem bloß Unbefriedigenden zu einem unheilbar schlechten gemacht hat.
Auf demselben Blatte steht es, wenn das Fahren selbst kleiner ländlicher Be¬
sitzer aufs maßloseste übertrieben wird, wie dies z. V. in manchen Teilen Ost¬
preußens der Fall ist, wo man es als selbstverständlich betrachtet, daß stets ein
Wagen zu irgend einer beliebigen Fahrt bereit stehen muß, und es niemand
einfällt, auch nur die kleinste Strecke zu Fuß zurückzulegen. Gewiß sind dies
Dinge, die einen kleinen Landwirt herunterbringen können. Aber bei alledem
steht fest, daß im großen und ganzen von einer ausschweifenden Lebensweise
weder der Rittergutsbesitzer noch der mittleren und kleinen Besitzer gesprochen
werden kann, und daß heutzutage manche Familie, die nach Lebensstellung und
Größe des Erbes oder des aufgewendeten Kapitals große Ansprüche machen
könnte, sich seit einer Reihe von Jahren die peinlichsten Entbehrungen auf¬
erlegt -- oft weil sie muß, recht oft aber auch, weil der Entschluß mutig gefaßt
worden ist und tapfer durchgeführt wird. Die Hauptausgabe solcher Familien


landwirtschaftliche Nöte.

Verbrauchs der Landwirte. Da soll nun nicht geleugnet werden, daß bei diesem
Punkte von vornherein ein Rechenfehler gemacht zu werden pflegt, indem der
Besitzer meint, „was das Gut selbst liefere, das koste ihn eigentlich nichts,"
während er doch reichlich und angenehm wohnt, immer einen schönen Garten
und sehr häufig einen Park hat, Gemüse, Obst, Kartoffeln, Geflügel, Eier, Milch
und Butter, Brot, Schweine- und Hammelfleisch und manches andre für sich
verbraucht, und alle diese schonen Dinge doch nur im Schlaraffenlcinde umsonst
zu haben sind. Man pflegt sie aber, das ist wahr, bei der Rechnung nicht
oder doch nur sehr schwach in Ansatz zu bringen, und das ist ein großer Fehler.
Dennoch bleibt es richtig, daß die Lebensweise der meisten ländlichen Besitzer
recht bescheiden ist, und bessere bürgerliche Familien höchstens hinsichtlich der
Menge einen Anlaß zum Neide finden könnten. Es mag sein, daß diese Be¬
scheidenheit der Lebensführung sehr vielen, namentlich adlichen Besitzern erst
durch die harte Not der Zeit hat aufgezwungen werden müssen, aber an der
Sache ändert dies doch wohl nichts, und das große Publikum der Handel- und
Gewerbetreibenden hat sicherlich keinen Grund, sich darüber zu beklagen, wenn
diese Klasse von Leuten eine gewisse Neigung zur Großartigkeit im „Leben und
leben lassen" hat. Nun giebt es ja mancherlei mit örtlichen und provinziellen
Verhältnissen zusammenhängende Gewöhnungen, denen der Einzelne sich schwer
entziehen kann und die leicht zu übermäßigen Gelegenhcitsansgciben und in
gewissen Punkten auch wohl zu einer Steigerung der ganzen Lebenshaltung
führen. So ist uns der Fall bekannt, daß die Gutsbesitzer bei jeweiligem Be¬
suche ihrer Provinzialhauptstadt ein übriges thun zu müssen glauben; das würde
nichts zu sagen haben, wenn sie im Jahre ein- oder zweimal dahin kämen, aber
gewöhnlich müssen sie umso öfter dahin, je tiefer sie in Geldverlegenheiten geraten
sind, und müssen dann ja erst recht zeigen, daß sie sich nicht „lumpen zu lassen"
brauchen. Das ist ein großer Übelstand, der schon manches Besitzverhältnis
aus einem bloß Unbefriedigenden zu einem unheilbar schlechten gemacht hat.
Auf demselben Blatte steht es, wenn das Fahren selbst kleiner ländlicher Be¬
sitzer aufs maßloseste übertrieben wird, wie dies z. V. in manchen Teilen Ost¬
preußens der Fall ist, wo man es als selbstverständlich betrachtet, daß stets ein
Wagen zu irgend einer beliebigen Fahrt bereit stehen muß, und es niemand
einfällt, auch nur die kleinste Strecke zu Fuß zurückzulegen. Gewiß sind dies
Dinge, die einen kleinen Landwirt herunterbringen können. Aber bei alledem
steht fest, daß im großen und ganzen von einer ausschweifenden Lebensweise
weder der Rittergutsbesitzer noch der mittleren und kleinen Besitzer gesprochen
werden kann, und daß heutzutage manche Familie, die nach Lebensstellung und
Größe des Erbes oder des aufgewendeten Kapitals große Ansprüche machen
könnte, sich seit einer Reihe von Jahren die peinlichsten Entbehrungen auf¬
erlegt — oft weil sie muß, recht oft aber auch, weil der Entschluß mutig gefaßt
worden ist und tapfer durchgeführt wird. Die Hauptausgabe solcher Familien


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[0130] landwirtschaftliche Nöte. Verbrauchs der Landwirte. Da soll nun nicht geleugnet werden, daß bei diesem Punkte von vornherein ein Rechenfehler gemacht zu werden pflegt, indem der Besitzer meint, „was das Gut selbst liefere, das koste ihn eigentlich nichts," während er doch reichlich und angenehm wohnt, immer einen schönen Garten und sehr häufig einen Park hat, Gemüse, Obst, Kartoffeln, Geflügel, Eier, Milch und Butter, Brot, Schweine- und Hammelfleisch und manches andre für sich verbraucht, und alle diese schonen Dinge doch nur im Schlaraffenlcinde umsonst zu haben sind. Man pflegt sie aber, das ist wahr, bei der Rechnung nicht oder doch nur sehr schwach in Ansatz zu bringen, und das ist ein großer Fehler. Dennoch bleibt es richtig, daß die Lebensweise der meisten ländlichen Besitzer recht bescheiden ist, und bessere bürgerliche Familien höchstens hinsichtlich der Menge einen Anlaß zum Neide finden könnten. Es mag sein, daß diese Be¬ scheidenheit der Lebensführung sehr vielen, namentlich adlichen Besitzern erst durch die harte Not der Zeit hat aufgezwungen werden müssen, aber an der Sache ändert dies doch wohl nichts, und das große Publikum der Handel- und Gewerbetreibenden hat sicherlich keinen Grund, sich darüber zu beklagen, wenn diese Klasse von Leuten eine gewisse Neigung zur Großartigkeit im „Leben und leben lassen" hat. Nun giebt es ja mancherlei mit örtlichen und provinziellen Verhältnissen zusammenhängende Gewöhnungen, denen der Einzelne sich schwer entziehen kann und die leicht zu übermäßigen Gelegenhcitsansgciben und in gewissen Punkten auch wohl zu einer Steigerung der ganzen Lebenshaltung führen. So ist uns der Fall bekannt, daß die Gutsbesitzer bei jeweiligem Be¬ suche ihrer Provinzialhauptstadt ein übriges thun zu müssen glauben; das würde nichts zu sagen haben, wenn sie im Jahre ein- oder zweimal dahin kämen, aber gewöhnlich müssen sie umso öfter dahin, je tiefer sie in Geldverlegenheiten geraten sind, und müssen dann ja erst recht zeigen, daß sie sich nicht „lumpen zu lassen" brauchen. Das ist ein großer Übelstand, der schon manches Besitzverhältnis aus einem bloß Unbefriedigenden zu einem unheilbar schlechten gemacht hat. Auf demselben Blatte steht es, wenn das Fahren selbst kleiner ländlicher Be¬ sitzer aufs maßloseste übertrieben wird, wie dies z. V. in manchen Teilen Ost¬ preußens der Fall ist, wo man es als selbstverständlich betrachtet, daß stets ein Wagen zu irgend einer beliebigen Fahrt bereit stehen muß, und es niemand einfällt, auch nur die kleinste Strecke zu Fuß zurückzulegen. Gewiß sind dies Dinge, die einen kleinen Landwirt herunterbringen können. Aber bei alledem steht fest, daß im großen und ganzen von einer ausschweifenden Lebensweise weder der Rittergutsbesitzer noch der mittleren und kleinen Besitzer gesprochen werden kann, und daß heutzutage manche Familie, die nach Lebensstellung und Größe des Erbes oder des aufgewendeten Kapitals große Ansprüche machen könnte, sich seit einer Reihe von Jahren die peinlichsten Entbehrungen auf¬ erlegt — oft weil sie muß, recht oft aber auch, weil der Entschluß mutig gefaßt worden ist und tapfer durchgeführt wird. Die Hauptausgabe solcher Familien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/130>, abgerufen am 28.09.2024.