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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Landwirtschaftliche Nöte.

schritte abgeneigt ist er an und für sich durchaus nicht, und es ist auch ein
Irrtum, anzunehmen, seine Verhältnisse erschwerten ihm die Aneignung vou
Fortschritten. Dies thun sie nur dann, wenn der Betrieb selbst im Zusammen¬
hange mit vorzunehmenden Verbesserungen wesentlich umgestaltet werden muß,
was allerdings nicht so leicht geht; im übrigen kann man im Gegenteil sagen,
daß unzählige kleine Verbesserungen sich aus den ihm stets vor Augen stehenden
Beispielen andrer ihm geradezu aufdrängen. Unsre Landwirte sind nicht lauter
Ideale, aber die Zahl der trägen und unfähigen Leute unter ihnen ist recht
gering, und die Teilnahme unsrer gesamten Landwirtschaft an dem wirtschaft¬
lichen und technischen Fortschritte ist so, daß wir wohl damit zufrieden sein
können. Es ist wahrlich ein trauriges Schauspiel, wenn, wie es in unsrer Pro¬
vinz erst kürzlich vorgekommen ist, die maßgebenden Blätter an denselben
Tagen die glänzendsten Berichte über die hohe Entwicklung der einheimischen
Zucht von Zuchtvieh und die für einzelne Tiere gezählten stattlichen Preise,
sowie über die sich immer weiter ausbreitenden Vieh-, Drainage-, Dresch¬
maschinen- ze. Genossenschaften bringen mußten, an denen im politischen Teile
den Landwirten der Rat gegeben worden war, ihrer Not doch in gleicher ratio¬
neller Weise wie die englischen und schweizerischen Landwirte durch Zuchtvieh¬
zucht und Genossenschaften ein Ende zu machen! Wahrlich, unsre Landwirte sind
zu einer so gewaltsamen Änderung ihres ganzen Wirtschaftssystems hingetrieben
worden lind haben diese Änderung mit solcher Energie und solchem, wenn auch
oft noch so mühsam beschafften Kapitalaufwands durchgekämpft, daß mau auf
diesem Gebiete, mit Rücksicht auf den zu wünschenden ruhigen Gang der Ent¬
wicklung und auf die Güte der vorhandenen Arbeitskräfte, viel eher von einem
Zuviel wie von einem Zuwenig sprechen kann!

Völlig unhaltbar würde es auch sein, einen geringern Grad der Besserung
bei den großem Gütern und besonders bei den adlichen Besitzern voraussetzen
zu wollen. Es ist in unsrer Provinz wenigstens allbekannt, daß das größere
Gut durchgehends auch das besser bewirtschaftete ist, wie dies ja auch -- wenn
man nicht gerade annehmen will, diese Klasse von Besitzern stehe an Tüchtigkeit
oder Einsicht zurück -- durchaus der Natur der Dinge entspricht. Ist doch
das größere Gut meist zugleich das kreditfähigere, ferner dasjenige, welches
sich zu mancherlei neuen Anbauarten und Betriebsformen am besten eignet; der
größere Umfang an sich hat allerdings seine Nachteile -- namentlich wo es
sich, was aber doch nicht allzu häufig der Fall ist, um sehr große Güter han¬
delt --, aber doch auch seine Vorteile, immer natürlich eine tüchtige, sorgfältige
Leitung vorausgesetzt. Es ist denn auch bekannt, daß in der über uns dahin¬
gegangenen schlimmen Zeit die Zahl der versteigerten Rittergüter eine ver¬
hältnismäßig geringere als die der zwangsweise verkauften Bauern- und Mittel¬
güter war.

Nun hätten wir endlich noch die Frage wegen des zu starken persönlichen


Grenzboten I. 1383. 16
Landwirtschaftliche Nöte.

schritte abgeneigt ist er an und für sich durchaus nicht, und es ist auch ein
Irrtum, anzunehmen, seine Verhältnisse erschwerten ihm die Aneignung vou
Fortschritten. Dies thun sie nur dann, wenn der Betrieb selbst im Zusammen¬
hange mit vorzunehmenden Verbesserungen wesentlich umgestaltet werden muß,
was allerdings nicht so leicht geht; im übrigen kann man im Gegenteil sagen,
daß unzählige kleine Verbesserungen sich aus den ihm stets vor Augen stehenden
Beispielen andrer ihm geradezu aufdrängen. Unsre Landwirte sind nicht lauter
Ideale, aber die Zahl der trägen und unfähigen Leute unter ihnen ist recht
gering, und die Teilnahme unsrer gesamten Landwirtschaft an dem wirtschaft¬
lichen und technischen Fortschritte ist so, daß wir wohl damit zufrieden sein
können. Es ist wahrlich ein trauriges Schauspiel, wenn, wie es in unsrer Pro¬
vinz erst kürzlich vorgekommen ist, die maßgebenden Blätter an denselben
Tagen die glänzendsten Berichte über die hohe Entwicklung der einheimischen
Zucht von Zuchtvieh und die für einzelne Tiere gezählten stattlichen Preise,
sowie über die sich immer weiter ausbreitenden Vieh-, Drainage-, Dresch¬
maschinen- ze. Genossenschaften bringen mußten, an denen im politischen Teile
den Landwirten der Rat gegeben worden war, ihrer Not doch in gleicher ratio¬
neller Weise wie die englischen und schweizerischen Landwirte durch Zuchtvieh¬
zucht und Genossenschaften ein Ende zu machen! Wahrlich, unsre Landwirte sind
zu einer so gewaltsamen Änderung ihres ganzen Wirtschaftssystems hingetrieben
worden lind haben diese Änderung mit solcher Energie und solchem, wenn auch
oft noch so mühsam beschafften Kapitalaufwands durchgekämpft, daß mau auf
diesem Gebiete, mit Rücksicht auf den zu wünschenden ruhigen Gang der Ent¬
wicklung und auf die Güte der vorhandenen Arbeitskräfte, viel eher von einem
Zuviel wie von einem Zuwenig sprechen kann!

Völlig unhaltbar würde es auch sein, einen geringern Grad der Besserung
bei den großem Gütern und besonders bei den adlichen Besitzern voraussetzen
zu wollen. Es ist in unsrer Provinz wenigstens allbekannt, daß das größere
Gut durchgehends auch das besser bewirtschaftete ist, wie dies ja auch — wenn
man nicht gerade annehmen will, diese Klasse von Besitzern stehe an Tüchtigkeit
oder Einsicht zurück — durchaus der Natur der Dinge entspricht. Ist doch
das größere Gut meist zugleich das kreditfähigere, ferner dasjenige, welches
sich zu mancherlei neuen Anbauarten und Betriebsformen am besten eignet; der
größere Umfang an sich hat allerdings seine Nachteile — namentlich wo es
sich, was aber doch nicht allzu häufig der Fall ist, um sehr große Güter han¬
delt —, aber doch auch seine Vorteile, immer natürlich eine tüchtige, sorgfältige
Leitung vorausgesetzt. Es ist denn auch bekannt, daß in der über uns dahin¬
gegangenen schlimmen Zeit die Zahl der versteigerten Rittergüter eine ver¬
hältnismäßig geringere als die der zwangsweise verkauften Bauern- und Mittel¬
güter war.

Nun hätten wir endlich noch die Frage wegen des zu starken persönlichen


Grenzboten I. 1383. 16
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[0129] Landwirtschaftliche Nöte. schritte abgeneigt ist er an und für sich durchaus nicht, und es ist auch ein Irrtum, anzunehmen, seine Verhältnisse erschwerten ihm die Aneignung vou Fortschritten. Dies thun sie nur dann, wenn der Betrieb selbst im Zusammen¬ hange mit vorzunehmenden Verbesserungen wesentlich umgestaltet werden muß, was allerdings nicht so leicht geht; im übrigen kann man im Gegenteil sagen, daß unzählige kleine Verbesserungen sich aus den ihm stets vor Augen stehenden Beispielen andrer ihm geradezu aufdrängen. Unsre Landwirte sind nicht lauter Ideale, aber die Zahl der trägen und unfähigen Leute unter ihnen ist recht gering, und die Teilnahme unsrer gesamten Landwirtschaft an dem wirtschaft¬ lichen und technischen Fortschritte ist so, daß wir wohl damit zufrieden sein können. Es ist wahrlich ein trauriges Schauspiel, wenn, wie es in unsrer Pro¬ vinz erst kürzlich vorgekommen ist, die maßgebenden Blätter an denselben Tagen die glänzendsten Berichte über die hohe Entwicklung der einheimischen Zucht von Zuchtvieh und die für einzelne Tiere gezählten stattlichen Preise, sowie über die sich immer weiter ausbreitenden Vieh-, Drainage-, Dresch¬ maschinen- ze. Genossenschaften bringen mußten, an denen im politischen Teile den Landwirten der Rat gegeben worden war, ihrer Not doch in gleicher ratio¬ neller Weise wie die englischen und schweizerischen Landwirte durch Zuchtvieh¬ zucht und Genossenschaften ein Ende zu machen! Wahrlich, unsre Landwirte sind zu einer so gewaltsamen Änderung ihres ganzen Wirtschaftssystems hingetrieben worden lind haben diese Änderung mit solcher Energie und solchem, wenn auch oft noch so mühsam beschafften Kapitalaufwands durchgekämpft, daß mau auf diesem Gebiete, mit Rücksicht auf den zu wünschenden ruhigen Gang der Ent¬ wicklung und auf die Güte der vorhandenen Arbeitskräfte, viel eher von einem Zuviel wie von einem Zuwenig sprechen kann! Völlig unhaltbar würde es auch sein, einen geringern Grad der Besserung bei den großem Gütern und besonders bei den adlichen Besitzern voraussetzen zu wollen. Es ist in unsrer Provinz wenigstens allbekannt, daß das größere Gut durchgehends auch das besser bewirtschaftete ist, wie dies ja auch — wenn man nicht gerade annehmen will, diese Klasse von Besitzern stehe an Tüchtigkeit oder Einsicht zurück — durchaus der Natur der Dinge entspricht. Ist doch das größere Gut meist zugleich das kreditfähigere, ferner dasjenige, welches sich zu mancherlei neuen Anbauarten und Betriebsformen am besten eignet; der größere Umfang an sich hat allerdings seine Nachteile — namentlich wo es sich, was aber doch nicht allzu häufig der Fall ist, um sehr große Güter han¬ delt —, aber doch auch seine Vorteile, immer natürlich eine tüchtige, sorgfältige Leitung vorausgesetzt. Es ist denn auch bekannt, daß in der über uns dahin¬ gegangenen schlimmen Zeit die Zahl der versteigerten Rittergüter eine ver¬ hältnismäßig geringere als die der zwangsweise verkauften Bauern- und Mittel¬ güter war. Nun hätten wir endlich noch die Frage wegen des zu starken persönlichen Grenzboten I. 1383. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/129>, abgerufen am 28.09.2024.