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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Ich werde Bücher kaufen, ich habe Geld! Rüben hielt Jeschkas Geldstück
empor.

Und wenn du zehnmal mehr hättest, würde es dir schwerlich etwas nützen,
es giebt hier keine Bücher zu kaufen.

Sage das nicht, Herr! Nimm mir nicht diese Hoffnung, die einzige, die
mir ein andres, besseres Leben verspricht! Weißt du, wie elend wir sind, wie
verfolgt und gehetzt? Seit ich dich neulich gesehen, habe ich wachend und schlafend
meinen Kopf mit Plänen zermartert, wie ich es anfangen könnte, meine Bitte
vor dich zu bringen, du möchtest mich mitnehmen. O, David Beronski! Er fiel vor
dem Überraschten zu Boden, umfaßte seine Kniee und fuhr leidenschaftlich fort:
Stoße den Bittenden nicht zurück! Sieh, ich liege im Staube vor dir. Du bist
gelehrt und weise, hilf mir, in deiner Hand steht mein Glück. Berede den Herrn,
mich mitzunehmen, ich will es dir mein Leben lang danken. Herr! Sage ihm,
daß er sich meiner annimmt.

Alexei hatte erst mit Widerwillen, dann neugierig, zuletzt durch Rubens
Leidenschaft gefesselt zugehört und auf ihn herab gesehen, wie er sich am Boden
von einem zum andern wendete. In wirren Strähnen hing das lange, dunkel¬
blonde Haar um Rubens bleiches Antlitz, und als Alexei seinem Blicke begegnete,
der von einer, Rüben sonst fremden Innigkeit und Glut strahlte, erinnerte ihn
etwas darin an jenes Mädchen, das er, von der roten Sonnenglut beleuchtet,
an der Hüttenthür gesehen hatte. Das war die Hütte des Karakter, Rüben also
sein Sohn, das Mädchen Rubens Schwester. Mußte das zarte, kindliche Mädchen
nicht in solchen elenden Zuständen untergehen? Ein tiefes Mitleid mit ihr
wallte in ihm auf.

Thue es, David! sagte er, von diesem Gefühle beherrscht. Vielleicht kann
ich dem Jungen eine Stelle in"irgend einem Handelshause verschaffen, wenn er
richtiges Deutsch gelernt hat. Dann mag er auch den Seinigen forthelfen.

Ich habe keine Bücher, ich sagte es schon, wehrte David ab.

Laß mich sorgen!

Du weißt nicht, was du verlangst. Ich kann den Sohn des Karaiten nicht
in mein Haus kommen lassen.

Wirf solche, dein Herz beengende, unwürdige Vorurteile fort! rief Alexei
vorwurfsvoll.

Mein inneres Gefühl warnt mich, ich darf es nicht thun. David blickte
unruhig und unschlüssig über das Wasser.

Recht zu thun darf keine Gefühlssache sein, und recht ist es, dem Bedürf¬
tigen zu helfen, dem Unterdrückten beizustehen, entgegnete Alexei strenge. Kein
Einfluß der Welt darf dich abhalten, zu thun, was du für recht erkannt hast.

Ich weiß noch nicht, was hierbei recht ist, murmelte David. Es heißt:
"Halte dich fern von den Ungläubigen und Fremdlingen." Sie würden mich
schelten, mit mir zanken -- - /


David Beronski.

Ich werde Bücher kaufen, ich habe Geld! Rüben hielt Jeschkas Geldstück
empor.

Und wenn du zehnmal mehr hättest, würde es dir schwerlich etwas nützen,
es giebt hier keine Bücher zu kaufen.

Sage das nicht, Herr! Nimm mir nicht diese Hoffnung, die einzige, die
mir ein andres, besseres Leben verspricht! Weißt du, wie elend wir sind, wie
verfolgt und gehetzt? Seit ich dich neulich gesehen, habe ich wachend und schlafend
meinen Kopf mit Plänen zermartert, wie ich es anfangen könnte, meine Bitte
vor dich zu bringen, du möchtest mich mitnehmen. O, David Beronski! Er fiel vor
dem Überraschten zu Boden, umfaßte seine Kniee und fuhr leidenschaftlich fort:
Stoße den Bittenden nicht zurück! Sieh, ich liege im Staube vor dir. Du bist
gelehrt und weise, hilf mir, in deiner Hand steht mein Glück. Berede den Herrn,
mich mitzunehmen, ich will es dir mein Leben lang danken. Herr! Sage ihm,
daß er sich meiner annimmt.

Alexei hatte erst mit Widerwillen, dann neugierig, zuletzt durch Rubens
Leidenschaft gefesselt zugehört und auf ihn herab gesehen, wie er sich am Boden
von einem zum andern wendete. In wirren Strähnen hing das lange, dunkel¬
blonde Haar um Rubens bleiches Antlitz, und als Alexei seinem Blicke begegnete,
der von einer, Rüben sonst fremden Innigkeit und Glut strahlte, erinnerte ihn
etwas darin an jenes Mädchen, das er, von der roten Sonnenglut beleuchtet,
an der Hüttenthür gesehen hatte. Das war die Hütte des Karakter, Rüben also
sein Sohn, das Mädchen Rubens Schwester. Mußte das zarte, kindliche Mädchen
nicht in solchen elenden Zuständen untergehen? Ein tiefes Mitleid mit ihr
wallte in ihm auf.

Thue es, David! sagte er, von diesem Gefühle beherrscht. Vielleicht kann
ich dem Jungen eine Stelle in"irgend einem Handelshause verschaffen, wenn er
richtiges Deutsch gelernt hat. Dann mag er auch den Seinigen forthelfen.

Ich habe keine Bücher, ich sagte es schon, wehrte David ab.

Laß mich sorgen!

Du weißt nicht, was du verlangst. Ich kann den Sohn des Karaiten nicht
in mein Haus kommen lassen.

Wirf solche, dein Herz beengende, unwürdige Vorurteile fort! rief Alexei
vorwurfsvoll.

Mein inneres Gefühl warnt mich, ich darf es nicht thun. David blickte
unruhig und unschlüssig über das Wasser.

Recht zu thun darf keine Gefühlssache sein, und recht ist es, dem Bedürf¬
tigen zu helfen, dem Unterdrückten beizustehen, entgegnete Alexei strenge. Kein
Einfluß der Welt darf dich abhalten, zu thun, was du für recht erkannt hast.

Ich weiß noch nicht, was hierbei recht ist, murmelte David. Es heißt:
„Halte dich fern von den Ungläubigen und Fremdlingen." Sie würden mich
schelten, mit mir zanken — - /


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[0115] David Beronski. Ich werde Bücher kaufen, ich habe Geld! Rüben hielt Jeschkas Geldstück empor. Und wenn du zehnmal mehr hättest, würde es dir schwerlich etwas nützen, es giebt hier keine Bücher zu kaufen. Sage das nicht, Herr! Nimm mir nicht diese Hoffnung, die einzige, die mir ein andres, besseres Leben verspricht! Weißt du, wie elend wir sind, wie verfolgt und gehetzt? Seit ich dich neulich gesehen, habe ich wachend und schlafend meinen Kopf mit Plänen zermartert, wie ich es anfangen könnte, meine Bitte vor dich zu bringen, du möchtest mich mitnehmen. O, David Beronski! Er fiel vor dem Überraschten zu Boden, umfaßte seine Kniee und fuhr leidenschaftlich fort: Stoße den Bittenden nicht zurück! Sieh, ich liege im Staube vor dir. Du bist gelehrt und weise, hilf mir, in deiner Hand steht mein Glück. Berede den Herrn, mich mitzunehmen, ich will es dir mein Leben lang danken. Herr! Sage ihm, daß er sich meiner annimmt. Alexei hatte erst mit Widerwillen, dann neugierig, zuletzt durch Rubens Leidenschaft gefesselt zugehört und auf ihn herab gesehen, wie er sich am Boden von einem zum andern wendete. In wirren Strähnen hing das lange, dunkel¬ blonde Haar um Rubens bleiches Antlitz, und als Alexei seinem Blicke begegnete, der von einer, Rüben sonst fremden Innigkeit und Glut strahlte, erinnerte ihn etwas darin an jenes Mädchen, das er, von der roten Sonnenglut beleuchtet, an der Hüttenthür gesehen hatte. Das war die Hütte des Karakter, Rüben also sein Sohn, das Mädchen Rubens Schwester. Mußte das zarte, kindliche Mädchen nicht in solchen elenden Zuständen untergehen? Ein tiefes Mitleid mit ihr wallte in ihm auf. Thue es, David! sagte er, von diesem Gefühle beherrscht. Vielleicht kann ich dem Jungen eine Stelle in"irgend einem Handelshause verschaffen, wenn er richtiges Deutsch gelernt hat. Dann mag er auch den Seinigen forthelfen. Ich habe keine Bücher, ich sagte es schon, wehrte David ab. Laß mich sorgen! Du weißt nicht, was du verlangst. Ich kann den Sohn des Karaiten nicht in mein Haus kommen lassen. Wirf solche, dein Herz beengende, unwürdige Vorurteile fort! rief Alexei vorwurfsvoll. Mein inneres Gefühl warnt mich, ich darf es nicht thun. David blickte unruhig und unschlüssig über das Wasser. Recht zu thun darf keine Gefühlssache sein, und recht ist es, dem Bedürf¬ tigen zu helfen, dem Unterdrückten beizustehen, entgegnete Alexei strenge. Kein Einfluß der Welt darf dich abhalten, zu thun, was du für recht erkannt hast. Ich weiß noch nicht, was hierbei recht ist, murmelte David. Es heißt: „Halte dich fern von den Ungläubigen und Fremdlingen." Sie würden mich schelten, mit mir zanken — - /

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/115>, abgerufen am 28.09.2024.