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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

nichts von sich hören, er arbeitete fleißig, sich eine Lebensstellung zu gewinnen,
heiratete (1826) und vollendete die erste Arbeit, auf die er stolz sein konnte:
sein "Leben Schillers." Er gab seine Übersetzungen aus Musäus, Fouque,
Tieck und Jean Paul heraus und übersetzte noch die "Wanderjahre," und die
Gelegenheit. Goethe diese Arbeiten zu schicken, brachte den schon etwas stockenden
Verkehr*) wieder so in Fluß, daß er nur mit Goethes Tode aufhörte und die
stattliche Reihe schöner Briefe hervorrief, die jetzt vorliegt.

Goethe antwortete auf Carlyles Brief vom 15. April, zwei Tage nachdem
er die "angenehme Sendung" aus Schottland erhalten hatte (17. Mai 1827):
"in guter Gesundheit, für meine Freunde beschäftigt."

Diese kurze Empfangsbestätigung Goethes ist sehr gut in einem Briefe
Carlyles an seinen Bruder (4. Juni 1827) bezeichnet: "Ein reizendes kleines
Briefchen aus Weimar. Hast du schon je so eine höfliche, aufrichtige und ganz
und gar liebliche kleine Note gesehen? Dabei ist sie von einer solchen Naivität
und Kürze, daß ich sie bewundere, und doch herzlich dabei lachen möchte!"

Diese Worte bezeichnen treffend einen guten Teil der Briefe Goethes an
Carlyle: es herrscht eine Heiterkeit und Lieblichkeit darin, die den Leser un¬
widerstehlich zwingt und fesselt.

Wir können hier natürlich weder auf jeden einzelnen dieser köstlichen Briefe
eingehen, noch auch nur annähernd den -- bei allem Vorwiegen des plaudernden
Tones und des biographischen Interesses -- doch entschieden bedeutenden
Inhalt anführen, der ja schon durch die regelmäßige gegenseitige Übersendung
der bis 1832 von Goethe wie Carlyle veröffentlichten Werke bedingt ist.

Wir begnügen uns damit, das Zeugnis mitzuteilen, um welches Carlyle
Goethen gebeten hatte, als er sich zu Se. Andrews -- der ältesten schottischen
Universität -- um den "ethischen" Lehrstuhl bewarb. Dies Zeugnis ist als
selbständiges Schriftstück Goethes über seine Stellung zu ethischen Fragen von
ziemlicher Bedeutung, und erfreut schon, weil es zeigt, in wie treuem Andenken
Goethe Gelierten bewahrte. Das Zeugnis lautet:

"Wahre Überzeugung geht vom Herzen aus, das Gemüth, der eigentliche
Sitz des Gewissens, richtet über das Zulässige und Unzulässige weit sicherer als
der Verstand, der gar manches einsehen und bestimmen wird, ohne den rechten
Punkt zu treffen.

Ein wohlwollender auf sich selbst merkender Character, der sich selbst zu
ehren, mit sich selbst in Frieden zu leben wünscht und doch so manche UnVoll¬
kommenheit, die sein Inneres verwirrt, empfinden muß, manchen Fehler zu be¬
dauern hat, der die Person nach außen compromittirt, wodurch er sich denn
nach beyden Seiten hin beunruhigt und bestritten findet, wird sich von diesen
Beschwernissen auf alle Weise zu befreyen suchen.



*) Auch Goethe scheint Carlyle in der Zwischenzeit aus 'den Augen verloren zu haben.
Wir finden kein Wort bei Eckermann bis zum 15. Juli 1327.
Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

nichts von sich hören, er arbeitete fleißig, sich eine Lebensstellung zu gewinnen,
heiratete (1826) und vollendete die erste Arbeit, auf die er stolz sein konnte:
sein „Leben Schillers." Er gab seine Übersetzungen aus Musäus, Fouque,
Tieck und Jean Paul heraus und übersetzte noch die „Wanderjahre," und die
Gelegenheit. Goethe diese Arbeiten zu schicken, brachte den schon etwas stockenden
Verkehr*) wieder so in Fluß, daß er nur mit Goethes Tode aufhörte und die
stattliche Reihe schöner Briefe hervorrief, die jetzt vorliegt.

Goethe antwortete auf Carlyles Brief vom 15. April, zwei Tage nachdem
er die „angenehme Sendung" aus Schottland erhalten hatte (17. Mai 1827):
„in guter Gesundheit, für meine Freunde beschäftigt."

Diese kurze Empfangsbestätigung Goethes ist sehr gut in einem Briefe
Carlyles an seinen Bruder (4. Juni 1827) bezeichnet: „Ein reizendes kleines
Briefchen aus Weimar. Hast du schon je so eine höfliche, aufrichtige und ganz
und gar liebliche kleine Note gesehen? Dabei ist sie von einer solchen Naivität
und Kürze, daß ich sie bewundere, und doch herzlich dabei lachen möchte!"

Diese Worte bezeichnen treffend einen guten Teil der Briefe Goethes an
Carlyle: es herrscht eine Heiterkeit und Lieblichkeit darin, die den Leser un¬
widerstehlich zwingt und fesselt.

Wir können hier natürlich weder auf jeden einzelnen dieser köstlichen Briefe
eingehen, noch auch nur annähernd den — bei allem Vorwiegen des plaudernden
Tones und des biographischen Interesses — doch entschieden bedeutenden
Inhalt anführen, der ja schon durch die regelmäßige gegenseitige Übersendung
der bis 1832 von Goethe wie Carlyle veröffentlichten Werke bedingt ist.

Wir begnügen uns damit, das Zeugnis mitzuteilen, um welches Carlyle
Goethen gebeten hatte, als er sich zu Se. Andrews — der ältesten schottischen
Universität — um den „ethischen" Lehrstuhl bewarb. Dies Zeugnis ist als
selbständiges Schriftstück Goethes über seine Stellung zu ethischen Fragen von
ziemlicher Bedeutung, und erfreut schon, weil es zeigt, in wie treuem Andenken
Goethe Gelierten bewahrte. Das Zeugnis lautet:

„Wahre Überzeugung geht vom Herzen aus, das Gemüth, der eigentliche
Sitz des Gewissens, richtet über das Zulässige und Unzulässige weit sicherer als
der Verstand, der gar manches einsehen und bestimmen wird, ohne den rechten
Punkt zu treffen.

Ein wohlwollender auf sich selbst merkender Character, der sich selbst zu
ehren, mit sich selbst in Frieden zu leben wünscht und doch so manche UnVoll¬
kommenheit, die sein Inneres verwirrt, empfinden muß, manchen Fehler zu be¬
dauern hat, der die Person nach außen compromittirt, wodurch er sich denn
nach beyden Seiten hin beunruhigt und bestritten findet, wird sich von diesen
Beschwernissen auf alle Weise zu befreyen suchen.



*) Auch Goethe scheint Carlyle in der Zwischenzeit aus 'den Augen verloren zu haben.
Wir finden kein Wort bei Eckermann bis zum 15. Juli 1327.
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[0093] Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle. nichts von sich hören, er arbeitete fleißig, sich eine Lebensstellung zu gewinnen, heiratete (1826) und vollendete die erste Arbeit, auf die er stolz sein konnte: sein „Leben Schillers." Er gab seine Übersetzungen aus Musäus, Fouque, Tieck und Jean Paul heraus und übersetzte noch die „Wanderjahre," und die Gelegenheit. Goethe diese Arbeiten zu schicken, brachte den schon etwas stockenden Verkehr*) wieder so in Fluß, daß er nur mit Goethes Tode aufhörte und die stattliche Reihe schöner Briefe hervorrief, die jetzt vorliegt. Goethe antwortete auf Carlyles Brief vom 15. April, zwei Tage nachdem er die „angenehme Sendung" aus Schottland erhalten hatte (17. Mai 1827): „in guter Gesundheit, für meine Freunde beschäftigt." Diese kurze Empfangsbestätigung Goethes ist sehr gut in einem Briefe Carlyles an seinen Bruder (4. Juni 1827) bezeichnet: „Ein reizendes kleines Briefchen aus Weimar. Hast du schon je so eine höfliche, aufrichtige und ganz und gar liebliche kleine Note gesehen? Dabei ist sie von einer solchen Naivität und Kürze, daß ich sie bewundere, und doch herzlich dabei lachen möchte!" Diese Worte bezeichnen treffend einen guten Teil der Briefe Goethes an Carlyle: es herrscht eine Heiterkeit und Lieblichkeit darin, die den Leser un¬ widerstehlich zwingt und fesselt. Wir können hier natürlich weder auf jeden einzelnen dieser köstlichen Briefe eingehen, noch auch nur annähernd den — bei allem Vorwiegen des plaudernden Tones und des biographischen Interesses — doch entschieden bedeutenden Inhalt anführen, der ja schon durch die regelmäßige gegenseitige Übersendung der bis 1832 von Goethe wie Carlyle veröffentlichten Werke bedingt ist. Wir begnügen uns damit, das Zeugnis mitzuteilen, um welches Carlyle Goethen gebeten hatte, als er sich zu Se. Andrews — der ältesten schottischen Universität — um den „ethischen" Lehrstuhl bewarb. Dies Zeugnis ist als selbständiges Schriftstück Goethes über seine Stellung zu ethischen Fragen von ziemlicher Bedeutung, und erfreut schon, weil es zeigt, in wie treuem Andenken Goethe Gelierten bewahrte. Das Zeugnis lautet: „Wahre Überzeugung geht vom Herzen aus, das Gemüth, der eigentliche Sitz des Gewissens, richtet über das Zulässige und Unzulässige weit sicherer als der Verstand, der gar manches einsehen und bestimmen wird, ohne den rechten Punkt zu treffen. Ein wohlwollender auf sich selbst merkender Character, der sich selbst zu ehren, mit sich selbst in Frieden zu leben wünscht und doch so manche UnVoll¬ kommenheit, die sein Inneres verwirrt, empfinden muß, manchen Fehler zu be¬ dauern hat, der die Person nach außen compromittirt, wodurch er sich denn nach beyden Seiten hin beunruhigt und bestritten findet, wird sich von diesen Beschwernissen auf alle Weise zu befreyen suchen. *) Auch Goethe scheint Carlyle in der Zwischenzeit aus 'den Augen verloren zu haben. Wir finden kein Wort bei Eckermann bis zum 15. Juli 1327.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/93>, abgerufen am 17.09.2024.