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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Unglück zu seiner Weltanschauung hindurchzuringen. Und dieser Kampf war
gerade bei Carlyle besonders heiß und ernst gewesen. Er giebt uns im Lartor
eine ausführliche Schilderung, aus der wir nur die Hauptzüge heraus¬
greifen, die aber nötig sind, um Goethes "Wohlthat" an Carlyle ganz zu verstehen.

"Der Zweifel hatte sich zum Unglauben verdüstert, Schatten auf Schatten
lagerte sich über meine Seele, bis endlich die vollständige, schwarze, sternenlose
Nacht mich umgab .. . fern war jede Hoffnung, ja selbst jeder Wille zu hoffen.
Unsichtbare und undurchdringliche Wände, wie in einer Verzauberung, kerkerten
mich ein und trennten mich von allem Lebenden; ich hatte nicht eine treue
Brust, die ich an mich drücken konnte! Ich hielt ein Schloß über meinen
Lippen; was sollte ich denn sprechen mit der veränderlichen Menge sogenannter
Freunde, in deren verblühter, eitler und begehrlicher Seele wahre Freundschaft
eine rätselhafte und unbekannte Sache war? . . . Einsam wandelte ich mitten auf
den belebten Straßen der Menschen und wild, wie ein Tiger in seinem Käfig
(nur hatte ich nichts zu verzehren und zu zerreißen als mein eignes Herz), das
ganze Leben war mir ohne Zweck, ohne Wille, aber selbst ohne Feindseligkeit.
Es war eine unermeßliche, tote Maschine, mit starrer Gleichgiltigkeit dahin-
sausend, mich -- Glied für Glied -- zu zermalmen. So dauerte es in bitterm,
lange hinaufgezogenen Todeskampfe lange Jahre, das Herz im Busen ohne
jeden Himmelsthau verzehrte sich in gräßlicher Höllenqual. Seit undenklicher
Zeit hatte ich keine Thräne geweint, nur einmal, als ich halblaut Fausts Todes¬
gesang vor mich hinmurmelte: Selig der, den er im Siegesglanzc findet, und
froh dachte, daß der Tod, dieser letzte Freund, mich wenigstens nicht verlassen
würde. Jetzt war ich noch immer ohne Hoffnung, aber auch ohne Verzweiflung.
Nicht mehr Furcht und klagende Sorge erfüllte mich, sondern Unwille und
grimmer Trotz. . . So war denn die Zeit vorbei, daß das "ewige Nein" mein
ganzes Wesen erfüllte, denn mein ganzes Ich hob sich empor in angeborner
göttlicher Majestät, und legte mit aller Macht seinen Protest ein. Denn ein
Protest -- die wichtigste That meines Lebens -- kann dieser Trotz genannt
werden. Das "ewige Nein" hatte gesagt: "Siehe, du bist vaterlos, verstoßen,
und das Universum ist mein Reich, und ich bin der Satan!" Und ich hatte
geantwortet: "Ich gehöre dir nicht an, ich bin frei und hasse dich auf ewig.""

Nun ging der Pfad des jungen, einsamen Kämpfers wieder aufwärts, zum
Lichte! Rastlos pilgerte er "nach mancher heiligen Quelle," und als er dort
seinen Durst nicht stillen konnte, war er so glücklich, einen "weltlichen Born"
zu finden, der ihn labte und erquickte.

Dieser "weltliche Vorn" war die deutsche Literatur, mit der er damals
wie durch Zufall bekannt wurde: Schiller rettete ihn zuerst, beruhigte und
reinigte seinen kranken Sinn und zeigte ihm ein neues Ziel für sein irres
Streben; aber Goethe war es. der ihn auf die Dauer den neuen Pfad führte,
der ihn nicht nur in jenen schweren Jahren wie mit unsichtbarem, unbewußten


Unglück zu seiner Weltanschauung hindurchzuringen. Und dieser Kampf war
gerade bei Carlyle besonders heiß und ernst gewesen. Er giebt uns im Lartor
eine ausführliche Schilderung, aus der wir nur die Hauptzüge heraus¬
greifen, die aber nötig sind, um Goethes „Wohlthat" an Carlyle ganz zu verstehen.

„Der Zweifel hatte sich zum Unglauben verdüstert, Schatten auf Schatten
lagerte sich über meine Seele, bis endlich die vollständige, schwarze, sternenlose
Nacht mich umgab .. . fern war jede Hoffnung, ja selbst jeder Wille zu hoffen.
Unsichtbare und undurchdringliche Wände, wie in einer Verzauberung, kerkerten
mich ein und trennten mich von allem Lebenden; ich hatte nicht eine treue
Brust, die ich an mich drücken konnte! Ich hielt ein Schloß über meinen
Lippen; was sollte ich denn sprechen mit der veränderlichen Menge sogenannter
Freunde, in deren verblühter, eitler und begehrlicher Seele wahre Freundschaft
eine rätselhafte und unbekannte Sache war? . . . Einsam wandelte ich mitten auf
den belebten Straßen der Menschen und wild, wie ein Tiger in seinem Käfig
(nur hatte ich nichts zu verzehren und zu zerreißen als mein eignes Herz), das
ganze Leben war mir ohne Zweck, ohne Wille, aber selbst ohne Feindseligkeit.
Es war eine unermeßliche, tote Maschine, mit starrer Gleichgiltigkeit dahin-
sausend, mich — Glied für Glied — zu zermalmen. So dauerte es in bitterm,
lange hinaufgezogenen Todeskampfe lange Jahre, das Herz im Busen ohne
jeden Himmelsthau verzehrte sich in gräßlicher Höllenqual. Seit undenklicher
Zeit hatte ich keine Thräne geweint, nur einmal, als ich halblaut Fausts Todes¬
gesang vor mich hinmurmelte: Selig der, den er im Siegesglanzc findet, und
froh dachte, daß der Tod, dieser letzte Freund, mich wenigstens nicht verlassen
würde. Jetzt war ich noch immer ohne Hoffnung, aber auch ohne Verzweiflung.
Nicht mehr Furcht und klagende Sorge erfüllte mich, sondern Unwille und
grimmer Trotz. . . So war denn die Zeit vorbei, daß das »ewige Nein« mein
ganzes Wesen erfüllte, denn mein ganzes Ich hob sich empor in angeborner
göttlicher Majestät, und legte mit aller Macht seinen Protest ein. Denn ein
Protest — die wichtigste That meines Lebens — kann dieser Trotz genannt
werden. Das »ewige Nein« hatte gesagt: »Siehe, du bist vaterlos, verstoßen,
und das Universum ist mein Reich, und ich bin der Satan!« Und ich hatte
geantwortet: »Ich gehöre dir nicht an, ich bin frei und hasse dich auf ewig.«"

Nun ging der Pfad des jungen, einsamen Kämpfers wieder aufwärts, zum
Lichte! Rastlos pilgerte er „nach mancher heiligen Quelle," und als er dort
seinen Durst nicht stillen konnte, war er so glücklich, einen „weltlichen Born"
zu finden, der ihn labte und erquickte.

Dieser „weltliche Vorn" war die deutsche Literatur, mit der er damals
wie durch Zufall bekannt wurde: Schiller rettete ihn zuerst, beruhigte und
reinigte seinen kranken Sinn und zeigte ihm ein neues Ziel für sein irres
Streben; aber Goethe war es. der ihn auf die Dauer den neuen Pfad führte,
der ihn nicht nur in jenen schweren Jahren wie mit unsichtbarem, unbewußten


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[0091] Unglück zu seiner Weltanschauung hindurchzuringen. Und dieser Kampf war gerade bei Carlyle besonders heiß und ernst gewesen. Er giebt uns im Lartor eine ausführliche Schilderung, aus der wir nur die Hauptzüge heraus¬ greifen, die aber nötig sind, um Goethes „Wohlthat" an Carlyle ganz zu verstehen. „Der Zweifel hatte sich zum Unglauben verdüstert, Schatten auf Schatten lagerte sich über meine Seele, bis endlich die vollständige, schwarze, sternenlose Nacht mich umgab .. . fern war jede Hoffnung, ja selbst jeder Wille zu hoffen. Unsichtbare und undurchdringliche Wände, wie in einer Verzauberung, kerkerten mich ein und trennten mich von allem Lebenden; ich hatte nicht eine treue Brust, die ich an mich drücken konnte! Ich hielt ein Schloß über meinen Lippen; was sollte ich denn sprechen mit der veränderlichen Menge sogenannter Freunde, in deren verblühter, eitler und begehrlicher Seele wahre Freundschaft eine rätselhafte und unbekannte Sache war? . . . Einsam wandelte ich mitten auf den belebten Straßen der Menschen und wild, wie ein Tiger in seinem Käfig (nur hatte ich nichts zu verzehren und zu zerreißen als mein eignes Herz), das ganze Leben war mir ohne Zweck, ohne Wille, aber selbst ohne Feindseligkeit. Es war eine unermeßliche, tote Maschine, mit starrer Gleichgiltigkeit dahin- sausend, mich — Glied für Glied — zu zermalmen. So dauerte es in bitterm, lange hinaufgezogenen Todeskampfe lange Jahre, das Herz im Busen ohne jeden Himmelsthau verzehrte sich in gräßlicher Höllenqual. Seit undenklicher Zeit hatte ich keine Thräne geweint, nur einmal, als ich halblaut Fausts Todes¬ gesang vor mich hinmurmelte: Selig der, den er im Siegesglanzc findet, und froh dachte, daß der Tod, dieser letzte Freund, mich wenigstens nicht verlassen würde. Jetzt war ich noch immer ohne Hoffnung, aber auch ohne Verzweiflung. Nicht mehr Furcht und klagende Sorge erfüllte mich, sondern Unwille und grimmer Trotz. . . So war denn die Zeit vorbei, daß das »ewige Nein« mein ganzes Wesen erfüllte, denn mein ganzes Ich hob sich empor in angeborner göttlicher Majestät, und legte mit aller Macht seinen Protest ein. Denn ein Protest — die wichtigste That meines Lebens — kann dieser Trotz genannt werden. Das »ewige Nein« hatte gesagt: »Siehe, du bist vaterlos, verstoßen, und das Universum ist mein Reich, und ich bin der Satan!« Und ich hatte geantwortet: »Ich gehöre dir nicht an, ich bin frei und hasse dich auf ewig.«" Nun ging der Pfad des jungen, einsamen Kämpfers wieder aufwärts, zum Lichte! Rastlos pilgerte er „nach mancher heiligen Quelle," und als er dort seinen Durst nicht stillen konnte, war er so glücklich, einen „weltlichen Born" zu finden, der ihn labte und erquickte. Dieser „weltliche Vorn" war die deutsche Literatur, mit der er damals wie durch Zufall bekannt wurde: Schiller rettete ihn zuerst, beruhigte und reinigte seinen kranken Sinn und zeigte ihm ein neues Ziel für sein irres Streben; aber Goethe war es. der ihn auf die Dauer den neuen Pfad führte, der ihn nicht nur in jenen schweren Jahren wie mit unsichtbarem, unbewußten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/91>, abgerufen am 17.09.2024.