Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

Die schweren Kämpfe, die er als Jüngling auszufechten gehabt hatte, waren
vorüber, seine kleinern schriftstellerischen Arbeiten reichten gerade hin, ein be¬
scheidenes, aber doch bequemes Dasein zu fristen, die Zeit einer neuen, glänzenderen
Thätigkeit schien zu dämmern, und wie eine Weihe, wie ein hoher Segen
verklärte sein ganzes Streben die Anerkennung und das Lob, das der "größte
Mann der Neuzeit" seiner ernsten und ehrlichen Arbeit spendete.

"Es scheint uns wundersam -- schreibt er am 25. September 1828 an
Goethe -- daß Sie und die Ihrigen, mit so vielen großen Aufgaben beschäftigt,
die für die ganze weite Welt von Wert sind, Zeit finden, an uns zu denken,
die so fern von Ihrem Kreise leben und als Gegengabe so wenig thun können,
was Ihnen von Nutzen wäre. Aber so ist einmal die innere Natur dieser
wunderbar verschlungenen Welt, daß alle Menschen an einander geschlossen sind
und der Größte mit dem Geringsten verbunden ist. Und wenn nun auch das
Band, welches mich und Sie verknüpft, nur ein zartes ist, so halte ich es doch
keineswegs für ein schwaches. Wenn ich auf mein vergangenes Leben zurück¬
schaue, so scheint es, als ob Sie, ein Mann, dessen Muttersprache verschieden
ist von meiner, den ich nie gesehen habe, und ach, vielleicht nie sehen werde,
als ob Sie mein Hauptwohlthäter gewesen wären. Ja ich kann sogar sagen,
der einzige wahrhafte Wohlthäter, den ich gehabt habe; denn Weisheit ist das
einzige wahre Gut, der einzige Segen, der nie in sein Gegenteil verkehrt werden
kann, der sowohl den segnet, der da giebt, als den, der empfängt. In schwerem
Kummer und Leiden, wenn Ihnen alle Freunde entrissen werden, muß es doch
für Sie ein Trost sein, zu denken, daß weder in diesem Jahrhundert noch in
allen folgenden Sie verlassen werden können: denn wo auch nur immer Menschen
Wahrheit suchen werden, Geistesklarheit und Schönheit, da haben Sie Brüder
und Kinder. Ich bete zum Himmel, daß er Sie noch lange, lange erhalten
möge, das Gute dieser Welt zu genießen und zu befördern: denn ohne Sie
wäre es mit der gesamten Literatur (auch die deutsche nicht ausgenommen)
schlecht bestellt; ohne den einen, den wir andern klar beurteilen und doch mit
wahrer Ehrfurcht betrachten. Die gute Saat, die da gesät ist, kann nicht nieder¬
getreten, noch vom Unkraut überwuchert werden. Aber wenn es gewiß der
höchste Segen war, diese Saat gestreut zu haben, so ist es noch Segen genug,
daß wir Hände haben, die Frucht zu ernten, Augen, zu schauen, wie sie reift."

Diese Worte zeigen am schönsten, welcher Geist die vorliegenden Briefe
Carlyles um Goethe erfüllt, es sind die Briefe des Schülers, der sich in dank¬
barster Hingebung seinem Lehrer, seinem "Vater" naht, und allein durch seine
herzliche Zuneigung, seinen geraden und großen Sinn, mit dem er die empfangene
Wohlthat anerkennt, das Verhältnis zur Freundschaft adelt.

Thomas Carlyle stand, als er zuerst mit dem deutschen Geistesleben bekannt
wurde, noch mitten in einer schweren, geistigen, besonders religiösen Krisis. Wie
jeder bedeutende Mensch, hatte er sich mit schwerem Kampfe durch Zweifel und


Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

Die schweren Kämpfe, die er als Jüngling auszufechten gehabt hatte, waren
vorüber, seine kleinern schriftstellerischen Arbeiten reichten gerade hin, ein be¬
scheidenes, aber doch bequemes Dasein zu fristen, die Zeit einer neuen, glänzenderen
Thätigkeit schien zu dämmern, und wie eine Weihe, wie ein hoher Segen
verklärte sein ganzes Streben die Anerkennung und das Lob, das der „größte
Mann der Neuzeit" seiner ernsten und ehrlichen Arbeit spendete.

„Es scheint uns wundersam — schreibt er am 25. September 1828 an
Goethe — daß Sie und die Ihrigen, mit so vielen großen Aufgaben beschäftigt,
die für die ganze weite Welt von Wert sind, Zeit finden, an uns zu denken,
die so fern von Ihrem Kreise leben und als Gegengabe so wenig thun können,
was Ihnen von Nutzen wäre. Aber so ist einmal die innere Natur dieser
wunderbar verschlungenen Welt, daß alle Menschen an einander geschlossen sind
und der Größte mit dem Geringsten verbunden ist. Und wenn nun auch das
Band, welches mich und Sie verknüpft, nur ein zartes ist, so halte ich es doch
keineswegs für ein schwaches. Wenn ich auf mein vergangenes Leben zurück¬
schaue, so scheint es, als ob Sie, ein Mann, dessen Muttersprache verschieden
ist von meiner, den ich nie gesehen habe, und ach, vielleicht nie sehen werde,
als ob Sie mein Hauptwohlthäter gewesen wären. Ja ich kann sogar sagen,
der einzige wahrhafte Wohlthäter, den ich gehabt habe; denn Weisheit ist das
einzige wahre Gut, der einzige Segen, der nie in sein Gegenteil verkehrt werden
kann, der sowohl den segnet, der da giebt, als den, der empfängt. In schwerem
Kummer und Leiden, wenn Ihnen alle Freunde entrissen werden, muß es doch
für Sie ein Trost sein, zu denken, daß weder in diesem Jahrhundert noch in
allen folgenden Sie verlassen werden können: denn wo auch nur immer Menschen
Wahrheit suchen werden, Geistesklarheit und Schönheit, da haben Sie Brüder
und Kinder. Ich bete zum Himmel, daß er Sie noch lange, lange erhalten
möge, das Gute dieser Welt zu genießen und zu befördern: denn ohne Sie
wäre es mit der gesamten Literatur (auch die deutsche nicht ausgenommen)
schlecht bestellt; ohne den einen, den wir andern klar beurteilen und doch mit
wahrer Ehrfurcht betrachten. Die gute Saat, die da gesät ist, kann nicht nieder¬
getreten, noch vom Unkraut überwuchert werden. Aber wenn es gewiß der
höchste Segen war, diese Saat gestreut zu haben, so ist es noch Segen genug,
daß wir Hände haben, die Frucht zu ernten, Augen, zu schauen, wie sie reift."

Diese Worte zeigen am schönsten, welcher Geist die vorliegenden Briefe
Carlyles um Goethe erfüllt, es sind die Briefe des Schülers, der sich in dank¬
barster Hingebung seinem Lehrer, seinem „Vater" naht, und allein durch seine
herzliche Zuneigung, seinen geraden und großen Sinn, mit dem er die empfangene
Wohlthat anerkennt, das Verhältnis zur Freundschaft adelt.

Thomas Carlyle stand, als er zuerst mit dem deutschen Geistesleben bekannt
wurde, noch mitten in einer schweren, geistigen, besonders religiösen Krisis. Wie
jeder bedeutende Mensch, hatte er sich mit schwerem Kampfe durch Zweifel und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288543"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_246"> Die schweren Kämpfe, die er als Jüngling auszufechten gehabt hatte, waren<lb/>
vorüber, seine kleinern schriftstellerischen Arbeiten reichten gerade hin, ein be¬<lb/>
scheidenes, aber doch bequemes Dasein zu fristen, die Zeit einer neuen, glänzenderen<lb/>
Thätigkeit schien zu dämmern, und wie eine Weihe, wie ein hoher Segen<lb/>
verklärte sein ganzes Streben die Anerkennung und das Lob, das der &#x201E;größte<lb/>
Mann der Neuzeit" seiner ernsten und ehrlichen Arbeit spendete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_247"> &#x201E;Es scheint uns wundersam &#x2014; schreibt er am 25. September 1828 an<lb/>
Goethe &#x2014; daß Sie und die Ihrigen, mit so vielen großen Aufgaben beschäftigt,<lb/>
die für die ganze weite Welt von Wert sind, Zeit finden, an uns zu denken,<lb/>
die so fern von Ihrem Kreise leben und als Gegengabe so wenig thun können,<lb/>
was Ihnen von Nutzen wäre. Aber so ist einmal die innere Natur dieser<lb/>
wunderbar verschlungenen Welt, daß alle Menschen an einander geschlossen sind<lb/>
und der Größte mit dem Geringsten verbunden ist. Und wenn nun auch das<lb/>
Band, welches mich und Sie verknüpft, nur ein zartes ist, so halte ich es doch<lb/>
keineswegs für ein schwaches. Wenn ich auf mein vergangenes Leben zurück¬<lb/>
schaue, so scheint es, als ob Sie, ein Mann, dessen Muttersprache verschieden<lb/>
ist von meiner, den ich nie gesehen habe, und ach, vielleicht nie sehen werde,<lb/>
als ob Sie mein Hauptwohlthäter gewesen wären. Ja ich kann sogar sagen,<lb/>
der einzige wahrhafte Wohlthäter, den ich gehabt habe; denn Weisheit ist das<lb/>
einzige wahre Gut, der einzige Segen, der nie in sein Gegenteil verkehrt werden<lb/>
kann, der sowohl den segnet, der da giebt, als den, der empfängt. In schwerem<lb/>
Kummer und Leiden, wenn Ihnen alle Freunde entrissen werden, muß es doch<lb/>
für Sie ein Trost sein, zu denken, daß weder in diesem Jahrhundert noch in<lb/>
allen folgenden Sie verlassen werden können: denn wo auch nur immer Menschen<lb/>
Wahrheit suchen werden, Geistesklarheit und Schönheit, da haben Sie Brüder<lb/>
und Kinder. Ich bete zum Himmel, daß er Sie noch lange, lange erhalten<lb/>
möge, das Gute dieser Welt zu genießen und zu befördern: denn ohne Sie<lb/>
wäre es mit der gesamten Literatur (auch die deutsche nicht ausgenommen)<lb/>
schlecht bestellt; ohne den einen, den wir andern klar beurteilen und doch mit<lb/>
wahrer Ehrfurcht betrachten. Die gute Saat, die da gesät ist, kann nicht nieder¬<lb/>
getreten, noch vom Unkraut überwuchert werden. Aber wenn es gewiß der<lb/>
höchste Segen war, diese Saat gestreut zu haben, so ist es noch Segen genug,<lb/>
daß wir Hände haben, die Frucht zu ernten, Augen, zu schauen, wie sie reift."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_248"> Diese Worte zeigen am schönsten, welcher Geist die vorliegenden Briefe<lb/>
Carlyles um Goethe erfüllt, es sind die Briefe des Schülers, der sich in dank¬<lb/>
barster Hingebung seinem Lehrer, seinem &#x201E;Vater" naht, und allein durch seine<lb/>
herzliche Zuneigung, seinen geraden und großen Sinn, mit dem er die empfangene<lb/>
Wohlthat anerkennt, das Verhältnis zur Freundschaft adelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_249" next="#ID_250"> Thomas Carlyle stand, als er zuerst mit dem deutschen Geistesleben bekannt<lb/>
wurde, noch mitten in einer schweren, geistigen, besonders religiösen Krisis. Wie<lb/>
jeder bedeutende Mensch, hatte er sich mit schwerem Kampfe durch Zweifel und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0090] Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle. Die schweren Kämpfe, die er als Jüngling auszufechten gehabt hatte, waren vorüber, seine kleinern schriftstellerischen Arbeiten reichten gerade hin, ein be¬ scheidenes, aber doch bequemes Dasein zu fristen, die Zeit einer neuen, glänzenderen Thätigkeit schien zu dämmern, und wie eine Weihe, wie ein hoher Segen verklärte sein ganzes Streben die Anerkennung und das Lob, das der „größte Mann der Neuzeit" seiner ernsten und ehrlichen Arbeit spendete. „Es scheint uns wundersam — schreibt er am 25. September 1828 an Goethe — daß Sie und die Ihrigen, mit so vielen großen Aufgaben beschäftigt, die für die ganze weite Welt von Wert sind, Zeit finden, an uns zu denken, die so fern von Ihrem Kreise leben und als Gegengabe so wenig thun können, was Ihnen von Nutzen wäre. Aber so ist einmal die innere Natur dieser wunderbar verschlungenen Welt, daß alle Menschen an einander geschlossen sind und der Größte mit dem Geringsten verbunden ist. Und wenn nun auch das Band, welches mich und Sie verknüpft, nur ein zartes ist, so halte ich es doch keineswegs für ein schwaches. Wenn ich auf mein vergangenes Leben zurück¬ schaue, so scheint es, als ob Sie, ein Mann, dessen Muttersprache verschieden ist von meiner, den ich nie gesehen habe, und ach, vielleicht nie sehen werde, als ob Sie mein Hauptwohlthäter gewesen wären. Ja ich kann sogar sagen, der einzige wahrhafte Wohlthäter, den ich gehabt habe; denn Weisheit ist das einzige wahre Gut, der einzige Segen, der nie in sein Gegenteil verkehrt werden kann, der sowohl den segnet, der da giebt, als den, der empfängt. In schwerem Kummer und Leiden, wenn Ihnen alle Freunde entrissen werden, muß es doch für Sie ein Trost sein, zu denken, daß weder in diesem Jahrhundert noch in allen folgenden Sie verlassen werden können: denn wo auch nur immer Menschen Wahrheit suchen werden, Geistesklarheit und Schönheit, da haben Sie Brüder und Kinder. Ich bete zum Himmel, daß er Sie noch lange, lange erhalten möge, das Gute dieser Welt zu genießen und zu befördern: denn ohne Sie wäre es mit der gesamten Literatur (auch die deutsche nicht ausgenommen) schlecht bestellt; ohne den einen, den wir andern klar beurteilen und doch mit wahrer Ehrfurcht betrachten. Die gute Saat, die da gesät ist, kann nicht nieder¬ getreten, noch vom Unkraut überwuchert werden. Aber wenn es gewiß der höchste Segen war, diese Saat gestreut zu haben, so ist es noch Segen genug, daß wir Hände haben, die Frucht zu ernten, Augen, zu schauen, wie sie reift." Diese Worte zeigen am schönsten, welcher Geist die vorliegenden Briefe Carlyles um Goethe erfüllt, es sind die Briefe des Schülers, der sich in dank¬ barster Hingebung seinem Lehrer, seinem „Vater" naht, und allein durch seine herzliche Zuneigung, seinen geraden und großen Sinn, mit dem er die empfangene Wohlthat anerkennt, das Verhältnis zur Freundschaft adelt. Thomas Carlyle stand, als er zuerst mit dem deutschen Geistesleben bekannt wurde, noch mitten in einer schweren, geistigen, besonders religiösen Krisis. Wie jeder bedeutende Mensch, hatte er sich mit schwerem Kampfe durch Zweifel und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/90
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/90>, abgerufen am 17.09.2024.