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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

gelehrten eine Sache klar zu schneiden, dann fehlt es ihm aller Orten mit
Enden an verständlichen deutschen Ausdrücken.

Und wie häufig ist nicht die Unübersetzbarkeit eines Fremdwortes nur die
Folge davon, daß kein greifbarer Gedanke darin steckt.


Da, wo Begriffe fehlen,
Stellt sich zur rechten Zeit ein Fremdwort ein.

Für wen schreiben denn die Schriftsteller zumeist? Für ihre gelehrten
Fachgenossen oder für die Lesewelt? Für wen sind Gildemeisters und Grimms
Aufsätze in der "Rundschau" bestimmt? Verstehen die Leser dieser Zeitschrift,
warum Gildemeister devot sür unterwürfig wählt?- Wissen es Rümelins
Studenten zu schätzen, was ihr Meister mit dem unschön klingenden Worte
Gedankcnnüaneen anders sagen will als Gedankenschattirungen?

Machen wir doch einmal von den Lehren der Gegner eine Nutzanwendung.
Ich will einen Satz ins Französische übersetzen; ich will die deutschen Wörter
scharf und treffend, nicht bloß ihrem Sinne, sondern der vollen Bedeutung
nach wiedergeben. Der zu übersetzende Satz lautet: "Welches ist der Beweggrund
für das Bestreben des deutschen Sprachvereins, die von früheren Geschlechtern
in die deutsche Umgangssprache aufgenommenen entbehrlichen Fremdwörter durch
einheimische zu ersetzen?" Ich übersetze Beweggrund mit uwtik, Umgangssprache
mit iWZgM as la czonvöi'sMon, Geschlechter mit g'önmÄticms. Weit gefehlt!
Gildemeister, Rümelin und Grimm sagen im Deutschen für Beweggrund Motiv,
für Umgangssprache Konversationssprache, für Geschlecht Generation; folglich
haben diese fremden Wörter eine andre Bedeutung als unsre deutschet?. Ich
bilde mir nun ein, der zu übersetzende Satz sei geschrieben von einem großen
Schriftsteller, der gerade um eben dieser Unterschiede willen diese deutschen Wörter
gewählt hat. Als Übersetzer habe ich aber die Pflicht, die Unterscheidungen
genau zu beachten. Nun finde ich im Französischen keine gleichbedeutenden.
Da wäre nun guter Rat teuer, hätten wir nicht die Lehren unsrer Gegner:
"Sprachgrenzen giebt es nicht. Hole dir den treffendsten Ausdruck für deine
Gedanken, wo du ihn findest." Darf ich aber das französische nrotik im Deutschen
mit Motiv übersetzen, so werden mir auch keine Sprachgrenzen gezogen sein,
wenn ich das uuübersetzbare "Beweggrund" auch im Französischen mit Beweg¬
grund wiedergebe. Nun denke mau sich den Lärm, den französische Schrift¬
steller von der Bedeutung unsrer Gegner schlagen würden, wenn einer in einem
französischen Werke das Wort "Beweggrund" oder "Geschlecht" darbieten wollte.
Oder man denke sich einen derartigen Versuch im stolzen England!

Das ist ja natürlich Übertreibung. Aber es zeigt doch, wohin jene Lehren
vom Gemeingut der Sprachen, von der Zufälligkeit einer angestammten Sprache
führen. Was soll die Haarspalterei und das Graswachsensehen bei der Frage,
wie ein Volk reden und schreiben darf? Auf wessen Seite ist die Engherzigkeit,
wo die Vergewaltigung? '


Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

gelehrten eine Sache klar zu schneiden, dann fehlt es ihm aller Orten mit
Enden an verständlichen deutschen Ausdrücken.

Und wie häufig ist nicht die Unübersetzbarkeit eines Fremdwortes nur die
Folge davon, daß kein greifbarer Gedanke darin steckt.


Da, wo Begriffe fehlen,
Stellt sich zur rechten Zeit ein Fremdwort ein.

Für wen schreiben denn die Schriftsteller zumeist? Für ihre gelehrten
Fachgenossen oder für die Lesewelt? Für wen sind Gildemeisters und Grimms
Aufsätze in der „Rundschau" bestimmt? Verstehen die Leser dieser Zeitschrift,
warum Gildemeister devot sür unterwürfig wählt?- Wissen es Rümelins
Studenten zu schätzen, was ihr Meister mit dem unschön klingenden Worte
Gedankcnnüaneen anders sagen will als Gedankenschattirungen?

Machen wir doch einmal von den Lehren der Gegner eine Nutzanwendung.
Ich will einen Satz ins Französische übersetzen; ich will die deutschen Wörter
scharf und treffend, nicht bloß ihrem Sinne, sondern der vollen Bedeutung
nach wiedergeben. Der zu übersetzende Satz lautet: „Welches ist der Beweggrund
für das Bestreben des deutschen Sprachvereins, die von früheren Geschlechtern
in die deutsche Umgangssprache aufgenommenen entbehrlichen Fremdwörter durch
einheimische zu ersetzen?" Ich übersetze Beweggrund mit uwtik, Umgangssprache
mit iWZgM as la czonvöi'sMon, Geschlechter mit g'önmÄticms. Weit gefehlt!
Gildemeister, Rümelin und Grimm sagen im Deutschen für Beweggrund Motiv,
für Umgangssprache Konversationssprache, für Geschlecht Generation; folglich
haben diese fremden Wörter eine andre Bedeutung als unsre deutschet?. Ich
bilde mir nun ein, der zu übersetzende Satz sei geschrieben von einem großen
Schriftsteller, der gerade um eben dieser Unterschiede willen diese deutschen Wörter
gewählt hat. Als Übersetzer habe ich aber die Pflicht, die Unterscheidungen
genau zu beachten. Nun finde ich im Französischen keine gleichbedeutenden.
Da wäre nun guter Rat teuer, hätten wir nicht die Lehren unsrer Gegner:
„Sprachgrenzen giebt es nicht. Hole dir den treffendsten Ausdruck für deine
Gedanken, wo du ihn findest." Darf ich aber das französische nrotik im Deutschen
mit Motiv übersetzen, so werden mir auch keine Sprachgrenzen gezogen sein,
wenn ich das uuübersetzbare „Beweggrund" auch im Französischen mit Beweg¬
grund wiedergebe. Nun denke mau sich den Lärm, den französische Schrift¬
steller von der Bedeutung unsrer Gegner schlagen würden, wenn einer in einem
französischen Werke das Wort „Beweggrund" oder „Geschlecht" darbieten wollte.
Oder man denke sich einen derartigen Versuch im stolzen England!

Das ist ja natürlich Übertreibung. Aber es zeigt doch, wohin jene Lehren
vom Gemeingut der Sprachen, von der Zufälligkeit einer angestammten Sprache
führen. Was soll die Haarspalterei und das Graswachsensehen bei der Frage,
wie ein Volk reden und schreiben darf? Auf wessen Seite ist die Engherzigkeit,
wo die Vergewaltigung? '


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/88>, abgerufen am 17.09.2024.