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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

bloß unser Sprachgefühl, sondern giebt auch ein falsches Bild. Man hat sich
die mitvibrirenden Gedanken wohl als Saiten zu denken, welche mitschwingen.
Gemeine sind aber leise Töne, welche mit anklingen. Meines Erachtens ist es
wohllautender und richtiger zu sagen: "das gewählte Wort läßt Gedankenreihen
mit anklingen." Gildemeister spricht von "impotenten Versuchen unmöglich ge¬
wordener Sprachzeugungen." Gewiß besagt impotent etwas andres als ohn¬
mächtig; es birgt den Gedanken an Zeugungsunfähigkeit in sich. Ebendeshalb
durfte das Wort aber nicht gewählt werden, denn nun haben wir zwei Mi߬
bildungen: einen zeugungsnnfähigen Versuch (als ob es zeugungsfähige Versuche
gäbe), und einen zeugungsunfähigen Versuch der Zeugung.

Aber wenn man sich wenigstens beschränken wollte auf die Wahl von
Fremdwörtern, die den einheimischen gleichwertig sind. Es werden viel schlechtere,
ganz farblose, ja begriffsfalsche angewendet, bloß weil sie herkömmlich und ge¬
läufig sind. Man sagt präoccupirt, während man doch nicht an eine ange¬
griffene, sondern an eine bereits eingenommene Stellung denkt. Um wieviel
schärfer ist Begriffsbestimmung als Definition, Enkelwirtschaft als Nepotismus,
Jahresabzahlung als Annuität, Selbstsucht als Egoismus! Man spricht von
imitirten Diamanten, will aber die Uuechtheit. nicht die Nachahmung betonen.
Wir sprechen vom Resultat eines Bittgesuchs oder einer wissenschaftlichen Reise,
meinen aber den Erfolg des Gesuchs, die Frucht der Reise. Wir nennen den
Vortragenden Referent, auch wenn er nichts berichtet, sondern eignes giebt.
Man spricht von einem Bauprojekt, läßt aber dabei unklar, ob man den Plan
oder den Entwurf oder das Unternehmen meint.

Es wird gegen uns die Kürze des Fremdworts ins Feld geführt. Oft
mit Recht. Aber wir haben ebensoviele Kunst- oder Fachausdrücke im Deutschen,
welche kürzer und treffender sind als die gleichwohl angewendeten Fremdwörter.
Und worauf beruht es denn, daß man für Werk Etablissement sagt, für Vor¬
recht Prärogative, für Raum Lokalität, für Schenk oder Wirt Restaurateur,
für Grundbesitz Immobiliarbesitz?

Ferner sagt man: "Wer nicht den ihm am richtigsten scheinenden Alls¬
druck soll wählen dürfen, der wird unfrei." Ja, das ist wahr. In dem
Bemühen, möglichst rein deutsch zu reden, stutzt, schwankt, zaudert, irrt man
oft. Aber wer will, der überwindet die Schwierigkeit; zuerst im schriftlichen,
allmählich auch im mündlichen Ausdruck. Wer deutsch denkt und scharf denkt,
dem wird die Vermeidung des entbehrlichen Fremden bald zur andern und, was
mehr ist, zur lieben Gewohnheit. Ich freue mich über jede von Fremdwörtern
rein gehaltne Urteilsausarbeitung, wenn ich hoffen darf, daß es mir gelungen
sei, mit Hilfe der Reinhaltung jedem das, was ich sagen wollte, verständlich
zu machen. Und immer mehr wächst mir unter der Hand die Liebe zur Mutter¬
sprache, die Verehrung für ihre Fülle, ihre Tiefe und Schönheit. Unfrei ist,
wer an die Unersetzlichkeit der Fremdwörter glaubt; denn wenn es gilt, Un-


Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

bloß unser Sprachgefühl, sondern giebt auch ein falsches Bild. Man hat sich
die mitvibrirenden Gedanken wohl als Saiten zu denken, welche mitschwingen.
Gemeine sind aber leise Töne, welche mit anklingen. Meines Erachtens ist es
wohllautender und richtiger zu sagen: „das gewählte Wort läßt Gedankenreihen
mit anklingen." Gildemeister spricht von „impotenten Versuchen unmöglich ge¬
wordener Sprachzeugungen." Gewiß besagt impotent etwas andres als ohn¬
mächtig; es birgt den Gedanken an Zeugungsunfähigkeit in sich. Ebendeshalb
durfte das Wort aber nicht gewählt werden, denn nun haben wir zwei Mi߬
bildungen: einen zeugungsnnfähigen Versuch (als ob es zeugungsfähige Versuche
gäbe), und einen zeugungsunfähigen Versuch der Zeugung.

Aber wenn man sich wenigstens beschränken wollte auf die Wahl von
Fremdwörtern, die den einheimischen gleichwertig sind. Es werden viel schlechtere,
ganz farblose, ja begriffsfalsche angewendet, bloß weil sie herkömmlich und ge¬
läufig sind. Man sagt präoccupirt, während man doch nicht an eine ange¬
griffene, sondern an eine bereits eingenommene Stellung denkt. Um wieviel
schärfer ist Begriffsbestimmung als Definition, Enkelwirtschaft als Nepotismus,
Jahresabzahlung als Annuität, Selbstsucht als Egoismus! Man spricht von
imitirten Diamanten, will aber die Uuechtheit. nicht die Nachahmung betonen.
Wir sprechen vom Resultat eines Bittgesuchs oder einer wissenschaftlichen Reise,
meinen aber den Erfolg des Gesuchs, die Frucht der Reise. Wir nennen den
Vortragenden Referent, auch wenn er nichts berichtet, sondern eignes giebt.
Man spricht von einem Bauprojekt, läßt aber dabei unklar, ob man den Plan
oder den Entwurf oder das Unternehmen meint.

Es wird gegen uns die Kürze des Fremdworts ins Feld geführt. Oft
mit Recht. Aber wir haben ebensoviele Kunst- oder Fachausdrücke im Deutschen,
welche kürzer und treffender sind als die gleichwohl angewendeten Fremdwörter.
Und worauf beruht es denn, daß man für Werk Etablissement sagt, für Vor¬
recht Prärogative, für Raum Lokalität, für Schenk oder Wirt Restaurateur,
für Grundbesitz Immobiliarbesitz?

Ferner sagt man: „Wer nicht den ihm am richtigsten scheinenden Alls¬
druck soll wählen dürfen, der wird unfrei." Ja, das ist wahr. In dem
Bemühen, möglichst rein deutsch zu reden, stutzt, schwankt, zaudert, irrt man
oft. Aber wer will, der überwindet die Schwierigkeit; zuerst im schriftlichen,
allmählich auch im mündlichen Ausdruck. Wer deutsch denkt und scharf denkt,
dem wird die Vermeidung des entbehrlichen Fremden bald zur andern und, was
mehr ist, zur lieben Gewohnheit. Ich freue mich über jede von Fremdwörtern
rein gehaltne Urteilsausarbeitung, wenn ich hoffen darf, daß es mir gelungen
sei, mit Hilfe der Reinhaltung jedem das, was ich sagen wollte, verständlich
zu machen. Und immer mehr wächst mir unter der Hand die Liebe zur Mutter¬
sprache, die Verehrung für ihre Fülle, ihre Tiefe und Schönheit. Unfrei ist,
wer an die Unersetzlichkeit der Fremdwörter glaubt; denn wenn es gilt, Un-


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[0087] Die Gegner des deutschen Sprachvereins. bloß unser Sprachgefühl, sondern giebt auch ein falsches Bild. Man hat sich die mitvibrirenden Gedanken wohl als Saiten zu denken, welche mitschwingen. Gemeine sind aber leise Töne, welche mit anklingen. Meines Erachtens ist es wohllautender und richtiger zu sagen: „das gewählte Wort läßt Gedankenreihen mit anklingen." Gildemeister spricht von „impotenten Versuchen unmöglich ge¬ wordener Sprachzeugungen." Gewiß besagt impotent etwas andres als ohn¬ mächtig; es birgt den Gedanken an Zeugungsunfähigkeit in sich. Ebendeshalb durfte das Wort aber nicht gewählt werden, denn nun haben wir zwei Mi߬ bildungen: einen zeugungsnnfähigen Versuch (als ob es zeugungsfähige Versuche gäbe), und einen zeugungsunfähigen Versuch der Zeugung. Aber wenn man sich wenigstens beschränken wollte auf die Wahl von Fremdwörtern, die den einheimischen gleichwertig sind. Es werden viel schlechtere, ganz farblose, ja begriffsfalsche angewendet, bloß weil sie herkömmlich und ge¬ läufig sind. Man sagt präoccupirt, während man doch nicht an eine ange¬ griffene, sondern an eine bereits eingenommene Stellung denkt. Um wieviel schärfer ist Begriffsbestimmung als Definition, Enkelwirtschaft als Nepotismus, Jahresabzahlung als Annuität, Selbstsucht als Egoismus! Man spricht von imitirten Diamanten, will aber die Uuechtheit. nicht die Nachahmung betonen. Wir sprechen vom Resultat eines Bittgesuchs oder einer wissenschaftlichen Reise, meinen aber den Erfolg des Gesuchs, die Frucht der Reise. Wir nennen den Vortragenden Referent, auch wenn er nichts berichtet, sondern eignes giebt. Man spricht von einem Bauprojekt, läßt aber dabei unklar, ob man den Plan oder den Entwurf oder das Unternehmen meint. Es wird gegen uns die Kürze des Fremdworts ins Feld geführt. Oft mit Recht. Aber wir haben ebensoviele Kunst- oder Fachausdrücke im Deutschen, welche kürzer und treffender sind als die gleichwohl angewendeten Fremdwörter. Und worauf beruht es denn, daß man für Werk Etablissement sagt, für Vor¬ recht Prärogative, für Raum Lokalität, für Schenk oder Wirt Restaurateur, für Grundbesitz Immobiliarbesitz? Ferner sagt man: „Wer nicht den ihm am richtigsten scheinenden Alls¬ druck soll wählen dürfen, der wird unfrei." Ja, das ist wahr. In dem Bemühen, möglichst rein deutsch zu reden, stutzt, schwankt, zaudert, irrt man oft. Aber wer will, der überwindet die Schwierigkeit; zuerst im schriftlichen, allmählich auch im mündlichen Ausdruck. Wer deutsch denkt und scharf denkt, dem wird die Vermeidung des entbehrlichen Fremden bald zur andern und, was mehr ist, zur lieben Gewohnheit. Ich freue mich über jede von Fremdwörtern rein gehaltne Urteilsausarbeitung, wenn ich hoffen darf, daß es mir gelungen sei, mit Hilfe der Reinhaltung jedem das, was ich sagen wollte, verständlich zu machen. Und immer mehr wächst mir unter der Hand die Liebe zur Mutter¬ sprache, die Verehrung für ihre Fülle, ihre Tiefe und Schönheit. Unfrei ist, wer an die Unersetzlichkeit der Fremdwörter glaubt; denn wenn es gilt, Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/87>, abgerufen am 17.09.2024.