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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

bedruckt sind." Ich frage: Welches Gefühl in uns ist verletzt, wenn wir die
Ankündigung eines Leipziger Wirtes lesen: Restaurant verbunden mit LiMnsts
xiu'tiouliöi'8, vsMiiiM, Diners 5 M't und g, 1a. vMts? Nur das Sprachgefühl?

Unsre Bewegung ist hervorgegangen aus dem Vatcrlcmdsgefühl, welches
der Einigung, der Machtstellung Deutschlands entsprang. Dienen wir unsrer
Sprache als einem Nationalgute, so dienen wir der Nation. Mit Recht stellt
daher unser Vereinsgesetz als ein Ziel auf: durch unsre Bestrebungen das all¬
gemeine nationale Bewußtsein im deutscheu Volke zu kräftigen. Zwischen Na¬
tionalbewußtsein und "Chauvinismus," wie Rümelin die Bewegung nennt, ist
eine himmelweite Kluft. Das eine ist eine Tugend, das andre eine Verirrung.

Die Gegner sagen, es sei nicht festzustellen, welche Fremdwörter entbehrlich
seien; ob ein Wort einer fremden Sprache entstamme oder ihr entlehnt sei,
könne oft garnicht, jedenfalls mir von Kennern ermittelt werden. Das ist bei
vielen Fremdwörtern zuzugeben. Aber wollen wir denn für jedes einzelne
Wort Gesetze aufstellen? Lehnwörter -- und was darunter zu verstehen sei,
das wissen heute, dank der durch den Verein erhaltenen Aufklärung, alle, die
unsrer Sache zugethan sind -- Lehnwörter will niemand von uus beseitigen.
Sie haben sich unsrer Sprache angeglichen (die Gegner sagen assimilirt), sind
durch Umbildung unser alleiniges Eigentum geworden. Fremdwörter, bei denen
der Deutsche -- wissentlich oder unwissentlich -- den vollen ausländischen
Klang beibehalten hat, wie bei Reglement, Reunion, Avancement, sind fremd
geblieben und fast ausnahmslos entbehrlich. Wörter wie Musik, Melodie, Theater,
Konzert, Kanone, Silbe, Politik -- wir denken nicht daran, sie ersetzen zu
wollen; sie sind allen Kulturvölkern gemeinsam. Niemand kämpft ernstlich
gegen Galvanismus, Telegraph, Elektrizität und ähnliche Bezeichnungen, die in
der ganzen Welt dieselben sind.

Ob ein Fremdwort ein entbehrliches sei -- man sieht, hört, ja riecht es
ihm förmlich an. Gildemeister bestreitet die Möglichkeit, aber er selbst zeigt
einen Weg. Er sagt (S. 113): "Immer soll man das Fremdwort abweisen,
wenn es sich da eindrängt, wohin es nicht gehört," und anderwärts: "Der
gute Geschmack muß entscheiden." Nun, ich frage: Generation, Resultat, Prinzip,
Definition, Invasion, Motiv, Maxime, Surrogat, Äquivalent, Kombination, Nu¬
ance -- Wörter, über die man bei Gildemeister, Rümelin und Grimm aller Augen¬
blicke stolpert --, sieht man ihnen nicht das Aufdringliche auf hundert Schritte
an? In zwanzig Jahren sind sie abgethan; es geht ihnen, wie den unzähligen
Wörtern, die heute noch dem Schatze alter Tanten entsteigen: ich bin fatiguirt,
aigrirt, charmirt, enchcmtirt. Grimm ist uns heute schon unverständlich. Rümelin
hat die zweite Auflage erlebt, nicht weil man an ihn glaubt, sondern weil der
Gegenstand anziehend ist.'")



5) Das Schriftchen ist gleichzeitig in der ersten und zweiten Auflage ausgegeben worden,
D. Red. wie es jetzt im Buchhandel vielfach geschieht.
Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

bedruckt sind." Ich frage: Welches Gefühl in uns ist verletzt, wenn wir die
Ankündigung eines Leipziger Wirtes lesen: Restaurant verbunden mit LiMnsts
xiu'tiouliöi'8, vsMiiiM, Diners 5 M't und g, 1a. vMts? Nur das Sprachgefühl?

Unsre Bewegung ist hervorgegangen aus dem Vatcrlcmdsgefühl, welches
der Einigung, der Machtstellung Deutschlands entsprang. Dienen wir unsrer
Sprache als einem Nationalgute, so dienen wir der Nation. Mit Recht stellt
daher unser Vereinsgesetz als ein Ziel auf: durch unsre Bestrebungen das all¬
gemeine nationale Bewußtsein im deutscheu Volke zu kräftigen. Zwischen Na¬
tionalbewußtsein und „Chauvinismus," wie Rümelin die Bewegung nennt, ist
eine himmelweite Kluft. Das eine ist eine Tugend, das andre eine Verirrung.

Die Gegner sagen, es sei nicht festzustellen, welche Fremdwörter entbehrlich
seien; ob ein Wort einer fremden Sprache entstamme oder ihr entlehnt sei,
könne oft garnicht, jedenfalls mir von Kennern ermittelt werden. Das ist bei
vielen Fremdwörtern zuzugeben. Aber wollen wir denn für jedes einzelne
Wort Gesetze aufstellen? Lehnwörter — und was darunter zu verstehen sei,
das wissen heute, dank der durch den Verein erhaltenen Aufklärung, alle, die
unsrer Sache zugethan sind — Lehnwörter will niemand von uus beseitigen.
Sie haben sich unsrer Sprache angeglichen (die Gegner sagen assimilirt), sind
durch Umbildung unser alleiniges Eigentum geworden. Fremdwörter, bei denen
der Deutsche — wissentlich oder unwissentlich — den vollen ausländischen
Klang beibehalten hat, wie bei Reglement, Reunion, Avancement, sind fremd
geblieben und fast ausnahmslos entbehrlich. Wörter wie Musik, Melodie, Theater,
Konzert, Kanone, Silbe, Politik — wir denken nicht daran, sie ersetzen zu
wollen; sie sind allen Kulturvölkern gemeinsam. Niemand kämpft ernstlich
gegen Galvanismus, Telegraph, Elektrizität und ähnliche Bezeichnungen, die in
der ganzen Welt dieselben sind.

Ob ein Fremdwort ein entbehrliches sei — man sieht, hört, ja riecht es
ihm förmlich an. Gildemeister bestreitet die Möglichkeit, aber er selbst zeigt
einen Weg. Er sagt (S. 113): „Immer soll man das Fremdwort abweisen,
wenn es sich da eindrängt, wohin es nicht gehört," und anderwärts: „Der
gute Geschmack muß entscheiden." Nun, ich frage: Generation, Resultat, Prinzip,
Definition, Invasion, Motiv, Maxime, Surrogat, Äquivalent, Kombination, Nu¬
ance — Wörter, über die man bei Gildemeister, Rümelin und Grimm aller Augen¬
blicke stolpert —, sieht man ihnen nicht das Aufdringliche auf hundert Schritte
an? In zwanzig Jahren sind sie abgethan; es geht ihnen, wie den unzähligen
Wörtern, die heute noch dem Schatze alter Tanten entsteigen: ich bin fatiguirt,
aigrirt, charmirt, enchcmtirt. Grimm ist uns heute schon unverständlich. Rümelin
hat die zweite Auflage erlebt, nicht weil man an ihn glaubt, sondern weil der
Gegenstand anziehend ist.'")



5) Das Schriftchen ist gleichzeitig in der ersten und zweiten Auflage ausgegeben worden,
D. Red. wie es jetzt im Buchhandel vielfach geschieht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/84>, abgerufen am 17.09.2024.