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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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wir Protestler.

und mit Verschwörungen und Aufständen belohnt worden war. Vielleicht
schwebte ihm die Erinnerung vor, daß Frankreich die geraubten Länder gerade
durch Gehenlassen und Schonen der Eigenart langsam wirklich erobert hatte.
Aber dann vergaß er, daß in jenen Zeiten nichts und niemand der allmählichen
Eingewöhnung des Volkes in ein andres Staatswesen entgegenwirkte, daß Elsaß
von der Habsburgischen Hauspolitik preisgegeben worden war, bevor es fran¬
zösisch wurde, daß das machtlose deutsche Reich nicht die Anziehungskraft aus¬
üben konnte wie Frankreich, daß deutscherseits die Friedensschlüsse von Münster
und Osnabrück und von Nijswijk geachtet wurden, daß endlich seit der großen
Revolution die ehemals deutschen Länder von französischer Denkart durchtränkt
worden waren, namentlich auch von dem französischen Größenwahn, welcher an¬
nimmt, daß dieses Land sich gegen andre alles erlauben dürfe, daß jede Ver¬
geltung das bitterste Unrecht sei. Von diesem Geiste konnte nichts andres er¬
wartet werden, als daß er jeden versöhnlichen Schritt als einen Beweis der
Schwäche, als eine Aufmunterung zu vermehrtem Widerstande auffassen würde.
Und nun vollends das Liebäugeln mit den Ultramontanen in demselben Augen¬
blicke, wo diese in geschlossenen Reihen den Kampf auf Tod und Leben gegen
die protestantische Reichsgewalt begonnen hatten! Man begreift wohl, daß die
Herren Gerber und Genossen mit Wehmut an die schönen Tage zurückdenken,
wo der Statthalter ihnen behilflich war, die autonomistische Partei nieder¬
zudrücken!

Allein sie müssen sich daran gewöhnen, daß der Irrtum von damals ein¬
gesehen wird. Haben doch sie das meiste dazu beigetragen, die Augen darüber
zu öffnen. Die Rufe Vivs 1a ?rg.meo! mögen allerdings meistens auf bübische
Neckerei hinauslaufen, doch erlauben sich die Buben dergleichen nur da, wo
die Erwachsenen billigend zu dem Treiben lächeln. Übrigens mache doch Herr
Gerber einmal den Versuch, in Nancy ein Hoch auf Deutschland auszubringen!
Und Neckerei kann das ganze Thun von "uns Protestlern" genannt werden.
Weder werden sie im Ernst glauben, daß Deutschland, müde, sich mit einer
Handvoll Französiern herumzuärgern, dem Erbfeinde die alten Ausfallpforten
wiedereröffnen, altes Reichsgebiet ihm abermals und freiwillig ausliefern werde,
noch den Wahn der Pariser Schreier teilen, welche heute ebenso aberwitzig
lisvkmokiz! brüllen, wie 1870 ^. Berlin! Dafür kennen gerade sie wohl die
beiderseitigen Verhältnisse zu gut. Preußen hat durch Geduld und ausdauernde
Thätigkeit schon manchen deutschen Stamm für sich gewonnen. In Vorpommern
und Rügen schmeckte anfangs das preußische Regiment auf das fahrlässige
schwedische sehr wenig, am Rhein hielt die Abneigung gegen das Preußentum,
genährt durch die Verschiedenheit des Bekenntnisses, lange Stand -- an neueres
braucht nicht erinnert zu werden. Jetzt mag Herr Gerber in den 1815 und
1866 an Preußen gekommenen Ländern Umfrage halten. Er wird hie und da
noch ein Häuflein Mißvergnügter finden und entdecken, daß es aus denselben


Grenzboten II. 1837. 81
wir Protestler.

und mit Verschwörungen und Aufständen belohnt worden war. Vielleicht
schwebte ihm die Erinnerung vor, daß Frankreich die geraubten Länder gerade
durch Gehenlassen und Schonen der Eigenart langsam wirklich erobert hatte.
Aber dann vergaß er, daß in jenen Zeiten nichts und niemand der allmählichen
Eingewöhnung des Volkes in ein andres Staatswesen entgegenwirkte, daß Elsaß
von der Habsburgischen Hauspolitik preisgegeben worden war, bevor es fran¬
zösisch wurde, daß das machtlose deutsche Reich nicht die Anziehungskraft aus¬
üben konnte wie Frankreich, daß deutscherseits die Friedensschlüsse von Münster
und Osnabrück und von Nijswijk geachtet wurden, daß endlich seit der großen
Revolution die ehemals deutschen Länder von französischer Denkart durchtränkt
worden waren, namentlich auch von dem französischen Größenwahn, welcher an¬
nimmt, daß dieses Land sich gegen andre alles erlauben dürfe, daß jede Ver¬
geltung das bitterste Unrecht sei. Von diesem Geiste konnte nichts andres er¬
wartet werden, als daß er jeden versöhnlichen Schritt als einen Beweis der
Schwäche, als eine Aufmunterung zu vermehrtem Widerstande auffassen würde.
Und nun vollends das Liebäugeln mit den Ultramontanen in demselben Augen¬
blicke, wo diese in geschlossenen Reihen den Kampf auf Tod und Leben gegen
die protestantische Reichsgewalt begonnen hatten! Man begreift wohl, daß die
Herren Gerber und Genossen mit Wehmut an die schönen Tage zurückdenken,
wo der Statthalter ihnen behilflich war, die autonomistische Partei nieder¬
zudrücken!

Allein sie müssen sich daran gewöhnen, daß der Irrtum von damals ein¬
gesehen wird. Haben doch sie das meiste dazu beigetragen, die Augen darüber
zu öffnen. Die Rufe Vivs 1a ?rg.meo! mögen allerdings meistens auf bübische
Neckerei hinauslaufen, doch erlauben sich die Buben dergleichen nur da, wo
die Erwachsenen billigend zu dem Treiben lächeln. Übrigens mache doch Herr
Gerber einmal den Versuch, in Nancy ein Hoch auf Deutschland auszubringen!
Und Neckerei kann das ganze Thun von „uns Protestlern" genannt werden.
Weder werden sie im Ernst glauben, daß Deutschland, müde, sich mit einer
Handvoll Französiern herumzuärgern, dem Erbfeinde die alten Ausfallpforten
wiedereröffnen, altes Reichsgebiet ihm abermals und freiwillig ausliefern werde,
noch den Wahn der Pariser Schreier teilen, welche heute ebenso aberwitzig
lisvkmokiz! brüllen, wie 1870 ^. Berlin! Dafür kennen gerade sie wohl die
beiderseitigen Verhältnisse zu gut. Preußen hat durch Geduld und ausdauernde
Thätigkeit schon manchen deutschen Stamm für sich gewonnen. In Vorpommern
und Rügen schmeckte anfangs das preußische Regiment auf das fahrlässige
schwedische sehr wenig, am Rhein hielt die Abneigung gegen das Preußentum,
genährt durch die Verschiedenheit des Bekenntnisses, lange Stand — an neueres
braucht nicht erinnert zu werden. Jetzt mag Herr Gerber in den 1815 und
1866 an Preußen gekommenen Ländern Umfrage halten. Er wird hie und da
noch ein Häuflein Mißvergnügter finden und entdecken, daß es aus denselben


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[0649] wir Protestler. und mit Verschwörungen und Aufständen belohnt worden war. Vielleicht schwebte ihm die Erinnerung vor, daß Frankreich die geraubten Länder gerade durch Gehenlassen und Schonen der Eigenart langsam wirklich erobert hatte. Aber dann vergaß er, daß in jenen Zeiten nichts und niemand der allmählichen Eingewöhnung des Volkes in ein andres Staatswesen entgegenwirkte, daß Elsaß von der Habsburgischen Hauspolitik preisgegeben worden war, bevor es fran¬ zösisch wurde, daß das machtlose deutsche Reich nicht die Anziehungskraft aus¬ üben konnte wie Frankreich, daß deutscherseits die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück und von Nijswijk geachtet wurden, daß endlich seit der großen Revolution die ehemals deutschen Länder von französischer Denkart durchtränkt worden waren, namentlich auch von dem französischen Größenwahn, welcher an¬ nimmt, daß dieses Land sich gegen andre alles erlauben dürfe, daß jede Ver¬ geltung das bitterste Unrecht sei. Von diesem Geiste konnte nichts andres er¬ wartet werden, als daß er jeden versöhnlichen Schritt als einen Beweis der Schwäche, als eine Aufmunterung zu vermehrtem Widerstande auffassen würde. Und nun vollends das Liebäugeln mit den Ultramontanen in demselben Augen¬ blicke, wo diese in geschlossenen Reihen den Kampf auf Tod und Leben gegen die protestantische Reichsgewalt begonnen hatten! Man begreift wohl, daß die Herren Gerber und Genossen mit Wehmut an die schönen Tage zurückdenken, wo der Statthalter ihnen behilflich war, die autonomistische Partei nieder¬ zudrücken! Allein sie müssen sich daran gewöhnen, daß der Irrtum von damals ein¬ gesehen wird. Haben doch sie das meiste dazu beigetragen, die Augen darüber zu öffnen. Die Rufe Vivs 1a ?rg.meo! mögen allerdings meistens auf bübische Neckerei hinauslaufen, doch erlauben sich die Buben dergleichen nur da, wo die Erwachsenen billigend zu dem Treiben lächeln. Übrigens mache doch Herr Gerber einmal den Versuch, in Nancy ein Hoch auf Deutschland auszubringen! Und Neckerei kann das ganze Thun von „uns Protestlern" genannt werden. Weder werden sie im Ernst glauben, daß Deutschland, müde, sich mit einer Handvoll Französiern herumzuärgern, dem Erbfeinde die alten Ausfallpforten wiedereröffnen, altes Reichsgebiet ihm abermals und freiwillig ausliefern werde, noch den Wahn der Pariser Schreier teilen, welche heute ebenso aberwitzig lisvkmokiz! brüllen, wie 1870 ^. Berlin! Dafür kennen gerade sie wohl die beiderseitigen Verhältnisse zu gut. Preußen hat durch Geduld und ausdauernde Thätigkeit schon manchen deutschen Stamm für sich gewonnen. In Vorpommern und Rügen schmeckte anfangs das preußische Regiment auf das fahrlässige schwedische sehr wenig, am Rhein hielt die Abneigung gegen das Preußentum, genährt durch die Verschiedenheit des Bekenntnisses, lange Stand — an neueres braucht nicht erinnert zu werden. Jetzt mag Herr Gerber in den 1815 und 1866 an Preußen gekommenen Ländern Umfrage halten. Er wird hie und da noch ein Häuflein Mißvergnügter finden und entdecken, daß es aus denselben Grenzboten II. 1837. 81

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/649>, abgerufen am 17.09.2024.