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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Wir Protestler.

mit einem Worte: sie muß so sein, wie sie thatsächlich ist, und kann nicht der
kleinsten Veränderung unterzogen werden, ohne ihre ganze musikalische Indi¬
vidualist, wenn ich mich so ausdrücken darf, sofort einzubüßen. Infolge dessen
ist der rhythmisch-melodische Tongang, durch den Sie die Tonleiter zu ersetzen
wünschen, durchaus unbrauchbar, weil er eben keine Tonleiter, diese aber im
Musikunterricht unumgänglich notwendig ist.

Sie ist in der That das ABC der Musik, und ebensowenig wie das sinn¬
lose, nichtssagende Alphabet durch wohlklingende Worte, ebensowenig können
Sie die unrhythmische musikalische Skala durch eine melodische Notenzusammen¬
stellung ersetzen. Wäre dies überhaupt auch wünschenswert? Eine Tonleiter
spielt man nie vor, darnach tanzen soll auch niemand, und von einem Falle,
wo sie die Entwicklung des musikalischen Gefühls in einem Schüler gehemmt
oder gar erstickt hätte, ist mir nichts bekannt; ich habe im Gegenteil die viel¬
seitige Erfahrung gemacht, daß nur unmusikalisch angelegte Naturen von der
Tonleiter unangenehm berührt werden und vor ihr zurttckscheuen.


A. L. Donaldson.


Wir protestler.

er Abgeordnete Gerber, oder, wie er sich seinen ehemaligen Lands¬
leuten zuliebe schreibt: Guerber, nannte in seiner Rede über
das die Ernennung der Bürgermeister in Elsaß-Lothringen be¬
treffende Gesetz dieses Gesetz "eine Schmach für das Reich,"
wußte von keinen ernsten Unordnungen etwas, sondern nur von
"Neckereien," verübt durch unbesonnene junge Leute, beklagte das Aufhören der
milden Praxis des General Manteuffel und bediente sich gelegentlich des Aus¬
druckes "Wir Protestler." Wir wollen nicht so weit gehen, es als eine Schmach
zu bezeichnen, daß sechzehn Jahre nach dem Frankfurter Frieden dergleichen
Maßregeln nötig geworden sind, denn auch die Regierung trifft ein Teil der
Schuld. Niemand bezweifelt die gute Absicht und den guten Glauben Man-
teuffels, aber daß seine Politik ein verhängnisvoller Fehler war, auch darüber
bestand unter allen Kennern des Landes und Volkes niemals ein Zweifel. Er
ließ die Erfahrungen unberücksichtigt, welche andre Staate" unter mehr oder
minder ähnlichen Verhältnissen gemacht hatten, ja selbst das so naheliegende
Beispiel in Posen, wo das Entgegenkommen Friedrich Wilhelms IV. die fünf-
undzwauzigjährige Arbeit der staatslveisen preußischen Verwaltung zerstört hatte


Wir Protestler.

mit einem Worte: sie muß so sein, wie sie thatsächlich ist, und kann nicht der
kleinsten Veränderung unterzogen werden, ohne ihre ganze musikalische Indi¬
vidualist, wenn ich mich so ausdrücken darf, sofort einzubüßen. Infolge dessen
ist der rhythmisch-melodische Tongang, durch den Sie die Tonleiter zu ersetzen
wünschen, durchaus unbrauchbar, weil er eben keine Tonleiter, diese aber im
Musikunterricht unumgänglich notwendig ist.

Sie ist in der That das ABC der Musik, und ebensowenig wie das sinn¬
lose, nichtssagende Alphabet durch wohlklingende Worte, ebensowenig können
Sie die unrhythmische musikalische Skala durch eine melodische Notenzusammen¬
stellung ersetzen. Wäre dies überhaupt auch wünschenswert? Eine Tonleiter
spielt man nie vor, darnach tanzen soll auch niemand, und von einem Falle,
wo sie die Entwicklung des musikalischen Gefühls in einem Schüler gehemmt
oder gar erstickt hätte, ist mir nichts bekannt; ich habe im Gegenteil die viel¬
seitige Erfahrung gemacht, daß nur unmusikalisch angelegte Naturen von der
Tonleiter unangenehm berührt werden und vor ihr zurttckscheuen.


A. L. Donaldson.


Wir protestler.

er Abgeordnete Gerber, oder, wie er sich seinen ehemaligen Lands¬
leuten zuliebe schreibt: Guerber, nannte in seiner Rede über
das die Ernennung der Bürgermeister in Elsaß-Lothringen be¬
treffende Gesetz dieses Gesetz „eine Schmach für das Reich,"
wußte von keinen ernsten Unordnungen etwas, sondern nur von
„Neckereien," verübt durch unbesonnene junge Leute, beklagte das Aufhören der
milden Praxis des General Manteuffel und bediente sich gelegentlich des Aus¬
druckes „Wir Protestler." Wir wollen nicht so weit gehen, es als eine Schmach
zu bezeichnen, daß sechzehn Jahre nach dem Frankfurter Frieden dergleichen
Maßregeln nötig geworden sind, denn auch die Regierung trifft ein Teil der
Schuld. Niemand bezweifelt die gute Absicht und den guten Glauben Man-
teuffels, aber daß seine Politik ein verhängnisvoller Fehler war, auch darüber
bestand unter allen Kennern des Landes und Volkes niemals ein Zweifel. Er
ließ die Erfahrungen unberücksichtigt, welche andre Staate» unter mehr oder
minder ähnlichen Verhältnissen gemacht hatten, ja selbst das so naheliegende
Beispiel in Posen, wo das Entgegenkommen Friedrich Wilhelms IV. die fünf-
undzwauzigjährige Arbeit der staatslveisen preußischen Verwaltung zerstört hatte


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[0648] Wir Protestler. mit einem Worte: sie muß so sein, wie sie thatsächlich ist, und kann nicht der kleinsten Veränderung unterzogen werden, ohne ihre ganze musikalische Indi¬ vidualist, wenn ich mich so ausdrücken darf, sofort einzubüßen. Infolge dessen ist der rhythmisch-melodische Tongang, durch den Sie die Tonleiter zu ersetzen wünschen, durchaus unbrauchbar, weil er eben keine Tonleiter, diese aber im Musikunterricht unumgänglich notwendig ist. Sie ist in der That das ABC der Musik, und ebensowenig wie das sinn¬ lose, nichtssagende Alphabet durch wohlklingende Worte, ebensowenig können Sie die unrhythmische musikalische Skala durch eine melodische Notenzusammen¬ stellung ersetzen. Wäre dies überhaupt auch wünschenswert? Eine Tonleiter spielt man nie vor, darnach tanzen soll auch niemand, und von einem Falle, wo sie die Entwicklung des musikalischen Gefühls in einem Schüler gehemmt oder gar erstickt hätte, ist mir nichts bekannt; ich habe im Gegenteil die viel¬ seitige Erfahrung gemacht, daß nur unmusikalisch angelegte Naturen von der Tonleiter unangenehm berührt werden und vor ihr zurttckscheuen. A. L. Donaldson. Wir protestler. er Abgeordnete Gerber, oder, wie er sich seinen ehemaligen Lands¬ leuten zuliebe schreibt: Guerber, nannte in seiner Rede über das die Ernennung der Bürgermeister in Elsaß-Lothringen be¬ treffende Gesetz dieses Gesetz „eine Schmach für das Reich," wußte von keinen ernsten Unordnungen etwas, sondern nur von „Neckereien," verübt durch unbesonnene junge Leute, beklagte das Aufhören der milden Praxis des General Manteuffel und bediente sich gelegentlich des Aus¬ druckes „Wir Protestler." Wir wollen nicht so weit gehen, es als eine Schmach zu bezeichnen, daß sechzehn Jahre nach dem Frankfurter Frieden dergleichen Maßregeln nötig geworden sind, denn auch die Regierung trifft ein Teil der Schuld. Niemand bezweifelt die gute Absicht und den guten Glauben Man- teuffels, aber daß seine Politik ein verhängnisvoller Fehler war, auch darüber bestand unter allen Kennern des Landes und Volkes niemals ein Zweifel. Er ließ die Erfahrungen unberücksichtigt, welche andre Staate» unter mehr oder minder ähnlichen Verhältnissen gemacht hatten, ja selbst das so naheliegende Beispiel in Posen, wo das Entgegenkommen Friedrich Wilhelms IV. die fünf- undzwauzigjährige Arbeit der staatslveisen preußischen Verwaltung zerstört hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/648>, abgerufen am 17.09.2024.