Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.lvilhelm Scherer über die Entstehungsgeschichte von Goethes Faust. möglichst sicher festgestellt werden. In dieser Hinsicht war manches schwer zu Mau wußte, daß der größte Teil dieser Szenen schon längst vor dem
enthalten, wie Düntzer mit Recht hervorgehoben hat, eine Anspielung auf die Alle übrigen Bestandteile des Fragments, namentlich die ersten Studir- Indes war man doch auch zu der Annahme berechtigt, daß manches von Grenzboten II. 1887. 79
lvilhelm Scherer über die Entstehungsgeschichte von Goethes Faust. möglichst sicher festgestellt werden. In dieser Hinsicht war manches schwer zu Mau wußte, daß der größte Teil dieser Szenen schon längst vor dem
enthalten, wie Düntzer mit Recht hervorgehoben hat, eine Anspielung auf die Alle übrigen Bestandteile des Fragments, namentlich die ersten Studir- Indes war man doch auch zu der Annahme berechtigt, daß manches von Grenzboten II. 1887. 79
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lvilhelm Scherer über die Entstehungsgeschichte von Goethes Faust.
möglichst sicher festgestellt werden. In dieser Hinsicht war manches schwer zu
ermitteln, doch waren auch mehrere wichtige Anhaltepunkte für die Chronologie
vorhanden. Vor allen Dingen jenes Fragment von 1790. Es beginnt mit
Fausts erstem Monolog, bricht sodann ab nach dem ersten Gespräch zwischen
Faust und Wagner; darauf folgt eine große Lücke, die in dem vollendeten ersten
Teile (1808) durch Fausts zweiten Monolog und den unterbrochenen Selbstmord¬
versuch, durch den Osterspaziergang, durch Fausts erstes Gespräch mit Mephisto-
pheles und durch die Vertragsszene ausgefüllt wird; erst gegen Ende dieser Szene
geht das Fragment weiter fort, um alsdann, ebenso wie der vollendete erste
Teil, die Schülerszene, die Szenen in Auerbachs Keller und in der Hexenküche
und die ganze Gretchentragödie bis zum Schluß der Domszene zu bringen.
Alles weitere: Valentin, die Walpurgisnacht, die Kerkerszenc fehlt. Die Szene
„Wald und Höhle" („Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles") steht
im Fragment zwischen der Szene „Gretchen und Lieschen am Brunnen" und
der Szene vor dem Muttergottesbilde.
Mau wußte, daß der größte Teil dieser Szenen schon längst vor dem
Druck des Fragments, schon in den Sturm- und Drangjahren des Dichters
(1770 — 75) entstanden sein müsse. Goethes Jugendfreund Friedrich Heinrich
Jacobi sagte 1791, bald nach dem Erscheinen des Fragments, er habe beinahe
alles schon von früher her gekannt. Offenbar wurde nur ein sehr kleiner Teil
hinzugefügt, als Goethe das Manuskript aus den Sturm- und Drangjahren
1788 in Italien wieder vornahm, um es druckfertig zu machen. Neu hinzu¬
gekommen sind damals, wie es scheint, bloß die Hexenküchenszene, die Szene
„Wald und Höhle" — bei beiden können wir die spätere Entstehung aus Gründen
annehmen, von denen weiterhin noch die Rede sein wird —, ferner einige Worte
in dem kurzen Gespräch zwischen Faust und Mephistopheles, als beide, nach
dem Schluß der Schülerszene, sich anschicken, in die Welt hinauszufahren; die
beiden Zeilen:
Ein bischen Feuerluft, die ich bereiten werde,
Hebt uns behend von dieser Erde
enthalten, wie Düntzer mit Recht hervorgehoben hat, eine Anspielung auf die
Montgolfierschen Luftballons, welche 1782 erfunden wurden und welche ihre
Tragkraft durch erhitzte atmosphärische Luft erhielten. Goethe, Karl August
und der ganze Weimarische Kreis zeigte für die neue Entdeckung das lebhafteste
Interesse; 1783 und 1784 versuchte man in Weimar zu wiederholten malen,
die Versuche Montgolfiers nachzuahmen.
Alle übrigen Bestandteile des Fragments, namentlich die ersten Studir-
zimmerszenen und die Gretchenszeuen, wurden von allen Erklärern übereinstimmend
in die Sturm- und Drangjahre des Dichters verlegt.
Indes war man doch auch zu der Annahme berechtigt, daß manches von
dem, was nicht in dem Fragment von 1790, sondern erst in dem vollständigen
Grenzboten II. 1887. 79
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