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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeschuldigte,
welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die Hauptverhandlung in
jener (!) Landessprache abzuhalten, welche das Gericht für dem Zwecke der Haupt¬
verhandlung entsprechender erachtet. In allen Fällen sind die Aussagen der
Angeschuldigten und der Zeugen in der von ihnen gebrauchten Landessprache
aufzunehmen und die Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in dieser
Sprache zu verkündigen und auf Verlangen auszufertigen. § 9. In bürger¬
lichen Rechtsstreiten ist das Erkenntnis samt Gründen in jener (!) Landessprache
auszufertigen, in welcher der Rechtsstreit verhandelt wurde. Haben sich die
Parteien nicht derselben Landessprache bedient, so hat, falls nicht ein Einver¬
ständnis vorliegt, daß das Erkenntnis samt Gründen nur in einer der Landes¬
sprachen ausgefertigt werde, die Ausfertigung in beiden Landessprachen zu er¬
folgen. A 10. Die Eintragungen in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch,
Grundbuch, Wasserhund u. s. w.), dann in die Handelsfirmen-, Genossenschafts¬
und andre öffentliche Register sind in der Sprache des mündlichen oder schrift¬
lichen Ansuchens, beziehungsweise des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen,
zu vollziehen. In derselben Sprache sind die Jntabulationsklauseln den Ur¬
kunden beizusetzen. Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern ist die
Sprache der Eintragung beizubehalten. § 11. Der Verkehr der politischen,
gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Behörden mit den autonomen Organen
richtet sich nach der Geschüftssprache, deren sich dieselben bekanntermaßen be¬
dienen. Der Verkehr mit den Gemeindebehörden, welche die Funktionen der
politischen Bezirksbehörde ausüben, wird hierdurch nicht berührt."

Das alles sieht auf den ersten Blick nicht parteiisch lind unbillig aus.
Aber betrachten wir die Folgen, und der Kern der Sache wird anders erscheinen.
Der Kern der Verordnung ist mit den Worten auszudrücken: Der Deutsche
hat gründlich tschechisch zu lernen, wenn er in Böhmen irgend ein Amt haben
will, gleichviel wo, ob in tschechischen, gemischten oder reindeutschen Bezirken.
Der Reichsratsabgeordnete Hallwich führte am 31. Januar 1884 an der Hand
klassischen Beweismaterials, des Amtsblattes der offiziellen "Prager Zeitung,"
den Nachweis, daß in Böhmen seit 1881 schon hie und da, seit 1882 aber
durchgängig und ausnahmslos Vonseiten des Oberlandesgerichtspräsidiums bei
Ausschreibung erledigter Stellen von Beamten oder Dienern der Gerichte, auch
solcher in reindeutschen Sprengeln, Kreisen und Gemeinden, die "vollkommene
Kenntnis beider Landessprachen," also auch der tschechischen, in Wort und
Schrift verlangt worden war. Unter den zahlreichen Beispielen, die er an¬
führte, waren eine Grundbuchführerstelle beim Trautenauer und eine beim Lu-
ditzer Bezirksgericht (beide Bezirke sind deutsch), Bezirksrichterpostcn in Pilgram,
Aussig, Teplitz und Senftenberg, solche von Gerichtsadjunkten in Brüx, Aussig
und Stab (alle ebenfalls deutsch), solche von Landesgerichtsräten in Leitmeritz
und Reichenberg, selbst solche von Kanzlisten, Kerkermeistern und Gefangen-


Deutsch-böhmische Briefe.

Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeschuldigte,
welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die Hauptverhandlung in
jener (!) Landessprache abzuhalten, welche das Gericht für dem Zwecke der Haupt¬
verhandlung entsprechender erachtet. In allen Fällen sind die Aussagen der
Angeschuldigten und der Zeugen in der von ihnen gebrauchten Landessprache
aufzunehmen und die Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in dieser
Sprache zu verkündigen und auf Verlangen auszufertigen. § 9. In bürger¬
lichen Rechtsstreiten ist das Erkenntnis samt Gründen in jener (!) Landessprache
auszufertigen, in welcher der Rechtsstreit verhandelt wurde. Haben sich die
Parteien nicht derselben Landessprache bedient, so hat, falls nicht ein Einver¬
ständnis vorliegt, daß das Erkenntnis samt Gründen nur in einer der Landes¬
sprachen ausgefertigt werde, die Ausfertigung in beiden Landessprachen zu er¬
folgen. A 10. Die Eintragungen in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch,
Grundbuch, Wasserhund u. s. w.), dann in die Handelsfirmen-, Genossenschafts¬
und andre öffentliche Register sind in der Sprache des mündlichen oder schrift¬
lichen Ansuchens, beziehungsweise des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen,
zu vollziehen. In derselben Sprache sind die Jntabulationsklauseln den Ur¬
kunden beizusetzen. Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern ist die
Sprache der Eintragung beizubehalten. § 11. Der Verkehr der politischen,
gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Behörden mit den autonomen Organen
richtet sich nach der Geschüftssprache, deren sich dieselben bekanntermaßen be¬
dienen. Der Verkehr mit den Gemeindebehörden, welche die Funktionen der
politischen Bezirksbehörde ausüben, wird hierdurch nicht berührt."

Das alles sieht auf den ersten Blick nicht parteiisch lind unbillig aus.
Aber betrachten wir die Folgen, und der Kern der Sache wird anders erscheinen.
Der Kern der Verordnung ist mit den Worten auszudrücken: Der Deutsche
hat gründlich tschechisch zu lernen, wenn er in Böhmen irgend ein Amt haben
will, gleichviel wo, ob in tschechischen, gemischten oder reindeutschen Bezirken.
Der Reichsratsabgeordnete Hallwich führte am 31. Januar 1884 an der Hand
klassischen Beweismaterials, des Amtsblattes der offiziellen „Prager Zeitung,"
den Nachweis, daß in Böhmen seit 1881 schon hie und da, seit 1882 aber
durchgängig und ausnahmslos Vonseiten des Oberlandesgerichtspräsidiums bei
Ausschreibung erledigter Stellen von Beamten oder Dienern der Gerichte, auch
solcher in reindeutschen Sprengeln, Kreisen und Gemeinden, die „vollkommene
Kenntnis beider Landessprachen," also auch der tschechischen, in Wort und
Schrift verlangt worden war. Unter den zahlreichen Beispielen, die er an¬
führte, waren eine Grundbuchführerstelle beim Trautenauer und eine beim Lu-
ditzer Bezirksgericht (beide Bezirke sind deutsch), Bezirksrichterpostcn in Pilgram,
Aussig, Teplitz und Senftenberg, solche von Gerichtsadjunkten in Brüx, Aussig
und Stab (alle ebenfalls deutsch), solche von Landesgerichtsräten in Leitmeritz
und Reichenberg, selbst solche von Kanzlisten, Kerkermeistern und Gefangen-


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[0060] Deutsch-böhmische Briefe. Landessprache begehrt. Bei Hauptverhandlungen gegen mehrere Angeschuldigte, welche sich nicht derselben Landessprache bedienen, ist die Hauptverhandlung in jener (!) Landessprache abzuhalten, welche das Gericht für dem Zwecke der Haupt¬ verhandlung entsprechender erachtet. In allen Fällen sind die Aussagen der Angeschuldigten und der Zeugen in der von ihnen gebrauchten Landessprache aufzunehmen und die Erkenntnisse und Beschlüsse jedem Angeschuldigten in dieser Sprache zu verkündigen und auf Verlangen auszufertigen. § 9. In bürger¬ lichen Rechtsstreiten ist das Erkenntnis samt Gründen in jener (!) Landessprache auszufertigen, in welcher der Rechtsstreit verhandelt wurde. Haben sich die Parteien nicht derselben Landessprache bedient, so hat, falls nicht ein Einver¬ ständnis vorliegt, daß das Erkenntnis samt Gründen nur in einer der Landes¬ sprachen ausgefertigt werde, die Ausfertigung in beiden Landessprachen zu er¬ folgen. A 10. Die Eintragungen in die öffentlichen Bücher (Landtafel, Bergbuch, Grundbuch, Wasserhund u. s. w.), dann in die Handelsfirmen-, Genossenschafts¬ und andre öffentliche Register sind in der Sprache des mündlichen oder schrift¬ lichen Ansuchens, beziehungsweise des Bescheides, auf dessen Grund sie erfolgen, zu vollziehen. In derselben Sprache sind die Jntabulationsklauseln den Ur¬ kunden beizusetzen. Bei Auszügen aus diesen Büchern und Registern ist die Sprache der Eintragung beizubehalten. § 11. Der Verkehr der politischen, gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Behörden mit den autonomen Organen richtet sich nach der Geschüftssprache, deren sich dieselben bekanntermaßen be¬ dienen. Der Verkehr mit den Gemeindebehörden, welche die Funktionen der politischen Bezirksbehörde ausüben, wird hierdurch nicht berührt." Das alles sieht auf den ersten Blick nicht parteiisch lind unbillig aus. Aber betrachten wir die Folgen, und der Kern der Sache wird anders erscheinen. Der Kern der Verordnung ist mit den Worten auszudrücken: Der Deutsche hat gründlich tschechisch zu lernen, wenn er in Böhmen irgend ein Amt haben will, gleichviel wo, ob in tschechischen, gemischten oder reindeutschen Bezirken. Der Reichsratsabgeordnete Hallwich führte am 31. Januar 1884 an der Hand klassischen Beweismaterials, des Amtsblattes der offiziellen „Prager Zeitung," den Nachweis, daß in Böhmen seit 1881 schon hie und da, seit 1882 aber durchgängig und ausnahmslos Vonseiten des Oberlandesgerichtspräsidiums bei Ausschreibung erledigter Stellen von Beamten oder Dienern der Gerichte, auch solcher in reindeutschen Sprengeln, Kreisen und Gemeinden, die „vollkommene Kenntnis beider Landessprachen," also auch der tschechischen, in Wort und Schrift verlangt worden war. Unter den zahlreichen Beispielen, die er an¬ führte, waren eine Grundbuchführerstelle beim Trautenauer und eine beim Lu- ditzer Bezirksgericht (beide Bezirke sind deutsch), Bezirksrichterpostcn in Pilgram, Aussig, Teplitz und Senftenberg, solche von Gerichtsadjunkten in Brüx, Aussig und Stab (alle ebenfalls deutsch), solche von Landesgerichtsräten in Leitmeritz und Reichenberg, selbst solche von Kanzlisten, Kerkermeistern und Gefangen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/60>, abgerufen am 17.09.2024.