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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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zogen, daß es ihn in den Strichen wieder wie vor sich sehen kann. Daß das
innerliche Bild ganz nach außen gerückt oder gesetzt werde, wie wir verwöhnte
Erwachsene verlangen, dafür hat das Kind noch gar keinen Bedarf, und es
wird auf den ersten Stufen der Kunstentwicklung auch den Erwachsenen so ge¬
gangen sein.

In diesen Kunstblick des Kindes, wenn man es schon so nennen kann,
mich zurückzuversetzen, hat mir aber einen ganz eigenartigen Reiz. Man hat,
glaube ich, von dieser Stelle aus einen reineren Blick auf das ganze Kunst-
wesen überhaupt, als ihn der Standpunkt unsrer entwickelten oder auch ver¬
wickelten Kunst geben kann, denn man steht da wieder ganz und sicher in dem
Raume, in dem und für den eigentlich alle Kunst zu arbeiten hat, und wird
seiner großen Bedeutung wieder inne, d. h. in einer Art innerem Raume zwischen
uns und den Gegenständen, der zugleich ganz uns angehört und doch an die
Gegenstände hinan reicht oder auch sie einschließt, so weit sie uns auch ange¬
hörig werden können. Dieser innere Raum zwischen uns und den Dingen ist
überhaupt von der höchsten Wichtigkeit, es ist der freie Spielbereich unsers
Ichs, so möchte ichs nennen, gerade für die Kunst gut bezeichnend, zwischen
ihm und der harten Wirklichkeit draußen, der auch ethisch, erkenntnistheoretisch,
metaphysisch von der höchsten Wichtigkeit ist und in dem sich alle uus wirklich
angehende Grundfragen bewegen und ihre Autwort zu finden haben.

Um aber noch bei der Kunst zu bleiben: man kann sich da an dem Kinde
dessen erinnern, was unsre Zeit zu ihrem Schaden so leicht vergißt, daß alle
Kunst ihrem Wesen nach eigentlich nur andeutend ist und sein kann; wie weit
man auch den Spielraum aufstecke, in dem sich dies Andenken zu einem völligen
Deutlichwerdeu ausdehnen kann, der Kreis des Andenkens kann doch nicht
überschritten werden oder es geschieht der Kunst Schade. Läßt sich doch leicht
erkennen, daß auch unser Kunstauge bei aller hochentwickelten Knnstgewöhnung
oder auch Verwöhnung von jenem Kinderstandpunkte doch noch nicht ganz
losgerissen ist. Wie wirksam kann z. B. ein von einem rechten Künstler ge¬
zeichnetes bloßes Profil eines Gesichtes sein, das uns so viel hinein zu sehen oder
zu ahnen überläßt. Auch wenn wir einen Holzschnitt mit allem Ernste an¬
sehen, bei dem doch die Farben fehlen, wie wir die schraffirten Striche für
wirkliche Schatten nehmen müssen: hat dieser Ernst nicht immer uoch etwas
von dem spaßhaften Ernste, mit dem das Kind seinen Baum auf der Schiefer¬
tafel ansieht? Wir müssen uns eben auch die Farben und Schatten, die das
innere Auge braucht, mehr oder weniger aus uns hineinsehen, also wie das
Kind den innerlichen Baum in seine andeutenden Banmstriche. Ja merkwürdig,
an ausgemalten Holzschnitten und Kupferstiche", wie sie im sechzehnten Jahr¬
hundert beliebt waren, sind uns die Farben störend, die man doch verlangen
sollte. Ein Holzschnitt von Dürer, Cranach, den wir schwarz gelten lassen oder
bewundern, tritt uns ausgemalt mehr in das Licht von Kinderkunst zurück,


zogen, daß es ihn in den Strichen wieder wie vor sich sehen kann. Daß das
innerliche Bild ganz nach außen gerückt oder gesetzt werde, wie wir verwöhnte
Erwachsene verlangen, dafür hat das Kind noch gar keinen Bedarf, und es
wird auf den ersten Stufen der Kunstentwicklung auch den Erwachsenen so ge¬
gangen sein.

In diesen Kunstblick des Kindes, wenn man es schon so nennen kann,
mich zurückzuversetzen, hat mir aber einen ganz eigenartigen Reiz. Man hat,
glaube ich, von dieser Stelle aus einen reineren Blick auf das ganze Kunst-
wesen überhaupt, als ihn der Standpunkt unsrer entwickelten oder auch ver¬
wickelten Kunst geben kann, denn man steht da wieder ganz und sicher in dem
Raume, in dem und für den eigentlich alle Kunst zu arbeiten hat, und wird
seiner großen Bedeutung wieder inne, d. h. in einer Art innerem Raume zwischen
uns und den Gegenständen, der zugleich ganz uns angehört und doch an die
Gegenstände hinan reicht oder auch sie einschließt, so weit sie uns auch ange¬
hörig werden können. Dieser innere Raum zwischen uns und den Dingen ist
überhaupt von der höchsten Wichtigkeit, es ist der freie Spielbereich unsers
Ichs, so möchte ichs nennen, gerade für die Kunst gut bezeichnend, zwischen
ihm und der harten Wirklichkeit draußen, der auch ethisch, erkenntnistheoretisch,
metaphysisch von der höchsten Wichtigkeit ist und in dem sich alle uus wirklich
angehende Grundfragen bewegen und ihre Autwort zu finden haben.

Um aber noch bei der Kunst zu bleiben: man kann sich da an dem Kinde
dessen erinnern, was unsre Zeit zu ihrem Schaden so leicht vergißt, daß alle
Kunst ihrem Wesen nach eigentlich nur andeutend ist und sein kann; wie weit
man auch den Spielraum aufstecke, in dem sich dies Andenken zu einem völligen
Deutlichwerdeu ausdehnen kann, der Kreis des Andenkens kann doch nicht
überschritten werden oder es geschieht der Kunst Schade. Läßt sich doch leicht
erkennen, daß auch unser Kunstauge bei aller hochentwickelten Knnstgewöhnung
oder auch Verwöhnung von jenem Kinderstandpunkte doch noch nicht ganz
losgerissen ist. Wie wirksam kann z. B. ein von einem rechten Künstler ge¬
zeichnetes bloßes Profil eines Gesichtes sein, das uns so viel hinein zu sehen oder
zu ahnen überläßt. Auch wenn wir einen Holzschnitt mit allem Ernste an¬
sehen, bei dem doch die Farben fehlen, wie wir die schraffirten Striche für
wirkliche Schatten nehmen müssen: hat dieser Ernst nicht immer uoch etwas
von dem spaßhaften Ernste, mit dem das Kind seinen Baum auf der Schiefer¬
tafel ansieht? Wir müssen uns eben auch die Farben und Schatten, die das
innere Auge braucht, mehr oder weniger aus uns hineinsehen, also wie das
Kind den innerlichen Baum in seine andeutenden Banmstriche. Ja merkwürdig,
an ausgemalten Holzschnitten und Kupferstiche», wie sie im sechzehnten Jahr¬
hundert beliebt waren, sind uns die Farben störend, die man doch verlangen
sollte. Ein Holzschnitt von Dürer, Cranach, den wir schwarz gelten lassen oder
bewundern, tritt uns ausgemalt mehr in das Licht von Kinderkunst zurück,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/598>, abgerufen am 17.09.2024.