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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Schriften zur Bühnenfrage.

Mühe verloren sei und dos; die unablässigen Anläufe zur Besserung erfolglos
geblieben wären. Dreierlei haben sie ohne Zweifel bewirkt. Zuerst daß wir
in Deutschland doch nie zu jener unerfreulich hochmütigen Gleichgültigkeit gegen
das Theater gediehen sind, welche eine der widerwärtigsten Seiten der englischen
Bildung ist. Sodann, daß die Huldigung, welche das Laster der Tugend dar¬
bringt, sich auch auf theatralischen Gebiet in einer gewisse" Scheu geltend macht,
sich ganz zu zeigen, wie man ist, ganz auf jeden höhern Zweck der Bühne zu
verzichten, ganz mit den Traditionen zu brechen, welche ans bessern Tagen der
Bühne stammen. Endlich, daß mitten in dem Hexensabbath der gegenwärtigen
Theatcrwirtschaft Bestrebungen möglich geworden sind, wie die der Meiuingcr,
wie die Aufführungen des Herrigschen Lutherspiels in Worms, Erfurt und
Wittenberg, die alle, so ungleich sie sich darstellen, einen innern Zusammen¬
hang haben.

So wollen wir uns denn gern gefallen lassen, daß die Literatur dieser Art
gelegentlich bedenklich anschwillt. Verhehlt sich doch einer der neuesten Schrift¬
steller nicht, daß die Wirkung auch der besten Meinungsäußerungen dieser Art
eine nur beschränkte bleibt. "Es kann nicht merkwürdig erscheinen -- heißt es in
Haus Herrigs noch zu erwähnenden Büchlein --, daß man mit dem deutschen
Theater überall unzufrieden ist. Diejenigen, deren Urteilskraft ihm noch am
"leisten als Richtschnur dienen könnten, gehen gar nicht mehr hinein. So ist
die "Reform des deutschen Theaters" immer wieder das Feldgeschrei geworden.
Diese Sehnsucht nach Reform besitzt eine eigne Literatur, die ihre Ebbe und
Flut hat. Aus einmal tauchen dutzendweise die Schriften auf, die sich mit jener
Frage befassen, wie wir das erst vor einigen Jahren wieder erlebt haben. Ist
mit ihnen ein neues Fach in den Bücherreihen gefüllt, so erlischt der Eifer
plötzlich wieder, und die Dinge gehen ihren alten Gang." Die Verworrenheit der
Theaterznstäude bringt es mit sich, daß auch in dieser Literatur viel Verworreues,
Widerspruchvvlles zu Tage tritt, daß die Vorschläge zur Besserung einander
^euze" und aufhebe"?, daß die Ausgangs- n"d Zielpunkte der Verbesserer schnur¬
stracks entgegengesetzte sind. Die einen wollen das Theater mit freiester Ent-
faltung der genialen Kräfte (welche ja irgendwo vorhanden sein müssen), die
andern mit dem kategorischen Imperativ eines einheitlichen künstlerischen Willens,
mit strenger Zucht und verständiger Schulung retten, die eine" rufen den Retter
ni allen Nöten, den Staat, die andern zählen ans die wachsende Not der Theater
und getrösten sich mit Hölderlin:


Mit ihrem heil'gen Wetterschlage,
Mit Unerbittlichkeit vollbringt
Die Not an einen: grüßen Tage,
Was kaum Jahrhunderten gelingt.

Da ists denn schwierig, einen Pfad dnrch die Wirrnis zu zeigen, wenn mau
nicht damit anheben kann, daß man sich eben diese Wirrnis ihrem ganzen


Schriften zur Bühnenfrage.

Mühe verloren sei und dos; die unablässigen Anläufe zur Besserung erfolglos
geblieben wären. Dreierlei haben sie ohne Zweifel bewirkt. Zuerst daß wir
in Deutschland doch nie zu jener unerfreulich hochmütigen Gleichgültigkeit gegen
das Theater gediehen sind, welche eine der widerwärtigsten Seiten der englischen
Bildung ist. Sodann, daß die Huldigung, welche das Laster der Tugend dar¬
bringt, sich auch auf theatralischen Gebiet in einer gewisse» Scheu geltend macht,
sich ganz zu zeigen, wie man ist, ganz auf jeden höhern Zweck der Bühne zu
verzichten, ganz mit den Traditionen zu brechen, welche ans bessern Tagen der
Bühne stammen. Endlich, daß mitten in dem Hexensabbath der gegenwärtigen
Theatcrwirtschaft Bestrebungen möglich geworden sind, wie die der Meiuingcr,
wie die Aufführungen des Herrigschen Lutherspiels in Worms, Erfurt und
Wittenberg, die alle, so ungleich sie sich darstellen, einen innern Zusammen¬
hang haben.

So wollen wir uns denn gern gefallen lassen, daß die Literatur dieser Art
gelegentlich bedenklich anschwillt. Verhehlt sich doch einer der neuesten Schrift¬
steller nicht, daß die Wirkung auch der besten Meinungsäußerungen dieser Art
eine nur beschränkte bleibt. „Es kann nicht merkwürdig erscheinen — heißt es in
Haus Herrigs noch zu erwähnenden Büchlein —, daß man mit dem deutschen
Theater überall unzufrieden ist. Diejenigen, deren Urteilskraft ihm noch am
"leisten als Richtschnur dienen könnten, gehen gar nicht mehr hinein. So ist
die »Reform des deutschen Theaters« immer wieder das Feldgeschrei geworden.
Diese Sehnsucht nach Reform besitzt eine eigne Literatur, die ihre Ebbe und
Flut hat. Aus einmal tauchen dutzendweise die Schriften auf, die sich mit jener
Frage befassen, wie wir das erst vor einigen Jahren wieder erlebt haben. Ist
mit ihnen ein neues Fach in den Bücherreihen gefüllt, so erlischt der Eifer
plötzlich wieder, und die Dinge gehen ihren alten Gang." Die Verworrenheit der
Theaterznstäude bringt es mit sich, daß auch in dieser Literatur viel Verworreues,
Widerspruchvvlles zu Tage tritt, daß die Vorschläge zur Besserung einander
^euze» und aufhebe«?, daß die Ausgangs- n»d Zielpunkte der Verbesserer schnur¬
stracks entgegengesetzte sind. Die einen wollen das Theater mit freiester Ent-
faltung der genialen Kräfte (welche ja irgendwo vorhanden sein müssen), die
andern mit dem kategorischen Imperativ eines einheitlichen künstlerischen Willens,
mit strenger Zucht und verständiger Schulung retten, die eine» rufen den Retter
ni allen Nöten, den Staat, die andern zählen ans die wachsende Not der Theater
und getrösten sich mit Hölderlin:


Mit ihrem heil'gen Wetterschlage,
Mit Unerbittlichkeit vollbringt
Die Not an einen: grüßen Tage,
Was kaum Jahrhunderten gelingt.

Da ists denn schwierig, einen Pfad dnrch die Wirrnis zu zeigen, wenn mau
nicht damit anheben kann, daß man sich eben diese Wirrnis ihrem ganzen


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[0591] Schriften zur Bühnenfrage. Mühe verloren sei und dos; die unablässigen Anläufe zur Besserung erfolglos geblieben wären. Dreierlei haben sie ohne Zweifel bewirkt. Zuerst daß wir in Deutschland doch nie zu jener unerfreulich hochmütigen Gleichgültigkeit gegen das Theater gediehen sind, welche eine der widerwärtigsten Seiten der englischen Bildung ist. Sodann, daß die Huldigung, welche das Laster der Tugend dar¬ bringt, sich auch auf theatralischen Gebiet in einer gewisse» Scheu geltend macht, sich ganz zu zeigen, wie man ist, ganz auf jeden höhern Zweck der Bühne zu verzichten, ganz mit den Traditionen zu brechen, welche ans bessern Tagen der Bühne stammen. Endlich, daß mitten in dem Hexensabbath der gegenwärtigen Theatcrwirtschaft Bestrebungen möglich geworden sind, wie die der Meiuingcr, wie die Aufführungen des Herrigschen Lutherspiels in Worms, Erfurt und Wittenberg, die alle, so ungleich sie sich darstellen, einen innern Zusammen¬ hang haben. So wollen wir uns denn gern gefallen lassen, daß die Literatur dieser Art gelegentlich bedenklich anschwillt. Verhehlt sich doch einer der neuesten Schrift¬ steller nicht, daß die Wirkung auch der besten Meinungsäußerungen dieser Art eine nur beschränkte bleibt. „Es kann nicht merkwürdig erscheinen — heißt es in Haus Herrigs noch zu erwähnenden Büchlein —, daß man mit dem deutschen Theater überall unzufrieden ist. Diejenigen, deren Urteilskraft ihm noch am "leisten als Richtschnur dienen könnten, gehen gar nicht mehr hinein. So ist die »Reform des deutschen Theaters« immer wieder das Feldgeschrei geworden. Diese Sehnsucht nach Reform besitzt eine eigne Literatur, die ihre Ebbe und Flut hat. Aus einmal tauchen dutzendweise die Schriften auf, die sich mit jener Frage befassen, wie wir das erst vor einigen Jahren wieder erlebt haben. Ist mit ihnen ein neues Fach in den Bücherreihen gefüllt, so erlischt der Eifer plötzlich wieder, und die Dinge gehen ihren alten Gang." Die Verworrenheit der Theaterznstäude bringt es mit sich, daß auch in dieser Literatur viel Verworreues, Widerspruchvvlles zu Tage tritt, daß die Vorschläge zur Besserung einander ^euze» und aufhebe«?, daß die Ausgangs- n»d Zielpunkte der Verbesserer schnur¬ stracks entgegengesetzte sind. Die einen wollen das Theater mit freiester Ent- faltung der genialen Kräfte (welche ja irgendwo vorhanden sein müssen), die andern mit dem kategorischen Imperativ eines einheitlichen künstlerischen Willens, mit strenger Zucht und verständiger Schulung retten, die eine» rufen den Retter ni allen Nöten, den Staat, die andern zählen ans die wachsende Not der Theater und getrösten sich mit Hölderlin: Mit ihrem heil'gen Wetterschlage, Mit Unerbittlichkeit vollbringt Die Not an einen: grüßen Tage, Was kaum Jahrhunderten gelingt. Da ists denn schwierig, einen Pfad dnrch die Wirrnis zu zeigen, wenn mau nicht damit anheben kann, daß man sich eben diese Wirrnis ihrem ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/591>, abgerufen am 17.09.2024.