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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Schlacht im Teutoburger Walde.

und seitdem die Händel, welche man früher mit dem Schwert entschieden habe,
vor einem gerechten Richter ihre Erledigung fanden. Und indem sie so seinem
juristischen Ehrgeiz mit immer neuen Fällen Nahrung gaben, ging denn glücklich
der Sommer hin, und der Herbst trat ein, mit ihm die rauhe und regnerische
Jahreszeit.

Die römischen Statthalter pflegten den Winter nicht inmitten Deutschlands
zu verleben. Nur ausnahmsweise kam dies vor. In der Regel begnügte man
sich damit, für den Winter in den verschiedenen Festungen Besatzungstruppen
zurückzulassen, die Hauptmasse des Heeres aber wurde an den Rhein zurück¬
gezogen, und zwar war für das sogenannte untere Heer Castra Vetera gegen¬
über der Mündung der Lippe, für das obere Herr Mainz das ständige Winter¬
lager. Auch Varus, der an der Spitze des unteren Heeres stand, wird von
Haus aus die Absicht gehabt haben, den Winter in Vetera zuzubringen. Nur
war es zu seinem Unglück, daß er sich durch die Deutschen bestimmen ließ, bis
in den Herbst hinein an der Weser zu verweilen.

Zum ferneren Unglück der Römer diente es, daß Varus nicht auf der
gewöhnlichen Heerstraße, welche zunächst von der Weser aus an die Lippe und
sodann neben diesem Flusse hin an den Rhein führte, zurückkehrte, sondern einen
Weg einschlug, der ihn in mehrfache Schwierigkeiten bringen mußte. Auch zur
Wahl dieses Weges hat sich der römische Feldherr durch die List der ger¬
manischen Fürsten verleiten lassen. Man berichtete ihm, es sei unter den
Brukterern, welche im Münsterlande zwischen der Eins und Lippe zu Hause
waren, eine Empörung ausgebrochen, und wenn es Varus verhüten wollte, daß
die Erhebung, welche nach den eingelaufenen Nachrichten bisher durchaus einen
örtlichen Charakter hatte, weiter um sich griff, so war keine Zeit zu verlieren.
Er mußte auf dem geradesten Wege an den Herd des Aufstandes eilen. Nun
war die Zeit, in der das Sommerlager aufgelöst zu werden pflegte, bereits
angebrochen. Daß der Feldherr nach Bewältigung des Aufstandes noch Muße
finden werde, um rechtzeitig an die Weser zurückzukehren und noch vor Beginn
des Winters mit dem gesamten Troß die Heimkehr nach dem Rhein anzutreten,
konnte nicht erwartet werden. Es blieb daher nichts weiter übrig, als das
Sommerlager sofort gänzlich abzubrechen und alle Habseligkeiten gleich mit¬
zunehmen.

Wo Varus sein Sommerlager gehabt hat, wissen wir nicht genau. Wir
können nur vermuten, daß es sich in der Gegend von Nehme befunden habe,
sei es an diesem Orte selbst, sei es etwas unterhalb oder oberhalb, weil diese
Gegend nicht nur durch die klimatischen und landschaftlichen Verhältnisse be¬
sonders begünstigt war, sondern auch eine wichtige strategische Bedeutung hatte.
War es doch derjenige Punkt an der Weser, der, abgesehen von der Mttndnng
des Flusses, am weitesten nach Westen vorspringt, ein Umstand, der die Ursache
geworden ist, daß an dieser Stelle sich wichtige Verkehrsstraßen zusammen-


Grcuzboten II. 1837. 73
Die Schlacht im Teutoburger Walde.

und seitdem die Händel, welche man früher mit dem Schwert entschieden habe,
vor einem gerechten Richter ihre Erledigung fanden. Und indem sie so seinem
juristischen Ehrgeiz mit immer neuen Fällen Nahrung gaben, ging denn glücklich
der Sommer hin, und der Herbst trat ein, mit ihm die rauhe und regnerische
Jahreszeit.

Die römischen Statthalter pflegten den Winter nicht inmitten Deutschlands
zu verleben. Nur ausnahmsweise kam dies vor. In der Regel begnügte man
sich damit, für den Winter in den verschiedenen Festungen Besatzungstruppen
zurückzulassen, die Hauptmasse des Heeres aber wurde an den Rhein zurück¬
gezogen, und zwar war für das sogenannte untere Heer Castra Vetera gegen¬
über der Mündung der Lippe, für das obere Herr Mainz das ständige Winter¬
lager. Auch Varus, der an der Spitze des unteren Heeres stand, wird von
Haus aus die Absicht gehabt haben, den Winter in Vetera zuzubringen. Nur
war es zu seinem Unglück, daß er sich durch die Deutschen bestimmen ließ, bis
in den Herbst hinein an der Weser zu verweilen.

Zum ferneren Unglück der Römer diente es, daß Varus nicht auf der
gewöhnlichen Heerstraße, welche zunächst von der Weser aus an die Lippe und
sodann neben diesem Flusse hin an den Rhein führte, zurückkehrte, sondern einen
Weg einschlug, der ihn in mehrfache Schwierigkeiten bringen mußte. Auch zur
Wahl dieses Weges hat sich der römische Feldherr durch die List der ger¬
manischen Fürsten verleiten lassen. Man berichtete ihm, es sei unter den
Brukterern, welche im Münsterlande zwischen der Eins und Lippe zu Hause
waren, eine Empörung ausgebrochen, und wenn es Varus verhüten wollte, daß
die Erhebung, welche nach den eingelaufenen Nachrichten bisher durchaus einen
örtlichen Charakter hatte, weiter um sich griff, so war keine Zeit zu verlieren.
Er mußte auf dem geradesten Wege an den Herd des Aufstandes eilen. Nun
war die Zeit, in der das Sommerlager aufgelöst zu werden pflegte, bereits
angebrochen. Daß der Feldherr nach Bewältigung des Aufstandes noch Muße
finden werde, um rechtzeitig an die Weser zurückzukehren und noch vor Beginn
des Winters mit dem gesamten Troß die Heimkehr nach dem Rhein anzutreten,
konnte nicht erwartet werden. Es blieb daher nichts weiter übrig, als das
Sommerlager sofort gänzlich abzubrechen und alle Habseligkeiten gleich mit¬
zunehmen.

Wo Varus sein Sommerlager gehabt hat, wissen wir nicht genau. Wir
können nur vermuten, daß es sich in der Gegend von Nehme befunden habe,
sei es an diesem Orte selbst, sei es etwas unterhalb oder oberhalb, weil diese
Gegend nicht nur durch die klimatischen und landschaftlichen Verhältnisse be¬
sonders begünstigt war, sondern auch eine wichtige strategische Bedeutung hatte.
War es doch derjenige Punkt an der Weser, der, abgesehen von der Mttndnng
des Flusses, am weitesten nach Westen vorspringt, ein Umstand, der die Ursache
geworden ist, daß an dieser Stelle sich wichtige Verkehrsstraßen zusammen-


Grcuzboten II. 1837. 73
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/585>, abgerufen am 17.09.2024.