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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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an den Rhein ausgedehnt worden, und diejenigen Zweige des germanischen
Volkes, welche es nicht vorgezogen hatten, wieder ans die rechte Seite des
Flusses zurückzugehen, hatten die fremde Herrschaft anerkennen müssen. Dann
war eine Zeit des Stillstandes eingetreten, und erst nnter Augustus wurde das
Werk der Eroberung von neuem aufgenommen. Der ältere Stiefsohn des
Kaisers, Drusus, unternahm in den Jahren von 12 bis 9 v. Chr. mehrere Züge
in das Innere des Landes. Auf seinem letzten Kriegszuge drang er sogar bis
zur Elbe vor. Doch wahrend seiner Rückkehr traf ihn ein jäher Tod. Ihm
folgte sein Bruder Tiberius, ein Maun, der es verstand, dnrch sein geschicktes
und beharrliches Verfahre" die größten Erfolge zu erzielen. Er begnügte sich
nicht damit, das Land mit seinen Heeren zu durchziehen, sondern er wußte es
dahin zu bringen, daß die Deutschen bereits ansingen, sich in die neuen Ver¬
hältnisse einzuleben und sich an die Herrschaft der Römer zu gewöhnen. Die
einheimischen Fürsten traten mit ihm in freundlichen Verkehr. Manche nahmen
Kriegsdienste bei den Römern. Heerstraßen "ach den verschiedensten Richtungen
hiu wurde" angelegt, und in einer Reihe von festen Plätzen lagen römische Be¬
satzungen.

Ein Glück war es für die Deutschen, daß das von den Römern bisher
befolgte Verfahren nicht festgehalten wurde. Quiuetiiius Varus, welcher dem
Tibenns in der Statthalterschaft folgte, glaubte bereits wie in einem eroberten
Lande schalte" und walten zu können, und während er ans der einen Seite
dnrch seine Anmaßung und seine Habsucht die Unterworfenen verletzte, gab er
sich ans der andern Seite einer Vertrauensseligkeit hin, welche ihm derer zu
stehen kam. Denn bereits hatte sich eine Verschwörung gebildet. Cherusker,
Marser und Brukterer nebst andern Stämme" hatte" sich zusammcngetha",
um die Fremdherrschaft abzuschütteln, und an ihrer Spitze stand der Cherusker-
fürst Armin, ein Mann, der sich durch Klugheit und Freiheitssinn, Tapferkeit
und Energie in hohem Maße auszeichnete und dem es dabei vortrefflich zu
statte" kam, daß er einst im römischen Heere Kriegsdienste gethan hatte und
mit den Verhältnissen im feindlichen Lager wohl vertraut war.

Um den Varus sicher ins Verderben zu locken, veranlaßte man ihn -- es
war im Jahre 9 n. Chr. --, sein Sommerlager im Jnnern Deutschlands an
den Ufern der Weser aufzuschlagen, und man gab sich alle Mühe, seinen dortigen
Aufenthalt möglichst zu verlängern. Die angesehensten Fürsten, unter ihnen
auch Armin, begaben sich in sein Lager, um den römischen Feldherrn bei guter
Laune zu erhalten; es wurden Gelage gefeiert, und es wurde wacker gegessen
und getrunken. Anderseits mußten allerlei Rechtsstreitigkeiten dazu diene",
Varus die Überzeugung beizubringen, daß seine Person unentbehrlich und ein
längeres Verweile" inmitten der deutschen Lande unumgänglich nötig sei. Es
schmeichelte seiner Eitelkeit, wenn die Germanen erklärten, es sei jetzt doch eine
viel glücklichere Zeit, seitdem das römische Nechtsprecheu eingeführt worden sei,


an den Rhein ausgedehnt worden, und diejenigen Zweige des germanischen
Volkes, welche es nicht vorgezogen hatten, wieder ans die rechte Seite des
Flusses zurückzugehen, hatten die fremde Herrschaft anerkennen müssen. Dann
war eine Zeit des Stillstandes eingetreten, und erst nnter Augustus wurde das
Werk der Eroberung von neuem aufgenommen. Der ältere Stiefsohn des
Kaisers, Drusus, unternahm in den Jahren von 12 bis 9 v. Chr. mehrere Züge
in das Innere des Landes. Auf seinem letzten Kriegszuge drang er sogar bis
zur Elbe vor. Doch wahrend seiner Rückkehr traf ihn ein jäher Tod. Ihm
folgte sein Bruder Tiberius, ein Maun, der es verstand, dnrch sein geschicktes
und beharrliches Verfahre» die größten Erfolge zu erzielen. Er begnügte sich
nicht damit, das Land mit seinen Heeren zu durchziehen, sondern er wußte es
dahin zu bringen, daß die Deutschen bereits ansingen, sich in die neuen Ver¬
hältnisse einzuleben und sich an die Herrschaft der Römer zu gewöhnen. Die
einheimischen Fürsten traten mit ihm in freundlichen Verkehr. Manche nahmen
Kriegsdienste bei den Römern. Heerstraßen »ach den verschiedensten Richtungen
hiu wurde» angelegt, und in einer Reihe von festen Plätzen lagen römische Be¬
satzungen.

Ein Glück war es für die Deutschen, daß das von den Römern bisher
befolgte Verfahren nicht festgehalten wurde. Quiuetiiius Varus, welcher dem
Tibenns in der Statthalterschaft folgte, glaubte bereits wie in einem eroberten
Lande schalte» und walten zu können, und während er ans der einen Seite
dnrch seine Anmaßung und seine Habsucht die Unterworfenen verletzte, gab er
sich ans der andern Seite einer Vertrauensseligkeit hin, welche ihm derer zu
stehen kam. Denn bereits hatte sich eine Verschwörung gebildet. Cherusker,
Marser und Brukterer nebst andern Stämme» hatte» sich zusammcngetha»,
um die Fremdherrschaft abzuschütteln, und an ihrer Spitze stand der Cherusker-
fürst Armin, ein Mann, der sich durch Klugheit und Freiheitssinn, Tapferkeit
und Energie in hohem Maße auszeichnete und dem es dabei vortrefflich zu
statte» kam, daß er einst im römischen Heere Kriegsdienste gethan hatte und
mit den Verhältnissen im feindlichen Lager wohl vertraut war.

Um den Varus sicher ins Verderben zu locken, veranlaßte man ihn — es
war im Jahre 9 n. Chr. —, sein Sommerlager im Jnnern Deutschlands an
den Ufern der Weser aufzuschlagen, und man gab sich alle Mühe, seinen dortigen
Aufenthalt möglichst zu verlängern. Die angesehensten Fürsten, unter ihnen
auch Armin, begaben sich in sein Lager, um den römischen Feldherrn bei guter
Laune zu erhalten; es wurden Gelage gefeiert, und es wurde wacker gegessen
und getrunken. Anderseits mußten allerlei Rechtsstreitigkeiten dazu diene»,
Varus die Überzeugung beizubringen, daß seine Person unentbehrlich und ein
längeres Verweile» inmitten der deutschen Lande unumgänglich nötig sei. Es
schmeichelte seiner Eitelkeit, wenn die Germanen erklärten, es sei jetzt doch eine
viel glücklichere Zeit, seitdem das römische Nechtsprecheu eingeführt worden sei,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/584>, abgerufen am 17.09.2024.