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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Land in Bezirke geteilt werden, und zwar, soweit möglich, in Bezirke einer und
derselben Nationalität. Die Amtssprache in den Gemeinden sollte deren Vertre¬
tung bestimmen. "Wird dagegen -- so heißt es in § 5 -- von den Gemeinde-
wahlberechtigten eine Einwendung erhoben, so ist die Amtssprache mittels Ab¬
stimmung der wahlberechtigten Gemeindeglieder durch absolute Majorität fest¬
zustellen." Da nun in Böhmen das tschechische Element nach der Kopfzahl
die Majorität bildet, so bedeutete der Paragraph nichts geringeres als die
Majorisirung der in Böhmen wohnenden Deutschen. H 6 ändert daran nichts
wesentliches, wenn er sagt, die Bezirksvertrctungen sollen Eingaben in beiden
Landessprachen annehmen und "verbescheiden" dürfen. Z 8 lautet: "Im Ver¬
kehr untereinander bedienen sich koordinirte Behörden ihrer eignen Amtssprache,
ebenso untergeordnete im Verkehr mit Vorgesetzten; kaiserliche und königliche
Zivilbehörden geben ihre Erlasse an die untergeordneten Behörden in der
Sprache der letztern. Endlich sagt der § 9 dieses Gesetzes: "Bei landesfürst¬
lichen Behörden soll niemand als Konzeptsbeamter oder Richter angestellt
werden, der nicht beider Landessprachen in Wort und Schrift mächtig ist."
Ein "Memorandum" der tschechischen Partei, welches im Dezember 1879 im
Druck erschien, wiederholte diese Forderungen, zum Teil in verschärfter Gestalt.
"Zur Aufnahme in den öffentlichen Dienst ist, so heißt es da z. B., die Kenntnis
der beiden Landessprachen in Wort und Schrift unbedingtes Erfordernis."
Die dentschen Heloten sollten nicht einmal mehr Amtsdiener werden können.

Mit jenen Beschlüssen von 1871 meinten die Tschechen für die Gegenwart
am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Die Zukunft gedachten sie sich durch die Schule
zu sichern. Zwei Tage nach der glücklichen Geburt der Fundamentalartikel
beantragte ein hochwürdiges Mitglied des hohen Landtages, derselbe wolle dar¬
über Beschluß fassen, in welcher Weise "die empfindlichsten Mängel der bestehenden
Einrichtung der Volksschulen zu beseitigen wären." Der Antrag wurde einer
Kommission überwiesen, die ihn rasch beriet und dann dem Plenum die folgende
Resolution empfahl: "In Erwägung, daß die neuen Schulgesetze (für das Reich)
dem Geiste und dem Gefühle des Volkes in vielen und wichtigen Beziehungen
widerstreben, in Erwägung ferner, daß sie das gleiche Recht der beiden Na¬
tionalitäten bedrohen und das religiöse Gefühl der Bevölkerung ohne Unter¬
schied der Konfession verletzen, . . . wird die k. k. Negierung aufgefordert, im
Einvernehmen mit dem Landesausschusse für den nächsten Landtag eine Vor¬
lage über die Regelung der Volksschule vorzubereiten. Bis dahin möge die
Regierung bestrebt sein, den empfindlichsten Übelständen auf administrativen
Wege abzuhelfen."

Von einer Sanktion der Fundamentalartikel und des Nationalitütengesetzes
war nicht die Rede. Wohl aber erfolgten unter dem Ministerium Taaffe wich¬
tige Zugeständnisse an die Partei, welche ihre Ziele damit ausgesprochen hatte.
Das wichtigste war die Sprachenverordnung von 1880, die wir hier folgen


Deutsch-böhmische Briefe.

Land in Bezirke geteilt werden, und zwar, soweit möglich, in Bezirke einer und
derselben Nationalität. Die Amtssprache in den Gemeinden sollte deren Vertre¬
tung bestimmen. „Wird dagegen — so heißt es in § 5 — von den Gemeinde-
wahlberechtigten eine Einwendung erhoben, so ist die Amtssprache mittels Ab¬
stimmung der wahlberechtigten Gemeindeglieder durch absolute Majorität fest¬
zustellen." Da nun in Böhmen das tschechische Element nach der Kopfzahl
die Majorität bildet, so bedeutete der Paragraph nichts geringeres als die
Majorisirung der in Böhmen wohnenden Deutschen. H 6 ändert daran nichts
wesentliches, wenn er sagt, die Bezirksvertrctungen sollen Eingaben in beiden
Landessprachen annehmen und „verbescheiden" dürfen. Z 8 lautet: „Im Ver¬
kehr untereinander bedienen sich koordinirte Behörden ihrer eignen Amtssprache,
ebenso untergeordnete im Verkehr mit Vorgesetzten; kaiserliche und königliche
Zivilbehörden geben ihre Erlasse an die untergeordneten Behörden in der
Sprache der letztern. Endlich sagt der § 9 dieses Gesetzes: „Bei landesfürst¬
lichen Behörden soll niemand als Konzeptsbeamter oder Richter angestellt
werden, der nicht beider Landessprachen in Wort und Schrift mächtig ist."
Ein „Memorandum" der tschechischen Partei, welches im Dezember 1879 im
Druck erschien, wiederholte diese Forderungen, zum Teil in verschärfter Gestalt.
„Zur Aufnahme in den öffentlichen Dienst ist, so heißt es da z. B., die Kenntnis
der beiden Landessprachen in Wort und Schrift unbedingtes Erfordernis."
Die dentschen Heloten sollten nicht einmal mehr Amtsdiener werden können.

Mit jenen Beschlüssen von 1871 meinten die Tschechen für die Gegenwart
am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Die Zukunft gedachten sie sich durch die Schule
zu sichern. Zwei Tage nach der glücklichen Geburt der Fundamentalartikel
beantragte ein hochwürdiges Mitglied des hohen Landtages, derselbe wolle dar¬
über Beschluß fassen, in welcher Weise „die empfindlichsten Mängel der bestehenden
Einrichtung der Volksschulen zu beseitigen wären." Der Antrag wurde einer
Kommission überwiesen, die ihn rasch beriet und dann dem Plenum die folgende
Resolution empfahl: „In Erwägung, daß die neuen Schulgesetze (für das Reich)
dem Geiste und dem Gefühle des Volkes in vielen und wichtigen Beziehungen
widerstreben, in Erwägung ferner, daß sie das gleiche Recht der beiden Na¬
tionalitäten bedrohen und das religiöse Gefühl der Bevölkerung ohne Unter¬
schied der Konfession verletzen, . . . wird die k. k. Negierung aufgefordert, im
Einvernehmen mit dem Landesausschusse für den nächsten Landtag eine Vor¬
lage über die Regelung der Volksschule vorzubereiten. Bis dahin möge die
Regierung bestrebt sein, den empfindlichsten Übelständen auf administrativen
Wege abzuhelfen."

Von einer Sanktion der Fundamentalartikel und des Nationalitütengesetzes
war nicht die Rede. Wohl aber erfolgten unter dem Ministerium Taaffe wich¬
tige Zugeständnisse an die Partei, welche ihre Ziele damit ausgesprochen hatte.
Das wichtigste war die Sprachenverordnung von 1880, die wir hier folgen


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[0058] Deutsch-böhmische Briefe. Land in Bezirke geteilt werden, und zwar, soweit möglich, in Bezirke einer und derselben Nationalität. Die Amtssprache in den Gemeinden sollte deren Vertre¬ tung bestimmen. „Wird dagegen — so heißt es in § 5 — von den Gemeinde- wahlberechtigten eine Einwendung erhoben, so ist die Amtssprache mittels Ab¬ stimmung der wahlberechtigten Gemeindeglieder durch absolute Majorität fest¬ zustellen." Da nun in Böhmen das tschechische Element nach der Kopfzahl die Majorität bildet, so bedeutete der Paragraph nichts geringeres als die Majorisirung der in Böhmen wohnenden Deutschen. H 6 ändert daran nichts wesentliches, wenn er sagt, die Bezirksvertrctungen sollen Eingaben in beiden Landessprachen annehmen und „verbescheiden" dürfen. Z 8 lautet: „Im Ver¬ kehr untereinander bedienen sich koordinirte Behörden ihrer eignen Amtssprache, ebenso untergeordnete im Verkehr mit Vorgesetzten; kaiserliche und königliche Zivilbehörden geben ihre Erlasse an die untergeordneten Behörden in der Sprache der letztern. Endlich sagt der § 9 dieses Gesetzes: „Bei landesfürst¬ lichen Behörden soll niemand als Konzeptsbeamter oder Richter angestellt werden, der nicht beider Landessprachen in Wort und Schrift mächtig ist." Ein „Memorandum" der tschechischen Partei, welches im Dezember 1879 im Druck erschien, wiederholte diese Forderungen, zum Teil in verschärfter Gestalt. „Zur Aufnahme in den öffentlichen Dienst ist, so heißt es da z. B., die Kenntnis der beiden Landessprachen in Wort und Schrift unbedingtes Erfordernis." Die dentschen Heloten sollten nicht einmal mehr Amtsdiener werden können. Mit jenen Beschlüssen von 1871 meinten die Tschechen für die Gegenwart am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Die Zukunft gedachten sie sich durch die Schule zu sichern. Zwei Tage nach der glücklichen Geburt der Fundamentalartikel beantragte ein hochwürdiges Mitglied des hohen Landtages, derselbe wolle dar¬ über Beschluß fassen, in welcher Weise „die empfindlichsten Mängel der bestehenden Einrichtung der Volksschulen zu beseitigen wären." Der Antrag wurde einer Kommission überwiesen, die ihn rasch beriet und dann dem Plenum die folgende Resolution empfahl: „In Erwägung, daß die neuen Schulgesetze (für das Reich) dem Geiste und dem Gefühle des Volkes in vielen und wichtigen Beziehungen widerstreben, in Erwägung ferner, daß sie das gleiche Recht der beiden Na¬ tionalitäten bedrohen und das religiöse Gefühl der Bevölkerung ohne Unter¬ schied der Konfession verletzen, . . . wird die k. k. Negierung aufgefordert, im Einvernehmen mit dem Landesausschusse für den nächsten Landtag eine Vor¬ lage über die Regelung der Volksschule vorzubereiten. Bis dahin möge die Regierung bestrebt sein, den empfindlichsten Übelständen auf administrativen Wege abzuhelfen." Von einer Sanktion der Fundamentalartikel und des Nationalitütengesetzes war nicht die Rede. Wohl aber erfolgten unter dem Ministerium Taaffe wich¬ tige Zugeständnisse an die Partei, welche ihre Ziele damit ausgesprochen hatte. Das wichtigste war die Sprachenverordnung von 1880, die wir hier folgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/58>, abgerufen am 17.09.2024.