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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das britische Weltreich und seine Aussichten.

poys -- zählt, und es die weiten Strecken Indiens nicht ohne genügenden
Schutz gegen Empörungen lassen kann und die Verbindung mit demselben in
Afghanistan sicher stellen muß. Bei Herat läßt sich also Indien gegen einen
russischen Angriff nicht verteidigen. Ebenso wenig wäre aber geraten, den Feind
erst an der Linie des Indus zu erwarten, da diese zu ausgedehnt (von Alat
bis Schikarpur 1120 Kilometer lang) und somit schwer zu verteidigen ist.
Zwar beherrscht das befestigte Alat mit dem acht Meilen nach der Grenze vor¬
geschobenen verschanzten Lager von Peschawer die Chaiberpässe in dem Gebirge
zwischen letzterem und Afghanistan, aber dieses Gebirge hat noch eine erhebliche
Anzahl von Durchgängen für eine Armee, z. B. den Kurumpaß auf der Straße
von Kabul, der nach den Landschaften am obern Indus führt. Das Sulciman-
gebirge, 445 Kilometer lang, hat keine Durchgänge jener Art, und Schikarvur,
der südlichste Punkt der Jnduslinie, bietet mit der Eisenbahn, die es einerseits
mit Karatschi, anderseits mit Beludschistan verbindet, zwar eine ausgezeichnete
Stellung für den Verteidiger Indiens, schließt aber so wenig wie Peschawer die
Heerstraße, die von Ghazni durch die Ghulheripässe und das Gmnulthal nach
der Jndusniederung führt. Die Errichtung eines dritten verschanzten Lagers
vor dem Guant würde dem abhelfen, wenn man durch Besetzung desselben bei
der jetzigen Schwäche der englischen Streitkräfte in Indien nicht die Truppen
in den beiden andern an Zahl in gefährlichem Maße vermindern müßte -- ein
Nachteil, der sich durch Anlegung einer Eisenbahn zwischen den drei Positionen
nur teilweise ausgleichen läßt. Major Wachs ist daher der Meinung Raw-
linsons, England müsse gewisse Punkte Beludschistans und Afghanistans besetzen,
die durch ihre geographische Lage in der von Rußland bedrohten Flanke alle
Pässe durch die dortigen Gebirge decken würden. Diese strategischen Stellungen
sind Ghazni und Kcmdcchar, die, im Westen der Suleimcmkette gelegen, auch die
Heerstraße nach dem Tafellande Afghanistans, der Kornkammer dieses Landes,
beherrschen. Hier, an dem "Königswege" zwischen Persien, Turkestan und Hin-
dostan, müssen die Verteidiger des letztern aufmarschiren, wenn Rußland durch
die Thäler im Norden oder Nordwesten heranzieht. Daneben müßte Quella
zu einer starken Position umgeschaffen werden, aus welcher die britischen Streit¬
kräfte jeden Augenblick vorrücken könnten, um die wichtigen Punkte zwischen
Ghazni und Kandahar zu besetzen und durch Schanzen zu verstärken. Ferner
wäre der Bolanpaß, durch den bereits eine Eisenbahn führt, nach allen Regeln
des Geniewesens zu befestigen. Schließlich aber sollte man daran gehen,
Peschawer zu einem Wasserplatze ersten Ranges zu erheben. Nur wenn diese
Bedingungen erfüllt und, wie wir hinzufügen, die europäischen Truppen in
Indien wesentlich vermehrt wurden sind, wird Afghanistan auch ferner noch eine
Zeit lang das Glacis sein, welches den Russen den Marsch bis an die Enceinte
Indiens verwehrt.

Betrachten wir nun die britische Kriegsflotte. Die Zahl ihrer Schiffe ist


Das britische Weltreich und seine Aussichten.

poys — zählt, und es die weiten Strecken Indiens nicht ohne genügenden
Schutz gegen Empörungen lassen kann und die Verbindung mit demselben in
Afghanistan sicher stellen muß. Bei Herat läßt sich also Indien gegen einen
russischen Angriff nicht verteidigen. Ebenso wenig wäre aber geraten, den Feind
erst an der Linie des Indus zu erwarten, da diese zu ausgedehnt (von Alat
bis Schikarpur 1120 Kilometer lang) und somit schwer zu verteidigen ist.
Zwar beherrscht das befestigte Alat mit dem acht Meilen nach der Grenze vor¬
geschobenen verschanzten Lager von Peschawer die Chaiberpässe in dem Gebirge
zwischen letzterem und Afghanistan, aber dieses Gebirge hat noch eine erhebliche
Anzahl von Durchgängen für eine Armee, z. B. den Kurumpaß auf der Straße
von Kabul, der nach den Landschaften am obern Indus führt. Das Sulciman-
gebirge, 445 Kilometer lang, hat keine Durchgänge jener Art, und Schikarvur,
der südlichste Punkt der Jnduslinie, bietet mit der Eisenbahn, die es einerseits
mit Karatschi, anderseits mit Beludschistan verbindet, zwar eine ausgezeichnete
Stellung für den Verteidiger Indiens, schließt aber so wenig wie Peschawer die
Heerstraße, die von Ghazni durch die Ghulheripässe und das Gmnulthal nach
der Jndusniederung führt. Die Errichtung eines dritten verschanzten Lagers
vor dem Guant würde dem abhelfen, wenn man durch Besetzung desselben bei
der jetzigen Schwäche der englischen Streitkräfte in Indien nicht die Truppen
in den beiden andern an Zahl in gefährlichem Maße vermindern müßte — ein
Nachteil, der sich durch Anlegung einer Eisenbahn zwischen den drei Positionen
nur teilweise ausgleichen läßt. Major Wachs ist daher der Meinung Raw-
linsons, England müsse gewisse Punkte Beludschistans und Afghanistans besetzen,
die durch ihre geographische Lage in der von Rußland bedrohten Flanke alle
Pässe durch die dortigen Gebirge decken würden. Diese strategischen Stellungen
sind Ghazni und Kcmdcchar, die, im Westen der Suleimcmkette gelegen, auch die
Heerstraße nach dem Tafellande Afghanistans, der Kornkammer dieses Landes,
beherrschen. Hier, an dem „Königswege" zwischen Persien, Turkestan und Hin-
dostan, müssen die Verteidiger des letztern aufmarschiren, wenn Rußland durch
die Thäler im Norden oder Nordwesten heranzieht. Daneben müßte Quella
zu einer starken Position umgeschaffen werden, aus welcher die britischen Streit¬
kräfte jeden Augenblick vorrücken könnten, um die wichtigen Punkte zwischen
Ghazni und Kandahar zu besetzen und durch Schanzen zu verstärken. Ferner
wäre der Bolanpaß, durch den bereits eine Eisenbahn führt, nach allen Regeln
des Geniewesens zu befestigen. Schließlich aber sollte man daran gehen,
Peschawer zu einem Wasserplatze ersten Ranges zu erheben. Nur wenn diese
Bedingungen erfüllt und, wie wir hinzufügen, die europäischen Truppen in
Indien wesentlich vermehrt wurden sind, wird Afghanistan auch ferner noch eine
Zeit lang das Glacis sein, welches den Russen den Marsch bis an die Enceinte
Indiens verwehrt.

Betrachten wir nun die britische Kriegsflotte. Die Zahl ihrer Schiffe ist


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[0563] Das britische Weltreich und seine Aussichten. poys — zählt, und es die weiten Strecken Indiens nicht ohne genügenden Schutz gegen Empörungen lassen kann und die Verbindung mit demselben in Afghanistan sicher stellen muß. Bei Herat läßt sich also Indien gegen einen russischen Angriff nicht verteidigen. Ebenso wenig wäre aber geraten, den Feind erst an der Linie des Indus zu erwarten, da diese zu ausgedehnt (von Alat bis Schikarpur 1120 Kilometer lang) und somit schwer zu verteidigen ist. Zwar beherrscht das befestigte Alat mit dem acht Meilen nach der Grenze vor¬ geschobenen verschanzten Lager von Peschawer die Chaiberpässe in dem Gebirge zwischen letzterem und Afghanistan, aber dieses Gebirge hat noch eine erhebliche Anzahl von Durchgängen für eine Armee, z. B. den Kurumpaß auf der Straße von Kabul, der nach den Landschaften am obern Indus führt. Das Sulciman- gebirge, 445 Kilometer lang, hat keine Durchgänge jener Art, und Schikarvur, der südlichste Punkt der Jnduslinie, bietet mit der Eisenbahn, die es einerseits mit Karatschi, anderseits mit Beludschistan verbindet, zwar eine ausgezeichnete Stellung für den Verteidiger Indiens, schließt aber so wenig wie Peschawer die Heerstraße, die von Ghazni durch die Ghulheripässe und das Gmnulthal nach der Jndusniederung führt. Die Errichtung eines dritten verschanzten Lagers vor dem Guant würde dem abhelfen, wenn man durch Besetzung desselben bei der jetzigen Schwäche der englischen Streitkräfte in Indien nicht die Truppen in den beiden andern an Zahl in gefährlichem Maße vermindern müßte — ein Nachteil, der sich durch Anlegung einer Eisenbahn zwischen den drei Positionen nur teilweise ausgleichen läßt. Major Wachs ist daher der Meinung Raw- linsons, England müsse gewisse Punkte Beludschistans und Afghanistans besetzen, die durch ihre geographische Lage in der von Rußland bedrohten Flanke alle Pässe durch die dortigen Gebirge decken würden. Diese strategischen Stellungen sind Ghazni und Kcmdcchar, die, im Westen der Suleimcmkette gelegen, auch die Heerstraße nach dem Tafellande Afghanistans, der Kornkammer dieses Landes, beherrschen. Hier, an dem „Königswege" zwischen Persien, Turkestan und Hin- dostan, müssen die Verteidiger des letztern aufmarschiren, wenn Rußland durch die Thäler im Norden oder Nordwesten heranzieht. Daneben müßte Quella zu einer starken Position umgeschaffen werden, aus welcher die britischen Streit¬ kräfte jeden Augenblick vorrücken könnten, um die wichtigen Punkte zwischen Ghazni und Kandahar zu besetzen und durch Schanzen zu verstärken. Ferner wäre der Bolanpaß, durch den bereits eine Eisenbahn führt, nach allen Regeln des Geniewesens zu befestigen. Schließlich aber sollte man daran gehen, Peschawer zu einem Wasserplatze ersten Ranges zu erheben. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt und, wie wir hinzufügen, die europäischen Truppen in Indien wesentlich vermehrt wurden sind, wird Afghanistan auch ferner noch eine Zeit lang das Glacis sein, welches den Russen den Marsch bis an die Enceinte Indiens verwehrt. Betrachten wir nun die britische Kriegsflotte. Die Zahl ihrer Schiffe ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/563>, abgerufen am 17.09.2024.