Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Russische Skizzen. sie an der Seeseite zurück, aber pnrkartige Waldpartien beschränken hier den Was eine Teljega ist? Ein sogenannter Kälberwagen, wie ihn in einigen Russische Skizzen. sie an der Seeseite zurück, aber pnrkartige Waldpartien beschränken hier den Was eine Teljega ist? Ein sogenannter Kälberwagen, wie ihn in einigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288997"/> <fw type="header" place="top"> Russische Skizzen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1545" prev="#ID_1544"> sie an der Seeseite zurück, aber pnrkartige Waldpartien beschränken hier den<lb/> Blick, Birken, Linden, vor allem Erlen, die so hochstämmig und dichtbelaubt<lb/> und üppig wie hier in der feuchten Meeresluft kaum irgendwo sonst gedeihen.<lb/> Auf der Landseite hebt sich hinter grüner Fläche das Gelände zu steilem Ufer-<lb/> rande empor. Von dort sehen sie hernieder, die reizendsten, behaglichsten aller<lb/> Datschen, in den verschiedensten Größen, bald kleine, bescheidene Häuschen, bald<lb/> größere Bauten mit Seitenflügeln und Ecktürmen, vorwiegend aus Holz, in<lb/> heitern Farben, mit breiten, schattigen Veranden sich öffnend nach den Baum¬<lb/> gruppen des Parks und immer wieder mit dem Blick über Baumwipfel und<lb/> Rasenflächen nach der See. Hier, namentlich in der „Kronstädter Kolonie,"<lb/> dem westlichsten dieser Villenorte, wohnen insbesondre zahlreiche Marineoffiziere<lb/> mit ihren Familien, die ihren regelmüßigen Aufenthalt im öden Kronstäbe haben.<lb/> Alles ist hier einfacher, ländlicher als in Oranienbaum und Peterhof, nur die<lb/> Lust am schleudern und Schauen dieselbe. Es verschlägt diesen Leutchen gar<lb/> nichts, im Sonnenbrande auf der Landstraße einherzuwandeln oder auf einem<lb/> der verstaubte» Brückchen, die über den breiten Straßengraben nach den Villen¬<lb/> grundstücken führen, zu sitzen, um die vorüberkommcnden zu mustern. Dann<lb/> und wann fährt wohl auch ein eleganter Einspänner daher, doch schon kann<lb/> man auch das echt russische Gefährt erblicken, das unvermeidlich da anfängt,<lb/> wo die Kunststraße aufhört, die Teljega.</p><lb/> <p xml:id="ID_1546" next="#ID_1547"> Was eine Teljega ist? Ein sogenannter Kälberwagen, wie ihn in einigen<lb/> Gegenden Deutschlands die Fleischer führen, giebt nur ein sehr vervollkommnetes<lb/> Abbild dieses russischen Bauernfuhrwerkes. Denn der geneigte Leser entferne<lb/> jede Vorstellung einer Feder — dergleichen kommen nur als seltene Ausucchmen<lb/> vor —, denke sich den niedrigen offnen Wagenkasten, der ungefähr zweimal so<lb/> lang als breit ist und aus Holz oder Fechtwerk oder dünnen Blech mit etwas<lb/> auswärts geschweiften Langseiten besteht, auf Querhölzer gesetzt, die unmittelbar<lb/> auf den Achsen der niedrigen Räder liegen. Vorn auf einem Bret nimmt der<lb/> bäuerliche Rosselenker Platz, hinten zwei Passagiere. Sie thun gut, auf das<lb/> Bret, das ihren Sitz darstellt, aufzupacken, was an Kissen und Decken zur Hand<lb/> ist, und dann, wenn sie sich glücklich mit Hilfe der Radspeichen oder des kurzen<lb/> Querholzes, das den Schlag darstellt, hinaufgeschwungeu haben, eine etwas nach<lb/> vorn gebeugte Haltung anzunehmen, da eine Rückenlehne gar nicht oder nur in<lb/> verschwindender Größe da ist. Ein Bund Heu oder Streu bietet einen wünschens¬<lb/> werten, wenngleich ungenügenden Stützpunkt für die Füße. Das kleine, runde,<lb/> flotte „finnische" oder „schwedische" Pferd („Schwedka") läuft natürlich in der<lb/> Gabel und Duga, doch selteu fehlt dem Geschirr irgend ein Schmuck, auf¬<lb/> gesetzte Metallplcittchen oder Kaurimuscheln. Ist alles glücklich eingeschachtelt,<lb/> dann fällt die Schwedka in einem scharfen Trab, unbekümmert darum, daß auf<lb/> harter Straße oder gar auf Pflaster die Stöße des Fuhrwerks den Fahrgast<lb/> in einer Weise hin- und herwerfen, die in ihren Wirkungen einer kräftigen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0544]
Russische Skizzen.
sie an der Seeseite zurück, aber pnrkartige Waldpartien beschränken hier den
Blick, Birken, Linden, vor allem Erlen, die so hochstämmig und dichtbelaubt
und üppig wie hier in der feuchten Meeresluft kaum irgendwo sonst gedeihen.
Auf der Landseite hebt sich hinter grüner Fläche das Gelände zu steilem Ufer-
rande empor. Von dort sehen sie hernieder, die reizendsten, behaglichsten aller
Datschen, in den verschiedensten Größen, bald kleine, bescheidene Häuschen, bald
größere Bauten mit Seitenflügeln und Ecktürmen, vorwiegend aus Holz, in
heitern Farben, mit breiten, schattigen Veranden sich öffnend nach den Baum¬
gruppen des Parks und immer wieder mit dem Blick über Baumwipfel und
Rasenflächen nach der See. Hier, namentlich in der „Kronstädter Kolonie,"
dem westlichsten dieser Villenorte, wohnen insbesondre zahlreiche Marineoffiziere
mit ihren Familien, die ihren regelmüßigen Aufenthalt im öden Kronstäbe haben.
Alles ist hier einfacher, ländlicher als in Oranienbaum und Peterhof, nur die
Lust am schleudern und Schauen dieselbe. Es verschlägt diesen Leutchen gar
nichts, im Sonnenbrande auf der Landstraße einherzuwandeln oder auf einem
der verstaubte» Brückchen, die über den breiten Straßengraben nach den Villen¬
grundstücken führen, zu sitzen, um die vorüberkommcnden zu mustern. Dann
und wann fährt wohl auch ein eleganter Einspänner daher, doch schon kann
man auch das echt russische Gefährt erblicken, das unvermeidlich da anfängt,
wo die Kunststraße aufhört, die Teljega.
Was eine Teljega ist? Ein sogenannter Kälberwagen, wie ihn in einigen
Gegenden Deutschlands die Fleischer führen, giebt nur ein sehr vervollkommnetes
Abbild dieses russischen Bauernfuhrwerkes. Denn der geneigte Leser entferne
jede Vorstellung einer Feder — dergleichen kommen nur als seltene Ausucchmen
vor —, denke sich den niedrigen offnen Wagenkasten, der ungefähr zweimal so
lang als breit ist und aus Holz oder Fechtwerk oder dünnen Blech mit etwas
auswärts geschweiften Langseiten besteht, auf Querhölzer gesetzt, die unmittelbar
auf den Achsen der niedrigen Räder liegen. Vorn auf einem Bret nimmt der
bäuerliche Rosselenker Platz, hinten zwei Passagiere. Sie thun gut, auf das
Bret, das ihren Sitz darstellt, aufzupacken, was an Kissen und Decken zur Hand
ist, und dann, wenn sie sich glücklich mit Hilfe der Radspeichen oder des kurzen
Querholzes, das den Schlag darstellt, hinaufgeschwungeu haben, eine etwas nach
vorn gebeugte Haltung anzunehmen, da eine Rückenlehne gar nicht oder nur in
verschwindender Größe da ist. Ein Bund Heu oder Streu bietet einen wünschens¬
werten, wenngleich ungenügenden Stützpunkt für die Füße. Das kleine, runde,
flotte „finnische" oder „schwedische" Pferd („Schwedka") läuft natürlich in der
Gabel und Duga, doch selteu fehlt dem Geschirr irgend ein Schmuck, auf¬
gesetzte Metallplcittchen oder Kaurimuscheln. Ist alles glücklich eingeschachtelt,
dann fällt die Schwedka in einem scharfen Trab, unbekümmert darum, daß auf
harter Straße oder gar auf Pflaster die Stöße des Fuhrwerks den Fahrgast
in einer Weise hin- und herwerfen, die in ihren Wirkungen einer kräftigen
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