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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ein neuer phantasus.

lungen, ja selbst die kleinen Märchenspiele in andrer, schärferer geistiger Lust
gediehen sind, als seiner Zeit die Spukgeschichten und die gegen die Aufklärung
gerichteten größeren Spiele Tiecks, als Blaubart, der gestiefelte Kater und
Fortunat. Man braucht nur das Gespräch zwischen dem jungen dilettirenden
Grafen und dem naturwüchsigen Maler zu Eingang der Novelle "Das ge-
träumte Bild" oder die Jugendgeschichte, welche die Novelle "Konrad Unver-
dorbens dumme Streiche" einleitet, zu lesen, um sofort im Klaren darüber zu
sein, daß Utis nichts weniger als ein künstlicher Nachromantiker ist. Im Porträt
des "Onkel Helfrich" chciralterisirt der Verfasser eine Art von Menschen und
Kunstfreunden, welche die Brücke vom alten zum neuen Phantasus schlagen
halfen und für unser gesamtes Leben noch lange nicht so unwichtig und gleich-
giltig geworden sind, als sich die nicht gottesfürchtige, aber dafür sehr dreiste
Tcigcsstimmung einbildet. "Onkel Helfrich war ein harmloser kleiner Mann
um die Fünfzig, früh ergraut, nervös und zart behaltet. Bei einem empfind¬
samen Herzen war er ledig, bei guten und wohlausgebildeten Fähigkeiten berufs¬
los geblieben. Ein Übermaß von sittlich ästhetischem Feingefühl, das in seiner
Natur lag, hatte ihn zu keiner Freudigkeit des Lebens und Wirkens kommen
lassen, und die sorgenfreie Lage, in die er hineingeboren war, erlaubte ihm, sich
den mannichfachsten Interessen hinzugeben. Er trug insgeheim eine Art von
bösem Gewissen mit sich herum, daß er der Welt so wenig leistete; dafür ver¬
langte er auch nichts von ihr. Er liebte die Stille; er studirte viel und vielerlei;
er schrieb nie ganz wenig und ließ niemals etwas drucken, weil ihm nie etwas
genügte und er von nichts eine Wirkung erwartete. Nur in vertrautem Kreise
las er manches vor, doch mit soviel Diskretion, daß er sich seinen Mitmenschen
nie furchtbar machte. Mit jungen Leuten hatte er gern zu thun und war für
sie von angenehmer Gegenwart, weil seine Art sich zu geben nichts schul¬
meisterliches hatte." Sowohl in dieser Charakteristik als in der Folge seines
Buches redet der Verfasser einem Dilettantismus das Wort, der die hand¬
werkliche Kunstübung allzugering schätzen gelernt hat. So wie Utis die
dilettirende Beschäftigung mit den Künsten meint und verstanden haben will,
ist sie geradezu unentbehrlich, ohne ein nicht karg zu begrenzendes Maß von
Liebe und Hingebung giebt es weder erquickliche Leistungen noch frisches Ver¬
ständnis. Seine "Dilettanten" sind eben nicht mit der leidigen Rasse ver¬
wandt, der wir auf Schritt und Tritt begegnen, welche die Liebe zur Kunst
nur vorgiebt, indem sie die Vorbedingungen ignorirt, unter denen allein Aus¬
übung der Kunst möglich ist. Diese Herren Norbert, Arnold und so weiter
bis herab auf den Gymnasiasten, welchen Utis in seinem Personenverzeichnisse
mit aufnimmt, wetteifern ja an Erfindungsgabe, frischer Charakteristik und ge¬
bildetem Stil mit vielen der gegenwärtigen Berufsschriftsteller und haben den
poetischen Hauch, der die meisten Gaben des "Neuen Phantasus" durchweht,
noch vor jenen voraus. Ein paar so vortreffliche Novellen wie "Konrad Un-


Ein neuer phantasus.

lungen, ja selbst die kleinen Märchenspiele in andrer, schärferer geistiger Lust
gediehen sind, als seiner Zeit die Spukgeschichten und die gegen die Aufklärung
gerichteten größeren Spiele Tiecks, als Blaubart, der gestiefelte Kater und
Fortunat. Man braucht nur das Gespräch zwischen dem jungen dilettirenden
Grafen und dem naturwüchsigen Maler zu Eingang der Novelle „Das ge-
träumte Bild" oder die Jugendgeschichte, welche die Novelle „Konrad Unver-
dorbens dumme Streiche" einleitet, zu lesen, um sofort im Klaren darüber zu
sein, daß Utis nichts weniger als ein künstlicher Nachromantiker ist. Im Porträt
des „Onkel Helfrich" chciralterisirt der Verfasser eine Art von Menschen und
Kunstfreunden, welche die Brücke vom alten zum neuen Phantasus schlagen
halfen und für unser gesamtes Leben noch lange nicht so unwichtig und gleich-
giltig geworden sind, als sich die nicht gottesfürchtige, aber dafür sehr dreiste
Tcigcsstimmung einbildet. „Onkel Helfrich war ein harmloser kleiner Mann
um die Fünfzig, früh ergraut, nervös und zart behaltet. Bei einem empfind¬
samen Herzen war er ledig, bei guten und wohlausgebildeten Fähigkeiten berufs¬
los geblieben. Ein Übermaß von sittlich ästhetischem Feingefühl, das in seiner
Natur lag, hatte ihn zu keiner Freudigkeit des Lebens und Wirkens kommen
lassen, und die sorgenfreie Lage, in die er hineingeboren war, erlaubte ihm, sich
den mannichfachsten Interessen hinzugeben. Er trug insgeheim eine Art von
bösem Gewissen mit sich herum, daß er der Welt so wenig leistete; dafür ver¬
langte er auch nichts von ihr. Er liebte die Stille; er studirte viel und vielerlei;
er schrieb nie ganz wenig und ließ niemals etwas drucken, weil ihm nie etwas
genügte und er von nichts eine Wirkung erwartete. Nur in vertrautem Kreise
las er manches vor, doch mit soviel Diskretion, daß er sich seinen Mitmenschen
nie furchtbar machte. Mit jungen Leuten hatte er gern zu thun und war für
sie von angenehmer Gegenwart, weil seine Art sich zu geben nichts schul¬
meisterliches hatte." Sowohl in dieser Charakteristik als in der Folge seines
Buches redet der Verfasser einem Dilettantismus das Wort, der die hand¬
werkliche Kunstübung allzugering schätzen gelernt hat. So wie Utis die
dilettirende Beschäftigung mit den Künsten meint und verstanden haben will,
ist sie geradezu unentbehrlich, ohne ein nicht karg zu begrenzendes Maß von
Liebe und Hingebung giebt es weder erquickliche Leistungen noch frisches Ver¬
ständnis. Seine „Dilettanten" sind eben nicht mit der leidigen Rasse ver¬
wandt, der wir auf Schritt und Tritt begegnen, welche die Liebe zur Kunst
nur vorgiebt, indem sie die Vorbedingungen ignorirt, unter denen allein Aus¬
übung der Kunst möglich ist. Diese Herren Norbert, Arnold und so weiter
bis herab auf den Gymnasiasten, welchen Utis in seinem Personenverzeichnisse
mit aufnimmt, wetteifern ja an Erfindungsgabe, frischer Charakteristik und ge¬
bildetem Stil mit vielen der gegenwärtigen Berufsschriftsteller und haben den
poetischen Hauch, der die meisten Gaben des „Neuen Phantasus" durchweht,
noch vor jenen voraus. Ein paar so vortreffliche Novellen wie „Konrad Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/532>, abgerufen am 17.09.2024.