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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Woher beziehe", wir unsern Lebensbedarf?

Das Jahr 1834 zählte für die deutsche Landwirtschaft zwar nicht zu den
bessern, aber auch nicht zu den ganz schlechten Jahren. Futtergewächse lieferten
reichliche, Kartoffeln gute Erträge. Die übrigen Früchte blieben dagegen großen¬
teils hinter dem Durchschnittsertrage zurück; am meisten der Roggen. Ander¬
seits hatten die meisten außerdeutschen Produktionsgebiete eine überreiche Ernte
ergeben. Daher strömten um die Mitte des Jahres gewaltige Getreidemassen
aus den entferntesten Ländern nach den deutschen Märkten.

Schon seit längerer Zeit erzeugen von den europäischen Ländern nur
Rußland, Österreich-Ungarn und die Donaulünder einen Überschuß an Getreide.
Alle westeuropäischen Länder dagegen bedürfen der Einfuhr. Deutschland gehörte
bis in die fünfziger Jahre zu den Ländern, die mehr Getreide aus- als ein¬
führten. Seitdem aber hat in stets zunehmendem Maße die Einfuhr die Ausfuhr
überstiegen. Es ist charakteristisch, daß bei uns der Anbau von Roggen, Hafer,
Raps und Rübsen, Klee und Flachs zurückgeht, während der Anbau von Weizen,
Gerste, Kartoffeln und Zuckerrüben -- also von denjenigen Gewächsen, die einer
besonders entwickelten Industrie zu Grunde liegen -- sich vermehrt.

Die Einfuhr von Feldfrüchten des Jahres 1884 überschritt bei weitem
die aller Vorjahre. Die Mehreinfuhr betrug für Deutschland 26 158 783 Doppel¬
zentner (gegen 19^/z Millionen des Vorjahres). Die Folge hiervon war, daß
die Preise, die schon aus den Vorjahren ungünstig überkommen waren, noch
weit mehr bis auf einen äußerst niedrigen Stand sanken, ohne daß der da¬
malige Einfuhrzoll dies hinderte.

Wir betrachten nun die einzelnen Fruchtgattungen, welche die Landwirt¬
schaft liefert.

Die Hauptbrotfrucht für Deutschland ist bekanntlich der Roggen (in einigen
Gegenden schlechtweg "das Korn" genannt). Von den 34 833 066 Hektaren,
welche die Gesamtfläche Preußens bilden, ist etwa die Hälfte Acker- und
Gartenland, und davon wird etwas über ein Vierten mit Roggen bebaut. Es
wurden darauf im Jahre 1884 an 38 Millionen Doppelzentner Körner und
91 Millionen Doppelzentner Stroh geerntet (dagegen im Jahre 1878, wo eine
sehr reichliche Ernte stattfand, 51 Millionen Doppelzentner Körner und 122 Mil¬
lionen Doppelzentner Stroh). Der Durchschnittspreis der sämtlichen Haupt¬
marktorte für 1000 Kilogramm war 147 Mark (gegen 202 M. im Jahre 1881
und 143 M. im Jahre 1878). Der Durchschnittspreis schwankte in den
einzelnen Monaten zwischen 154 und 139, in den einzelnen Provinzen zwischen
161 und 131 Mark. Die Einfuhr überstieg die geringe Ausfuhr bedeutend.
Sie kam vorzugsweise aus Rußland, dessen Getreideausfuhr mit Entwicklung
seines Eisenbahnnetzes von Jahr zu Jahr steigt. Im Vergleich damit war die
Einfuhr aus allen übrigen Ländern nur unbedeutend. Die Mehreinfuhr betrug
9 552 732 Doppelzentner in einem Werte von 112 553 000 M.

Mit Weizen war im Jahre 1884 noch nicht der vierte Teil des Roggen-


Woher beziehe«, wir unsern Lebensbedarf?

Das Jahr 1834 zählte für die deutsche Landwirtschaft zwar nicht zu den
bessern, aber auch nicht zu den ganz schlechten Jahren. Futtergewächse lieferten
reichliche, Kartoffeln gute Erträge. Die übrigen Früchte blieben dagegen großen¬
teils hinter dem Durchschnittsertrage zurück; am meisten der Roggen. Ander¬
seits hatten die meisten außerdeutschen Produktionsgebiete eine überreiche Ernte
ergeben. Daher strömten um die Mitte des Jahres gewaltige Getreidemassen
aus den entferntesten Ländern nach den deutschen Märkten.

Schon seit längerer Zeit erzeugen von den europäischen Ländern nur
Rußland, Österreich-Ungarn und die Donaulünder einen Überschuß an Getreide.
Alle westeuropäischen Länder dagegen bedürfen der Einfuhr. Deutschland gehörte
bis in die fünfziger Jahre zu den Ländern, die mehr Getreide aus- als ein¬
führten. Seitdem aber hat in stets zunehmendem Maße die Einfuhr die Ausfuhr
überstiegen. Es ist charakteristisch, daß bei uns der Anbau von Roggen, Hafer,
Raps und Rübsen, Klee und Flachs zurückgeht, während der Anbau von Weizen,
Gerste, Kartoffeln und Zuckerrüben — also von denjenigen Gewächsen, die einer
besonders entwickelten Industrie zu Grunde liegen — sich vermehrt.

Die Einfuhr von Feldfrüchten des Jahres 1884 überschritt bei weitem
die aller Vorjahre. Die Mehreinfuhr betrug für Deutschland 26 158 783 Doppel¬
zentner (gegen 19^/z Millionen des Vorjahres). Die Folge hiervon war, daß
die Preise, die schon aus den Vorjahren ungünstig überkommen waren, noch
weit mehr bis auf einen äußerst niedrigen Stand sanken, ohne daß der da¬
malige Einfuhrzoll dies hinderte.

Wir betrachten nun die einzelnen Fruchtgattungen, welche die Landwirt¬
schaft liefert.

Die Hauptbrotfrucht für Deutschland ist bekanntlich der Roggen (in einigen
Gegenden schlechtweg „das Korn" genannt). Von den 34 833 066 Hektaren,
welche die Gesamtfläche Preußens bilden, ist etwa die Hälfte Acker- und
Gartenland, und davon wird etwas über ein Vierten mit Roggen bebaut. Es
wurden darauf im Jahre 1884 an 38 Millionen Doppelzentner Körner und
91 Millionen Doppelzentner Stroh geerntet (dagegen im Jahre 1878, wo eine
sehr reichliche Ernte stattfand, 51 Millionen Doppelzentner Körner und 122 Mil¬
lionen Doppelzentner Stroh). Der Durchschnittspreis der sämtlichen Haupt¬
marktorte für 1000 Kilogramm war 147 Mark (gegen 202 M. im Jahre 1881
und 143 M. im Jahre 1878). Der Durchschnittspreis schwankte in den
einzelnen Monaten zwischen 154 und 139, in den einzelnen Provinzen zwischen
161 und 131 Mark. Die Einfuhr überstieg die geringe Ausfuhr bedeutend.
Sie kam vorzugsweise aus Rußland, dessen Getreideausfuhr mit Entwicklung
seines Eisenbahnnetzes von Jahr zu Jahr steigt. Im Vergleich damit war die
Einfuhr aus allen übrigen Ländern nur unbedeutend. Die Mehreinfuhr betrug
9 552 732 Doppelzentner in einem Werte von 112 553 000 M.

Mit Weizen war im Jahre 1884 noch nicht der vierte Teil des Roggen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/514>, abgerufen am 17.09.2024.