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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Lociötö 6e Konie.

eignen Lande sind, so unangenehm wissen sie sich nur allzuoft im Auslande
durch ihre Geschwätzigkeit, Indiskretion und die Neigung, harmlose Dinge miß-
zuverstehen und entstellt weiterzuerzählen, zu machen.

Dazu kommt bei den Franzosen eine Eigenschaft, die man in einer demo¬
kratischen Gesellschaftsbildung, wie sie das heutige Frankreich darstellt, am
wenigsten erwarten sollte, nämlich ein ungemessener Adelsstolz. Sie machen
sich zwar, wie der angebliche Vasili, über den Adelsstolz andrer Völker lustig,
hegen aber w xstto eine Überzeugung, die einen manchmal äußerst grotesken
Ausdruck findet. Denn nicht nur siud die Franzosen jedem andern Volke über¬
legen, sondern auch der französische Adel ist etwas ganz andres als jeder andre
Adel: im Grunde noch immer dieselbe Anmaßung, mittels deren Ludwig XIV.
bestimmte, daß fremde, nicht souveräne Fürsten ihren Rang erst nach den¬
jenigen französischen Prinzen und Herzögen einnehmen sollten, welche die so¬
genannten uoimsurs ein I,ouvi'ö genossen, ja daß die Prinzen französischen
königlichen Geblüts nur mit auswärtigen Souveränen auf derselben Stufe
stehen sollten.

In Rom lachte man über derartige Adelsansprüche, die kein Franzose
im eignen Lande mehr laut werden läßt, während das Ausland gut genug
dafür erscheint, auch die wunderbarsten Ansprüche auf Verehrung und Be¬
wunderung dankbar entgegen zu nehmen. Als der Herzog von Mouchy im
Winter 1869 nach Rom kam und für seine Bedürfnisse nirgends genug ge¬
feiert wurde, begriffen die Römer gar nicht, was er eigentlich wollte, bis sie
zuletzt die Erklärung darin zu finden glaubten, daß er die Prinzessin Anna
Murat, Enkelin des Königs Murat, geheiratet hatte. Eine seiner Hauptthaten
war es, sich tötlich darüber beleidigt zu fühlen, daß ein ehrwürdiger Mann
aus der höchsten römischen Aristokratie, als er Mouchys Besuch erwiederte und
ihn nicht in seiner Wohnung traf, seinen Namen, weil er seine Karten vergessen
hatte, auf ein Stück Papier geschrieben hinterließ. "Ist ihm denn ein Autograph
meines Lithographen so sehr viel wertvoller als mein eignes?" fragte der alte
Herr, dessen Ahnen Jahrhunderte lang Fürsten waren, ehe Murat in Cahors
bei seinem Vater Teller wusch, und als die Noailles, ehe ihr Mannesstamm
(im Jahre 1449) erlosch, wie die Franzosen sagen würden, xstits lie>o<zrsg,ux
as xrovines waren.

Ferner herrschte in der römischen Gesellschaft ein Vorurteil, welches einem
Vasili unerklärlich sein muß: bei den Damen sah man mehr auf Natürlichkeit,
im Wesen ebenso wie in der Toilette -- bei den Männern auf Kenntnisse und
Leistungen. Es galt für die ersteren nicht für notwendig, die allerneueste
Pariser Mode mitzumachen, und -- unfaßbar für Vasili -- selbst die Gelehrten
waren salonfähig. Niebuhr hatte die beste Erinnerung hinterlassen, Harrh von
Arnim galt für einen uomo xooo serio. Die bloße äußere Lebensstellung eines
Mannes, ob durch sein Amt oder durch seine Geburt bedingt, schloß in dieser,


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eignen Lande sind, so unangenehm wissen sie sich nur allzuoft im Auslande
durch ihre Geschwätzigkeit, Indiskretion und die Neigung, harmlose Dinge miß-
zuverstehen und entstellt weiterzuerzählen, zu machen.

Dazu kommt bei den Franzosen eine Eigenschaft, die man in einer demo¬
kratischen Gesellschaftsbildung, wie sie das heutige Frankreich darstellt, am
wenigsten erwarten sollte, nämlich ein ungemessener Adelsstolz. Sie machen
sich zwar, wie der angebliche Vasili, über den Adelsstolz andrer Völker lustig,
hegen aber w xstto eine Überzeugung, die einen manchmal äußerst grotesken
Ausdruck findet. Denn nicht nur siud die Franzosen jedem andern Volke über¬
legen, sondern auch der französische Adel ist etwas ganz andres als jeder andre
Adel: im Grunde noch immer dieselbe Anmaßung, mittels deren Ludwig XIV.
bestimmte, daß fremde, nicht souveräne Fürsten ihren Rang erst nach den¬
jenigen französischen Prinzen und Herzögen einnehmen sollten, welche die so¬
genannten uoimsurs ein I,ouvi'ö genossen, ja daß die Prinzen französischen
königlichen Geblüts nur mit auswärtigen Souveränen auf derselben Stufe
stehen sollten.

In Rom lachte man über derartige Adelsansprüche, die kein Franzose
im eignen Lande mehr laut werden läßt, während das Ausland gut genug
dafür erscheint, auch die wunderbarsten Ansprüche auf Verehrung und Be¬
wunderung dankbar entgegen zu nehmen. Als der Herzog von Mouchy im
Winter 1869 nach Rom kam und für seine Bedürfnisse nirgends genug ge¬
feiert wurde, begriffen die Römer gar nicht, was er eigentlich wollte, bis sie
zuletzt die Erklärung darin zu finden glaubten, daß er die Prinzessin Anna
Murat, Enkelin des Königs Murat, geheiratet hatte. Eine seiner Hauptthaten
war es, sich tötlich darüber beleidigt zu fühlen, daß ein ehrwürdiger Mann
aus der höchsten römischen Aristokratie, als er Mouchys Besuch erwiederte und
ihn nicht in seiner Wohnung traf, seinen Namen, weil er seine Karten vergessen
hatte, auf ein Stück Papier geschrieben hinterließ. „Ist ihm denn ein Autograph
meines Lithographen so sehr viel wertvoller als mein eignes?" fragte der alte
Herr, dessen Ahnen Jahrhunderte lang Fürsten waren, ehe Murat in Cahors
bei seinem Vater Teller wusch, und als die Noailles, ehe ihr Mannesstamm
(im Jahre 1449) erlosch, wie die Franzosen sagen würden, xstits lie>o<zrsg,ux
as xrovines waren.

Ferner herrschte in der römischen Gesellschaft ein Vorurteil, welches einem
Vasili unerklärlich sein muß: bei den Damen sah man mehr auf Natürlichkeit,
im Wesen ebenso wie in der Toilette — bei den Männern auf Kenntnisse und
Leistungen. Es galt für die ersteren nicht für notwendig, die allerneueste
Pariser Mode mitzumachen, und — unfaßbar für Vasili — selbst die Gelehrten
waren salonfähig. Niebuhr hatte die beste Erinnerung hinterlassen, Harrh von
Arnim galt für einen uomo xooo serio. Die bloße äußere Lebensstellung eines
Mannes, ob durch sein Amt oder durch seine Geburt bedingt, schloß in dieser,


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[0476] Die Lociötö 6e Konie. eignen Lande sind, so unangenehm wissen sie sich nur allzuoft im Auslande durch ihre Geschwätzigkeit, Indiskretion und die Neigung, harmlose Dinge miß- zuverstehen und entstellt weiterzuerzählen, zu machen. Dazu kommt bei den Franzosen eine Eigenschaft, die man in einer demo¬ kratischen Gesellschaftsbildung, wie sie das heutige Frankreich darstellt, am wenigsten erwarten sollte, nämlich ein ungemessener Adelsstolz. Sie machen sich zwar, wie der angebliche Vasili, über den Adelsstolz andrer Völker lustig, hegen aber w xstto eine Überzeugung, die einen manchmal äußerst grotesken Ausdruck findet. Denn nicht nur siud die Franzosen jedem andern Volke über¬ legen, sondern auch der französische Adel ist etwas ganz andres als jeder andre Adel: im Grunde noch immer dieselbe Anmaßung, mittels deren Ludwig XIV. bestimmte, daß fremde, nicht souveräne Fürsten ihren Rang erst nach den¬ jenigen französischen Prinzen und Herzögen einnehmen sollten, welche die so¬ genannten uoimsurs ein I,ouvi'ö genossen, ja daß die Prinzen französischen königlichen Geblüts nur mit auswärtigen Souveränen auf derselben Stufe stehen sollten. In Rom lachte man über derartige Adelsansprüche, die kein Franzose im eignen Lande mehr laut werden läßt, während das Ausland gut genug dafür erscheint, auch die wunderbarsten Ansprüche auf Verehrung und Be¬ wunderung dankbar entgegen zu nehmen. Als der Herzog von Mouchy im Winter 1869 nach Rom kam und für seine Bedürfnisse nirgends genug ge¬ feiert wurde, begriffen die Römer gar nicht, was er eigentlich wollte, bis sie zuletzt die Erklärung darin zu finden glaubten, daß er die Prinzessin Anna Murat, Enkelin des Königs Murat, geheiratet hatte. Eine seiner Hauptthaten war es, sich tötlich darüber beleidigt zu fühlen, daß ein ehrwürdiger Mann aus der höchsten römischen Aristokratie, als er Mouchys Besuch erwiederte und ihn nicht in seiner Wohnung traf, seinen Namen, weil er seine Karten vergessen hatte, auf ein Stück Papier geschrieben hinterließ. „Ist ihm denn ein Autograph meines Lithographen so sehr viel wertvoller als mein eignes?" fragte der alte Herr, dessen Ahnen Jahrhunderte lang Fürsten waren, ehe Murat in Cahors bei seinem Vater Teller wusch, und als die Noailles, ehe ihr Mannesstamm (im Jahre 1449) erlosch, wie die Franzosen sagen würden, xstits lie>o<zrsg,ux as xrovines waren. Ferner herrschte in der römischen Gesellschaft ein Vorurteil, welches einem Vasili unerklärlich sein muß: bei den Damen sah man mehr auf Natürlichkeit, im Wesen ebenso wie in der Toilette — bei den Männern auf Kenntnisse und Leistungen. Es galt für die ersteren nicht für notwendig, die allerneueste Pariser Mode mitzumachen, und — unfaßbar für Vasili — selbst die Gelehrten waren salonfähig. Niebuhr hatte die beste Erinnerung hinterlassen, Harrh von Arnim galt für einen uomo xooo serio. Die bloße äußere Lebensstellung eines Mannes, ob durch sein Amt oder durch seine Geburt bedingt, schloß in dieser,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/476>, abgerufen am 17.09.2024.