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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen,

liegen oberhalb, den breiten Strom fast zur Hälfte bedeckend, die riesigen plumpen
Newakähne, hochbeladen mit Holz, das sie aus dem Innern bringen -- denn
damit heizt diese glückliche Stadt uoch durchaus ihre Wohnungen --, dazwischen
einzelne Seeschiffe, die bis an die im obern Teile Petersburgs gelegenen Fabriken
gehen, und mit einer charakteristischen Takelage die auf dem Ladogasee fahrenden
Segelschiffe. Zahlreiche kleine Lokaldampfer schießen geschäftig hin und her.
und wer keinen von diesen benutzen kann, der kann sich einer der in eine
sonderbare Spitze nach hinten auslaufenden Gondeln bedienen, die ein "Jailik"
mit kräftigem Nudcvschlage durch die bewegten Fluten treibt. Dasselbe Schau¬
spiel beinahe, nur auf engerem Raume, zeigen die Kanäle, welche die Stadt
durchziehen; kaum ist hier zuweilen zwischen den Massen der Fahrzeuge, die
sie tragen, das dunkle Wasser sichtbar. Wie anders das Bild von der Nikolai-
briickc abwärts! Zur Rechten am Wassily Ostrow liegen dicht gedrängt die
eleganten Dampfer, die nach Oranienbaum und Kronstäbe gehen, weiterhin die
schönen, großen Schiffe, welche den Verkehr mit Finnland und Schweden ver¬
mitteln, endlich die Handelsschiffe aller nordischen Völker, namentlich deutsche, eng¬
lische, dänische, oft bis mitten hinein in den Strom verankert. Dort kommt eben
ein großer Dampfer ans London herauf, dieses schöne Räderschiff setzt sich nach
Neval in Bewegung. Das linke Ufer dagegen trägt zunächst der Nikvlaibrücke
einen wesentlich verschiednen Charakter. Denn hier schaukeln sich vor wappen¬
geschmückten, bedeckten Landungsbrücken die kaiserlichen Jachten, von der "Garde-
cqnipage" bemannt, daneben die prächtigen Naddampfer, welche nach Peterhof
fahren; erst weiter hinab herrscht dann auch hier der Handel.

Merkwürdig und doch wieder sehr erklärlich, daß dieser Handel, soweit er
von Rußland aus betrieben wird, überwiegend in den Händen von Deutschen
und Finnen liegt. Namentlich die letztern haben fast den gesamten Küsten-
nnd Lokalverkehr des finnischen Meerbusens monopolisirt, er führt auch in dieser
Beziehung seinen Namen mit Recht. Alle Lokaldampfer ans der Newa gehören
einer finnischen Gesellschaft, haben finnische Bemannung und sind in Schweden
erbaut; finnisch sind die Schiffe, die nach Finnland und Schweden fahren,
finnisch die Küstcnsegler im ganzen Meerbusen. Denn die Finnen gelten für
klug und energisch, und sie treten selbstbewußt genug auf, selbst geringe
Leute. "Wir sind Finnen, wir nehmen dafür keine Bezahlung," antwortete ein
schlichter Fischer, der uns aus gutem Willen in seinem Boot über eine Bucht
der ingcrmannlcindischen Küste setzte; jene Seedampfer führen mit Vorliebe
Namen aus der finnischen Geschichte und Sage (Oulu, Wciincimoincn), und
zwar ausschließlich in abendländischer Schrift; die finnische Bahn ist die best¬
verwaltete, hat die elegantesten Wagen, kennt nur filmisches Geld, nur abend¬
ländischen Kalender und kleidet ihre Beamten nach schwedischen Muster. Be¬
kanntlich ist auch das "Großfürstentum Finnland" nur durch Personalunion
mit Rußland verbunden und von diesem durch eine Zollgrenze getrennt. Wenn


Russische Skizzen,

liegen oberhalb, den breiten Strom fast zur Hälfte bedeckend, die riesigen plumpen
Newakähne, hochbeladen mit Holz, das sie aus dem Innern bringen — denn
damit heizt diese glückliche Stadt uoch durchaus ihre Wohnungen —, dazwischen
einzelne Seeschiffe, die bis an die im obern Teile Petersburgs gelegenen Fabriken
gehen, und mit einer charakteristischen Takelage die auf dem Ladogasee fahrenden
Segelschiffe. Zahlreiche kleine Lokaldampfer schießen geschäftig hin und her.
und wer keinen von diesen benutzen kann, der kann sich einer der in eine
sonderbare Spitze nach hinten auslaufenden Gondeln bedienen, die ein „Jailik"
mit kräftigem Nudcvschlage durch die bewegten Fluten treibt. Dasselbe Schau¬
spiel beinahe, nur auf engerem Raume, zeigen die Kanäle, welche die Stadt
durchziehen; kaum ist hier zuweilen zwischen den Massen der Fahrzeuge, die
sie tragen, das dunkle Wasser sichtbar. Wie anders das Bild von der Nikolai-
briickc abwärts! Zur Rechten am Wassily Ostrow liegen dicht gedrängt die
eleganten Dampfer, die nach Oranienbaum und Kronstäbe gehen, weiterhin die
schönen, großen Schiffe, welche den Verkehr mit Finnland und Schweden ver¬
mitteln, endlich die Handelsschiffe aller nordischen Völker, namentlich deutsche, eng¬
lische, dänische, oft bis mitten hinein in den Strom verankert. Dort kommt eben
ein großer Dampfer ans London herauf, dieses schöne Räderschiff setzt sich nach
Neval in Bewegung. Das linke Ufer dagegen trägt zunächst der Nikvlaibrücke
einen wesentlich verschiednen Charakter. Denn hier schaukeln sich vor wappen¬
geschmückten, bedeckten Landungsbrücken die kaiserlichen Jachten, von der „Garde-
cqnipage" bemannt, daneben die prächtigen Naddampfer, welche nach Peterhof
fahren; erst weiter hinab herrscht dann auch hier der Handel.

Merkwürdig und doch wieder sehr erklärlich, daß dieser Handel, soweit er
von Rußland aus betrieben wird, überwiegend in den Händen von Deutschen
und Finnen liegt. Namentlich die letztern haben fast den gesamten Küsten-
nnd Lokalverkehr des finnischen Meerbusens monopolisirt, er führt auch in dieser
Beziehung seinen Namen mit Recht. Alle Lokaldampfer ans der Newa gehören
einer finnischen Gesellschaft, haben finnische Bemannung und sind in Schweden
erbaut; finnisch sind die Schiffe, die nach Finnland und Schweden fahren,
finnisch die Küstcnsegler im ganzen Meerbusen. Denn die Finnen gelten für
klug und energisch, und sie treten selbstbewußt genug auf, selbst geringe
Leute. „Wir sind Finnen, wir nehmen dafür keine Bezahlung," antwortete ein
schlichter Fischer, der uns aus gutem Willen in seinem Boot über eine Bucht
der ingcrmannlcindischen Küste setzte; jene Seedampfer führen mit Vorliebe
Namen aus der finnischen Geschichte und Sage (Oulu, Wciincimoincn), und
zwar ausschließlich in abendländischer Schrift; die finnische Bahn ist die best¬
verwaltete, hat die elegantesten Wagen, kennt nur filmisches Geld, nur abend¬
ländischen Kalender und kleidet ihre Beamten nach schwedischen Muster. Be¬
kanntlich ist auch das „Großfürstentum Finnland" nur durch Personalunion
mit Rußland verbunden und von diesem durch eine Zollgrenze getrennt. Wenn


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[0448] Russische Skizzen, liegen oberhalb, den breiten Strom fast zur Hälfte bedeckend, die riesigen plumpen Newakähne, hochbeladen mit Holz, das sie aus dem Innern bringen — denn damit heizt diese glückliche Stadt uoch durchaus ihre Wohnungen —, dazwischen einzelne Seeschiffe, die bis an die im obern Teile Petersburgs gelegenen Fabriken gehen, und mit einer charakteristischen Takelage die auf dem Ladogasee fahrenden Segelschiffe. Zahlreiche kleine Lokaldampfer schießen geschäftig hin und her. und wer keinen von diesen benutzen kann, der kann sich einer der in eine sonderbare Spitze nach hinten auslaufenden Gondeln bedienen, die ein „Jailik" mit kräftigem Nudcvschlage durch die bewegten Fluten treibt. Dasselbe Schau¬ spiel beinahe, nur auf engerem Raume, zeigen die Kanäle, welche die Stadt durchziehen; kaum ist hier zuweilen zwischen den Massen der Fahrzeuge, die sie tragen, das dunkle Wasser sichtbar. Wie anders das Bild von der Nikolai- briickc abwärts! Zur Rechten am Wassily Ostrow liegen dicht gedrängt die eleganten Dampfer, die nach Oranienbaum und Kronstäbe gehen, weiterhin die schönen, großen Schiffe, welche den Verkehr mit Finnland und Schweden ver¬ mitteln, endlich die Handelsschiffe aller nordischen Völker, namentlich deutsche, eng¬ lische, dänische, oft bis mitten hinein in den Strom verankert. Dort kommt eben ein großer Dampfer ans London herauf, dieses schöne Räderschiff setzt sich nach Neval in Bewegung. Das linke Ufer dagegen trägt zunächst der Nikvlaibrücke einen wesentlich verschiednen Charakter. Denn hier schaukeln sich vor wappen¬ geschmückten, bedeckten Landungsbrücken die kaiserlichen Jachten, von der „Garde- cqnipage" bemannt, daneben die prächtigen Naddampfer, welche nach Peterhof fahren; erst weiter hinab herrscht dann auch hier der Handel. Merkwürdig und doch wieder sehr erklärlich, daß dieser Handel, soweit er von Rußland aus betrieben wird, überwiegend in den Händen von Deutschen und Finnen liegt. Namentlich die letztern haben fast den gesamten Küsten- nnd Lokalverkehr des finnischen Meerbusens monopolisirt, er führt auch in dieser Beziehung seinen Namen mit Recht. Alle Lokaldampfer ans der Newa gehören einer finnischen Gesellschaft, haben finnische Bemannung und sind in Schweden erbaut; finnisch sind die Schiffe, die nach Finnland und Schweden fahren, finnisch die Küstcnsegler im ganzen Meerbusen. Denn die Finnen gelten für klug und energisch, und sie treten selbstbewußt genug auf, selbst geringe Leute. „Wir sind Finnen, wir nehmen dafür keine Bezahlung," antwortete ein schlichter Fischer, der uns aus gutem Willen in seinem Boot über eine Bucht der ingcrmannlcindischen Küste setzte; jene Seedampfer führen mit Vorliebe Namen aus der finnischen Geschichte und Sage (Oulu, Wciincimoincn), und zwar ausschließlich in abendländischer Schrift; die finnische Bahn ist die best¬ verwaltete, hat die elegantesten Wagen, kennt nur filmisches Geld, nur abend¬ ländischen Kalender und kleidet ihre Beamten nach schwedischen Muster. Be¬ kanntlich ist auch das „Großfürstentum Finnland" nur durch Personalunion mit Rußland verbunden und von diesem durch eine Zollgrenze getrennt. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/448>, abgerufen am 30.11.2024.