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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

Am stärksten flutet selbstverständlich der Verkehr auf dem Newskij und
den angrenzenden Straßen wie über die Nikolai- und die Palastbrücke. Denn
am Newskij liegen die elegantesten Restaurants, die besuchtesten "Moskaner
Bäckereien," die glänzendsten Läden. Sie enthalten natürlich der .Hauptsache
nach dasselbe wie in jeder andern europäischen Großstadt; aber charakteristisch
sind die herrlichen Fruchtläden (Fruktowaja Laoka), die in reichster Aus¬
wahl alle denkbaren Südfrüchte darbieten. Denn man darf ja nicht vergessen,
daß Südrußland und der Kaukasus alle Produkte der Mittelmeerländer her¬
vorbringen, die heute die Eisenbahn in wenigen Tagen uach der Newa führt,
auch treffliche Weine, welche seit einigen Jahren sehr in Aufnahme gekommen
sind, zumal da sie sich durch verhältnismäßig billigen Preis empfehlen. Wieder
in andrer Weise erinnern an den fernen Süden die "orientalischen Handlungen"
(Wostotschnaja Torgoblja). Wer an morgenländischen Jndustrieerzeuguisseu,
schön ziselirten Waffen, farbenprächtigen Teppichen und Decken, kunstvollen
Gefäßen seine Freude hat, der wird sich schwer von einem solchen Gewölbe
trennen, wo geborne unzweifelhaft "echte" Kaukasier in heimatlicher Tracht,
kräftige, mittelgroße Leute mit feurigen, dunkeln Augen in dem runden, kraus¬
haarigen Kopf und dichtem Schnurrbart, ihm zu Diensten stehen. Andre Läden
wieder zeigen die oft wunderschönen Tulaarbeiten in Silber und schwarzem
Email, auch sie überwiegend nach orientalischen oder byzantinischen Motiven.
Da öffnet sich dem geistigen Auge ein Blick in den fernsten Osten und Süden
des ungeheuern Reiches, dessen Hauptstadt auch in diesen Beziehungen den alten
Verkehr Nowgorods wieder aufgenommen hat. Alle diese Herrlichkeiten ver¬
einigen sich, wieder in halborientalischer Weise, in den endlosen Arkadenreihen
des Gostinnoj Door, einem riesigen Bazar in Form eines verschobenen Vierecks
zwischen dem Newskij und der großen Sadowaja (Gartenstraße); gleich da¬
hinter beginnt das Wirrsal des Apraxin Door, ein schwer übersehbares Durch¬
einander kleiner Gassen und Plätze und Markthallen, wo in buntem Gemisch
Gemüse und Fische, Röcke und Stiefel, Geschirr und Eisenwaaren, Altes und
Neues von zungenfertigen Verkäufern feil geboten werden. Aber man thut gut,
nicht bloß hier, sondern auch in eleganten Geschäften zu "handeln," denn das
"Vorschlagen," bei uns in der Hauptsache längst verschwunden, gehört hier noch
M Geschüftspraxis.

Doch dieser Kleinverkehr will schließlich wenig besagen gegenüber dem
Großhandel, für den Petersburg ebenso Ziel- wie Durchgangspunkt ist. Die
Zahl der einmündenden Bahnen ist allerdings verhältnismäßig gering; umso
bedeutender erscheint der Verkehr zu Wasser; auch in dieser Beziehung rst tue
Newa Versorger" Die vier mächtigen Brücken, die über sie hinwegführen,
stören ihn wenig, weil sie zu bestimmten Stunden für die Schiffe geöffnet
werden und außerdem Binnen- und Seeverkehr sich wesentlich scheiden: was
oberhalb der Nikolaibrücke liegt, gehört jenem, was unterhalb, diesem an. Da


Russische Skizzen.

Am stärksten flutet selbstverständlich der Verkehr auf dem Newskij und
den angrenzenden Straßen wie über die Nikolai- und die Palastbrücke. Denn
am Newskij liegen die elegantesten Restaurants, die besuchtesten „Moskaner
Bäckereien," die glänzendsten Läden. Sie enthalten natürlich der .Hauptsache
nach dasselbe wie in jeder andern europäischen Großstadt; aber charakteristisch
sind die herrlichen Fruchtläden (Fruktowaja Laoka), die in reichster Aus¬
wahl alle denkbaren Südfrüchte darbieten. Denn man darf ja nicht vergessen,
daß Südrußland und der Kaukasus alle Produkte der Mittelmeerländer her¬
vorbringen, die heute die Eisenbahn in wenigen Tagen uach der Newa führt,
auch treffliche Weine, welche seit einigen Jahren sehr in Aufnahme gekommen
sind, zumal da sie sich durch verhältnismäßig billigen Preis empfehlen. Wieder
in andrer Weise erinnern an den fernen Süden die „orientalischen Handlungen"
(Wostotschnaja Torgoblja). Wer an morgenländischen Jndustrieerzeuguisseu,
schön ziselirten Waffen, farbenprächtigen Teppichen und Decken, kunstvollen
Gefäßen seine Freude hat, der wird sich schwer von einem solchen Gewölbe
trennen, wo geborne unzweifelhaft „echte" Kaukasier in heimatlicher Tracht,
kräftige, mittelgroße Leute mit feurigen, dunkeln Augen in dem runden, kraus¬
haarigen Kopf und dichtem Schnurrbart, ihm zu Diensten stehen. Andre Läden
wieder zeigen die oft wunderschönen Tulaarbeiten in Silber und schwarzem
Email, auch sie überwiegend nach orientalischen oder byzantinischen Motiven.
Da öffnet sich dem geistigen Auge ein Blick in den fernsten Osten und Süden
des ungeheuern Reiches, dessen Hauptstadt auch in diesen Beziehungen den alten
Verkehr Nowgorods wieder aufgenommen hat. Alle diese Herrlichkeiten ver¬
einigen sich, wieder in halborientalischer Weise, in den endlosen Arkadenreihen
des Gostinnoj Door, einem riesigen Bazar in Form eines verschobenen Vierecks
zwischen dem Newskij und der großen Sadowaja (Gartenstraße); gleich da¬
hinter beginnt das Wirrsal des Apraxin Door, ein schwer übersehbares Durch¬
einander kleiner Gassen und Plätze und Markthallen, wo in buntem Gemisch
Gemüse und Fische, Röcke und Stiefel, Geschirr und Eisenwaaren, Altes und
Neues von zungenfertigen Verkäufern feil geboten werden. Aber man thut gut,
nicht bloß hier, sondern auch in eleganten Geschäften zu „handeln," denn das
"Vorschlagen," bei uns in der Hauptsache längst verschwunden, gehört hier noch
M Geschüftspraxis.

Doch dieser Kleinverkehr will schließlich wenig besagen gegenüber dem
Großhandel, für den Petersburg ebenso Ziel- wie Durchgangspunkt ist. Die
Zahl der einmündenden Bahnen ist allerdings verhältnismäßig gering; umso
bedeutender erscheint der Verkehr zu Wasser; auch in dieser Beziehung rst tue
Newa Versorger» Die vier mächtigen Brücken, die über sie hinwegführen,
stören ihn wenig, weil sie zu bestimmten Stunden für die Schiffe geöffnet
werden und außerdem Binnen- und Seeverkehr sich wesentlich scheiden: was
oberhalb der Nikolaibrücke liegt, gehört jenem, was unterhalb, diesem an. Da


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[0447] Russische Skizzen. Am stärksten flutet selbstverständlich der Verkehr auf dem Newskij und den angrenzenden Straßen wie über die Nikolai- und die Palastbrücke. Denn am Newskij liegen die elegantesten Restaurants, die besuchtesten „Moskaner Bäckereien," die glänzendsten Läden. Sie enthalten natürlich der .Hauptsache nach dasselbe wie in jeder andern europäischen Großstadt; aber charakteristisch sind die herrlichen Fruchtläden (Fruktowaja Laoka), die in reichster Aus¬ wahl alle denkbaren Südfrüchte darbieten. Denn man darf ja nicht vergessen, daß Südrußland und der Kaukasus alle Produkte der Mittelmeerländer her¬ vorbringen, die heute die Eisenbahn in wenigen Tagen uach der Newa führt, auch treffliche Weine, welche seit einigen Jahren sehr in Aufnahme gekommen sind, zumal da sie sich durch verhältnismäßig billigen Preis empfehlen. Wieder in andrer Weise erinnern an den fernen Süden die „orientalischen Handlungen" (Wostotschnaja Torgoblja). Wer an morgenländischen Jndustrieerzeuguisseu, schön ziselirten Waffen, farbenprächtigen Teppichen und Decken, kunstvollen Gefäßen seine Freude hat, der wird sich schwer von einem solchen Gewölbe trennen, wo geborne unzweifelhaft „echte" Kaukasier in heimatlicher Tracht, kräftige, mittelgroße Leute mit feurigen, dunkeln Augen in dem runden, kraus¬ haarigen Kopf und dichtem Schnurrbart, ihm zu Diensten stehen. Andre Läden wieder zeigen die oft wunderschönen Tulaarbeiten in Silber und schwarzem Email, auch sie überwiegend nach orientalischen oder byzantinischen Motiven. Da öffnet sich dem geistigen Auge ein Blick in den fernsten Osten und Süden des ungeheuern Reiches, dessen Hauptstadt auch in diesen Beziehungen den alten Verkehr Nowgorods wieder aufgenommen hat. Alle diese Herrlichkeiten ver¬ einigen sich, wieder in halborientalischer Weise, in den endlosen Arkadenreihen des Gostinnoj Door, einem riesigen Bazar in Form eines verschobenen Vierecks zwischen dem Newskij und der großen Sadowaja (Gartenstraße); gleich da¬ hinter beginnt das Wirrsal des Apraxin Door, ein schwer übersehbares Durch¬ einander kleiner Gassen und Plätze und Markthallen, wo in buntem Gemisch Gemüse und Fische, Röcke und Stiefel, Geschirr und Eisenwaaren, Altes und Neues von zungenfertigen Verkäufern feil geboten werden. Aber man thut gut, nicht bloß hier, sondern auch in eleganten Geschäften zu „handeln," denn das "Vorschlagen," bei uns in der Hauptsache längst verschwunden, gehört hier noch M Geschüftspraxis. Doch dieser Kleinverkehr will schließlich wenig besagen gegenüber dem Großhandel, für den Petersburg ebenso Ziel- wie Durchgangspunkt ist. Die Zahl der einmündenden Bahnen ist allerdings verhältnismäßig gering; umso bedeutender erscheint der Verkehr zu Wasser; auch in dieser Beziehung rst tue Newa Versorger» Die vier mächtigen Brücken, die über sie hinwegführen, stören ihn wenig, weil sie zu bestimmten Stunden für die Schiffe geöffnet werden und außerdem Binnen- und Seeverkehr sich wesentlich scheiden: was oberhalb der Nikolaibrücke liegt, gehört jenem, was unterhalb, diesem an. Da

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/447>, abgerufen am 30.11.2024.