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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.
von Veto Kaemmel. (Fortsetzung.)

o trifft das Auge überall in der weiten Stadt auf Erinne¬
rungen an die beiden größten Gestalten der neueren russischen
Geschichte. Peter I. und Katharina II. Der erstere war Russe
von Geburt, aber Deutscher oder Holländer seiner Bildung
"und Erziehung nach, und was er hier schuf im öden Sumpf¬
lande der Ncwamündung, das schuf er nach ausländischen Mustern und zum
Teil mit ausländischen Kräften und benannte es mit Vorliebe deutsch (Peters¬
burg, Peterhof. Kronstäbe, Schlüsselburg); die zweite war Deutsche von Her¬
kunft und Russin nur durch ihre Herrscherstellung, und was sie ins Leben rief,
trug das Gepräge der französischen Aufklärung. Aus dem russischen ^otks-
tume ist weder das eine noch das andre erwachsen. Und doch sind beide
Herrscher volkstümlich geworden; aber populärer als sie scheint die Erinnerung
an den großen Franzosenkrieg von 1812. Denn hier verteidigte sich das
"heilige," das ..rechtgläubige" Nußland mit seiner ganzen massigen Wucht, dem
düstern religiös-nationalen Fanatismus seines Volkes gegen den Einbruch des
ketzerischen Westens und bereitete ihm eine furchtbare Katastrophe. An diese
Zeit erinnert vor allem die Kasansche Kathedrale mit ihren Denkmälern, die so
massenhaft erscheinen wie die keiner andern Kriegsperiode, selbst nicht der
Türkenkriege. Wenn heute das "gebildete" Rußland für Frankreich schwärmt
in jener innern Verwandtschaft, die den russischen Nihilismus im weitesten
Sinne des Wortes, d. h. die Abwesenheit jedes Glaubens an die Berechtigung
des Bestehenden und jedes sittlichen Ideals, mit dem französischen Radikalismus
verbindet, die russischen Massen wissen davon nichts. Überhaupt das russische
Volkstum hat sich doch dieses Küstenstriches, der eigentlich jenseits seiner Grenzen




Russische Skizzen.
von Veto Kaemmel. (Fortsetzung.)

o trifft das Auge überall in der weiten Stadt auf Erinne¬
rungen an die beiden größten Gestalten der neueren russischen
Geschichte. Peter I. und Katharina II. Der erstere war Russe
von Geburt, aber Deutscher oder Holländer seiner Bildung
„und Erziehung nach, und was er hier schuf im öden Sumpf¬
lande der Ncwamündung, das schuf er nach ausländischen Mustern und zum
Teil mit ausländischen Kräften und benannte es mit Vorliebe deutsch (Peters¬
burg, Peterhof. Kronstäbe, Schlüsselburg); die zweite war Deutsche von Her¬
kunft und Russin nur durch ihre Herrscherstellung, und was sie ins Leben rief,
trug das Gepräge der französischen Aufklärung. Aus dem russischen ^otks-
tume ist weder das eine noch das andre erwachsen. Und doch sind beide
Herrscher volkstümlich geworden; aber populärer als sie scheint die Erinnerung
an den großen Franzosenkrieg von 1812. Denn hier verteidigte sich das
„heilige," das ..rechtgläubige" Nußland mit seiner ganzen massigen Wucht, dem
düstern religiös-nationalen Fanatismus seines Volkes gegen den Einbruch des
ketzerischen Westens und bereitete ihm eine furchtbare Katastrophe. An diese
Zeit erinnert vor allem die Kasansche Kathedrale mit ihren Denkmälern, die so
massenhaft erscheinen wie die keiner andern Kriegsperiode, selbst nicht der
Türkenkriege. Wenn heute das „gebildete" Rußland für Frankreich schwärmt
in jener innern Verwandtschaft, die den russischen Nihilismus im weitesten
Sinne des Wortes, d. h. die Abwesenheit jedes Glaubens an die Berechtigung
des Bestehenden und jedes sittlichen Ideals, mit dem französischen Radikalismus
verbindet, die russischen Massen wissen davon nichts. Überhaupt das russische
Volkstum hat sich doch dieses Küstenstriches, der eigentlich jenseits seiner Grenzen


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[0443] [Abbildung] Russische Skizzen. von Veto Kaemmel. (Fortsetzung.) o trifft das Auge überall in der weiten Stadt auf Erinne¬ rungen an die beiden größten Gestalten der neueren russischen Geschichte. Peter I. und Katharina II. Der erstere war Russe von Geburt, aber Deutscher oder Holländer seiner Bildung „und Erziehung nach, und was er hier schuf im öden Sumpf¬ lande der Ncwamündung, das schuf er nach ausländischen Mustern und zum Teil mit ausländischen Kräften und benannte es mit Vorliebe deutsch (Peters¬ burg, Peterhof. Kronstäbe, Schlüsselburg); die zweite war Deutsche von Her¬ kunft und Russin nur durch ihre Herrscherstellung, und was sie ins Leben rief, trug das Gepräge der französischen Aufklärung. Aus dem russischen ^otks- tume ist weder das eine noch das andre erwachsen. Und doch sind beide Herrscher volkstümlich geworden; aber populärer als sie scheint die Erinnerung an den großen Franzosenkrieg von 1812. Denn hier verteidigte sich das „heilige," das ..rechtgläubige" Nußland mit seiner ganzen massigen Wucht, dem düstern religiös-nationalen Fanatismus seines Volkes gegen den Einbruch des ketzerischen Westens und bereitete ihm eine furchtbare Katastrophe. An diese Zeit erinnert vor allem die Kasansche Kathedrale mit ihren Denkmälern, die so massenhaft erscheinen wie die keiner andern Kriegsperiode, selbst nicht der Türkenkriege. Wenn heute das „gebildete" Rußland für Frankreich schwärmt in jener innern Verwandtschaft, die den russischen Nihilismus im weitesten Sinne des Wortes, d. h. die Abwesenheit jedes Glaubens an die Berechtigung des Bestehenden und jedes sittlichen Ideals, mit dem französischen Radikalismus verbindet, die russischen Massen wissen davon nichts. Überhaupt das russische Volkstum hat sich doch dieses Küstenstriches, der eigentlich jenseits seiner Grenzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/443>, abgerufen am 30.11.2024.