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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Parlamentarisches aus "Österreich.

erschöpflichen Stoff zu Angriffen und Neckereien. Jetzt haben sie das Partei¬
ministerium, "wie es im Buche steht." Freilich war ihnen das Versöhnungs¬
ministerium gar nicht so verhaßt, wie sie vorgaben, die Hoffnung, auf die eine
oder die andre Weise in demselben Fuß zu fassen, einzelne Mitglieder sich zu
verbinden, andre zu verdrängen, ist wohl nie gänzlich ausgegeben worden. Haben
die letzten Wochen diese Verblendung endlich beseitigt, so ist wenigstens etwas
Gutes bei der Sache. In allem übrigen sieht es traurig aus. Zur parla¬
mentarischen Mehrheit werden es die Deutschen nicht wieder bringen, so lange sie
nicht in der Lage sind, die allbekannten Mittel anzuwenden, welche noch jeder
geschickten Regierung den Sieg verschafft haben; je weiter man das Wahlrecht
ausdehnt, desto größer wird die Macht der Slawen und der vaterlandslosen
Klerikalen. Soll man auf außerordentliche Ereignisse rechnen, wie diejenigen,
welche das erste "Bürgerministerinm" ans Ruder brachten? Und soll dann
wieder parteimäßig regiert werden, damit die Tschechen wieder davon gehen,
ohne daß doch all das Unheil, welches seit 1880 angerichtet worden ist, wieder
gut gemacht werden könnte? Österreich ist eben nicht parlamentarisch zu re¬
gieren -- wenigstens nicht, bevor die Grundlagen des Staatswesens endlich
gegen neue Experimente und gegen die Gelüste der Nationalitäten und Nationali¬
tätchen sichergestellt sind.

"Und in der That, ein tüchtiges Geschäftsministerium thäte dem Lande
not, mit einem charaktervoller Manne an der Spitze, der bündig zu befehlen,
vor allein das freigewordene Volk zur Arbeit anzuhalten und reicher zu machen
verstünde. Zunächst dazu berufen, das Werk in die Hand zu nehmen, wäre der
König selbst. Das ist freilich inkoustitutionell, denn im Katechismus steht: der
König herrscht, aber regiert nicht; aber unter gegebenen Umständen, am rich¬
tigen Orte, in Zeiten des Überganges ist der Scheinkonstitutioualismus die voll¬
kommenste Staatsform, eine Selbsthilfe der Natur bei widriger Lebensordnung.
Und wenn dabei die Stimmen im Nedetempel, dem Parlament, auf eine Weile
minder laut würden, auch das mißtönende Orchester der täglichen Presse etwas
gedämpfter spielen müßte, der Nachteil wäre nicht allzugroß." So schrieb vor
neun Jahren Victor Hahn in seinem klassischen Buche über Italien; mit einer
geringe" formalen Abänderung passen die Sätze auf Osterreich heute, wie seit
Jahren. Wahrscheinlich würden auch viele die Sätze in dieser Anwendung
unterschreiben, wenn man sich dadurch nicht der Verfehmung durch die "Organe
der öffentlichen Meinung" aussetzte. Gegen alles kann man sich auflehnen,
nur nicht gegen das "mißtönende Orchester," dessen Begleitung ja zu oft un¬
entbehrlich, immer erwünscht ist für einen politischen Solofänger. Und ge¬
rade innerhalb der Partei, welche sich als Führerin der Deutschen betrachtet,
ist leider der Mut einer eignen Meinung fehr selten. Neulich wurde ans ihrer
Mitte gar der Versuch unternommen, an den Thronfolger sich heranzudrängen,
ihn gewissermaßen zum Parteigenossen zu machen. Als wir Zeuge dieser Auf-


Parlamentarisches aus «Österreich.

erschöpflichen Stoff zu Angriffen und Neckereien. Jetzt haben sie das Partei¬
ministerium, „wie es im Buche steht." Freilich war ihnen das Versöhnungs¬
ministerium gar nicht so verhaßt, wie sie vorgaben, die Hoffnung, auf die eine
oder die andre Weise in demselben Fuß zu fassen, einzelne Mitglieder sich zu
verbinden, andre zu verdrängen, ist wohl nie gänzlich ausgegeben worden. Haben
die letzten Wochen diese Verblendung endlich beseitigt, so ist wenigstens etwas
Gutes bei der Sache. In allem übrigen sieht es traurig aus. Zur parla¬
mentarischen Mehrheit werden es die Deutschen nicht wieder bringen, so lange sie
nicht in der Lage sind, die allbekannten Mittel anzuwenden, welche noch jeder
geschickten Regierung den Sieg verschafft haben; je weiter man das Wahlrecht
ausdehnt, desto größer wird die Macht der Slawen und der vaterlandslosen
Klerikalen. Soll man auf außerordentliche Ereignisse rechnen, wie diejenigen,
welche das erste „Bürgerministerinm" ans Ruder brachten? Und soll dann
wieder parteimäßig regiert werden, damit die Tschechen wieder davon gehen,
ohne daß doch all das Unheil, welches seit 1880 angerichtet worden ist, wieder
gut gemacht werden könnte? Österreich ist eben nicht parlamentarisch zu re¬
gieren — wenigstens nicht, bevor die Grundlagen des Staatswesens endlich
gegen neue Experimente und gegen die Gelüste der Nationalitäten und Nationali¬
tätchen sichergestellt sind.

„Und in der That, ein tüchtiges Geschäftsministerium thäte dem Lande
not, mit einem charaktervoller Manne an der Spitze, der bündig zu befehlen,
vor allein das freigewordene Volk zur Arbeit anzuhalten und reicher zu machen
verstünde. Zunächst dazu berufen, das Werk in die Hand zu nehmen, wäre der
König selbst. Das ist freilich inkoustitutionell, denn im Katechismus steht: der
König herrscht, aber regiert nicht; aber unter gegebenen Umständen, am rich¬
tigen Orte, in Zeiten des Überganges ist der Scheinkonstitutioualismus die voll¬
kommenste Staatsform, eine Selbsthilfe der Natur bei widriger Lebensordnung.
Und wenn dabei die Stimmen im Nedetempel, dem Parlament, auf eine Weile
minder laut würden, auch das mißtönende Orchester der täglichen Presse etwas
gedämpfter spielen müßte, der Nachteil wäre nicht allzugroß." So schrieb vor
neun Jahren Victor Hahn in seinem klassischen Buche über Italien; mit einer
geringe» formalen Abänderung passen die Sätze auf Osterreich heute, wie seit
Jahren. Wahrscheinlich würden auch viele die Sätze in dieser Anwendung
unterschreiben, wenn man sich dadurch nicht der Verfehmung durch die „Organe
der öffentlichen Meinung" aussetzte. Gegen alles kann man sich auflehnen,
nur nicht gegen das „mißtönende Orchester," dessen Begleitung ja zu oft un¬
entbehrlich, immer erwünscht ist für einen politischen Solofänger. Und ge¬
rade innerhalb der Partei, welche sich als Führerin der Deutschen betrachtet,
ist leider der Mut einer eignen Meinung fehr selten. Neulich wurde ans ihrer
Mitte gar der Versuch unternommen, an den Thronfolger sich heranzudrängen,
ihn gewissermaßen zum Parteigenossen zu machen. Als wir Zeuge dieser Auf-


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[0420] Parlamentarisches aus «Österreich. erschöpflichen Stoff zu Angriffen und Neckereien. Jetzt haben sie das Partei¬ ministerium, „wie es im Buche steht." Freilich war ihnen das Versöhnungs¬ ministerium gar nicht so verhaßt, wie sie vorgaben, die Hoffnung, auf die eine oder die andre Weise in demselben Fuß zu fassen, einzelne Mitglieder sich zu verbinden, andre zu verdrängen, ist wohl nie gänzlich ausgegeben worden. Haben die letzten Wochen diese Verblendung endlich beseitigt, so ist wenigstens etwas Gutes bei der Sache. In allem übrigen sieht es traurig aus. Zur parla¬ mentarischen Mehrheit werden es die Deutschen nicht wieder bringen, so lange sie nicht in der Lage sind, die allbekannten Mittel anzuwenden, welche noch jeder geschickten Regierung den Sieg verschafft haben; je weiter man das Wahlrecht ausdehnt, desto größer wird die Macht der Slawen und der vaterlandslosen Klerikalen. Soll man auf außerordentliche Ereignisse rechnen, wie diejenigen, welche das erste „Bürgerministerinm" ans Ruder brachten? Und soll dann wieder parteimäßig regiert werden, damit die Tschechen wieder davon gehen, ohne daß doch all das Unheil, welches seit 1880 angerichtet worden ist, wieder gut gemacht werden könnte? Österreich ist eben nicht parlamentarisch zu re¬ gieren — wenigstens nicht, bevor die Grundlagen des Staatswesens endlich gegen neue Experimente und gegen die Gelüste der Nationalitäten und Nationali¬ tätchen sichergestellt sind. „Und in der That, ein tüchtiges Geschäftsministerium thäte dem Lande not, mit einem charaktervoller Manne an der Spitze, der bündig zu befehlen, vor allein das freigewordene Volk zur Arbeit anzuhalten und reicher zu machen verstünde. Zunächst dazu berufen, das Werk in die Hand zu nehmen, wäre der König selbst. Das ist freilich inkoustitutionell, denn im Katechismus steht: der König herrscht, aber regiert nicht; aber unter gegebenen Umständen, am rich¬ tigen Orte, in Zeiten des Überganges ist der Scheinkonstitutioualismus die voll¬ kommenste Staatsform, eine Selbsthilfe der Natur bei widriger Lebensordnung. Und wenn dabei die Stimmen im Nedetempel, dem Parlament, auf eine Weile minder laut würden, auch das mißtönende Orchester der täglichen Presse etwas gedämpfter spielen müßte, der Nachteil wäre nicht allzugroß." So schrieb vor neun Jahren Victor Hahn in seinem klassischen Buche über Italien; mit einer geringe» formalen Abänderung passen die Sätze auf Osterreich heute, wie seit Jahren. Wahrscheinlich würden auch viele die Sätze in dieser Anwendung unterschreiben, wenn man sich dadurch nicht der Verfehmung durch die „Organe der öffentlichen Meinung" aussetzte. Gegen alles kann man sich auflehnen, nur nicht gegen das „mißtönende Orchester," dessen Begleitung ja zu oft un¬ entbehrlich, immer erwünscht ist für einen politischen Solofänger. Und ge¬ rade innerhalb der Partei, welche sich als Führerin der Deutschen betrachtet, ist leider der Mut einer eignen Meinung fehr selten. Neulich wurde ans ihrer Mitte gar der Versuch unternommen, an den Thronfolger sich heranzudrängen, ihn gewissermaßen zum Parteigenossen zu machen. Als wir Zeuge dieser Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/420>, abgerufen am 17.09.2024.