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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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von staatlicher und kirchlicher Autorität konnte man in den französischen und
belgischen revolutionären Blättern lesen, und ihren Aufreizungen zur Verhinderung
des kirchlichen Friedens wurde die weiteste Verbreitung durch die "Frankfurter
Zeitung" des Herrn Sonnemann und die freisinnige Presse, an deren Spitze
die "Freisinnige Zeitung" des Herrn Eugen Richter steht, durch die Berliner
"Volkszeitung" und durch das sozialdemokratische "Volksblatt" des Herrn
Singer zu Teil. Dem aufmerksamen Beobachter konnte es nicht entgehen, wie
alle diese Blätter dasselbe Leitmotiv, in den verschiedensten Tonarten und je
nach der Richtung ihres Leserkreises, verarbeiteten. Wenn sie ihr Ziel nicht
erreicht haben, so ist es vorzugsweise dem Umstände zuzuschreiben, daß Papst
Leo XIII. nicht unter der jesuitischen Leitung steht, wie dies bei Pius IX. und
seinem Leiborgan, der OiviltZ. og-twliog., der Fall war. Mit dieser Gegnerschaft
wird das deutsche Reich und Preußen immer zu kämpfen haben, sie ist über¬
haupt durch keinen Friedensschluß zu gewinnen, wohl aber durch einen solchen
zu schwächen, indem die mißvergnügten Elemente im Staate verringert werden
und sich weniger Unzufriedne in die Arme des jesuitischen Anarchismus stürzen.

Zum Teil Zöglinge der Väter von der Gesellschaft Jesu sind diejenigen
katholischen Gegner des neuen Friedensgesetzes, welche aus dem Giftboden des
Kulturkampfes emporgewachsen sind, in diesem ihre Existenz und ihre Vor¬
teile gefunden haben und mit dem Frieden beide bedroht sehen. Zu diesen
Elementen gehört die kleine katholische Presse, welche in der Zahl von mehr
als hundertfünfzig Blättern und Blättchen das deutsche Reich wie mit einem
Spinnengewebe' überzogen hat, in dessen Fäden sich die Zentrumswähler
fangen lassen. Geistliche, welche zusolge der Kampfgesetze ihre Pfarren auf¬
gegeben hatten oder eine Anstellung in der Seelsorge nicht nachsuchten, fanden
Beschäftigung in Redaktionen und bei den Agitationen der Vereine und Ver¬
sammlungen; geschützt durch die konstitutionellen Grundrechte der Presse und
der Vereinsfreiheit, waren sie imstande, ihren Haß gegen den Staat und die
ketzerische Negierung die Zügel schießen zu lassen und fanden dabei ihre eigne
Rechnung in Erwerb und Genuß. Viel angenehmer ist es, statt vor polnischen
Bauern die Messe zu lesen oder ihre Beichte entgegenzunehmen, in den Haupt¬
städten des Reiches und der Provinz die öffentlichen Angelegenheiten zu be¬
arbeiten, mit Parlamentariern Rat zu pflegen und von dem Zwange befreit
zu sein, den das priesterliche Leben und der geistliche Beruf auferlegten. Unter¬
stützt werden diese "Hetz- und Preßkaplcine" von den Geistlichen, welche in
der Zeit des Kulturkampfes im Kampfe mit den Staatsgesetzen lebten und bei
der Verwaisung der bischöflichen Sitze keine Disziplin und Zensur zu scheuen
hatten. Für die letztern ist die Rückkehr geordneter kirchlicher Zustände das
Ende ihrer Ungebundenheit; Leute dieses Schlages sitzen nicht nur in den
Pfarreien, die unzufriednen Elemente, die vom Kampfe lebenden Fechter haben
auch Eingang in den Kapiteln gefunden, wie schon die Thatsache beweist, daß


von staatlicher und kirchlicher Autorität konnte man in den französischen und
belgischen revolutionären Blättern lesen, und ihren Aufreizungen zur Verhinderung
des kirchlichen Friedens wurde die weiteste Verbreitung durch die „Frankfurter
Zeitung" des Herrn Sonnemann und die freisinnige Presse, an deren Spitze
die „Freisinnige Zeitung" des Herrn Eugen Richter steht, durch die Berliner
„Volkszeitung" und durch das sozialdemokratische „Volksblatt" des Herrn
Singer zu Teil. Dem aufmerksamen Beobachter konnte es nicht entgehen, wie
alle diese Blätter dasselbe Leitmotiv, in den verschiedensten Tonarten und je
nach der Richtung ihres Leserkreises, verarbeiteten. Wenn sie ihr Ziel nicht
erreicht haben, so ist es vorzugsweise dem Umstände zuzuschreiben, daß Papst
Leo XIII. nicht unter der jesuitischen Leitung steht, wie dies bei Pius IX. und
seinem Leiborgan, der OiviltZ. og-twliog., der Fall war. Mit dieser Gegnerschaft
wird das deutsche Reich und Preußen immer zu kämpfen haben, sie ist über¬
haupt durch keinen Friedensschluß zu gewinnen, wohl aber durch einen solchen
zu schwächen, indem die mißvergnügten Elemente im Staate verringert werden
und sich weniger Unzufriedne in die Arme des jesuitischen Anarchismus stürzen.

Zum Teil Zöglinge der Väter von der Gesellschaft Jesu sind diejenigen
katholischen Gegner des neuen Friedensgesetzes, welche aus dem Giftboden des
Kulturkampfes emporgewachsen sind, in diesem ihre Existenz und ihre Vor¬
teile gefunden haben und mit dem Frieden beide bedroht sehen. Zu diesen
Elementen gehört die kleine katholische Presse, welche in der Zahl von mehr
als hundertfünfzig Blättern und Blättchen das deutsche Reich wie mit einem
Spinnengewebe' überzogen hat, in dessen Fäden sich die Zentrumswähler
fangen lassen. Geistliche, welche zusolge der Kampfgesetze ihre Pfarren auf¬
gegeben hatten oder eine Anstellung in der Seelsorge nicht nachsuchten, fanden
Beschäftigung in Redaktionen und bei den Agitationen der Vereine und Ver¬
sammlungen; geschützt durch die konstitutionellen Grundrechte der Presse und
der Vereinsfreiheit, waren sie imstande, ihren Haß gegen den Staat und die
ketzerische Negierung die Zügel schießen zu lassen und fanden dabei ihre eigne
Rechnung in Erwerb und Genuß. Viel angenehmer ist es, statt vor polnischen
Bauern die Messe zu lesen oder ihre Beichte entgegenzunehmen, in den Haupt¬
städten des Reiches und der Provinz die öffentlichen Angelegenheiten zu be¬
arbeiten, mit Parlamentariern Rat zu pflegen und von dem Zwange befreit
zu sein, den das priesterliche Leben und der geistliche Beruf auferlegten. Unter¬
stützt werden diese „Hetz- und Preßkaplcine" von den Geistlichen, welche in
der Zeit des Kulturkampfes im Kampfe mit den Staatsgesetzen lebten und bei
der Verwaisung der bischöflichen Sitze keine Disziplin und Zensur zu scheuen
hatten. Für die letztern ist die Rückkehr geordneter kirchlicher Zustände das
Ende ihrer Ungebundenheit; Leute dieses Schlages sitzen nicht nur in den
Pfarreien, die unzufriednen Elemente, die vom Kampfe lebenden Fechter haben
auch Eingang in den Kapiteln gefunden, wie schon die Thatsache beweist, daß


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[0404] von staatlicher und kirchlicher Autorität konnte man in den französischen und belgischen revolutionären Blättern lesen, und ihren Aufreizungen zur Verhinderung des kirchlichen Friedens wurde die weiteste Verbreitung durch die „Frankfurter Zeitung" des Herrn Sonnemann und die freisinnige Presse, an deren Spitze die „Freisinnige Zeitung" des Herrn Eugen Richter steht, durch die Berliner „Volkszeitung" und durch das sozialdemokratische „Volksblatt" des Herrn Singer zu Teil. Dem aufmerksamen Beobachter konnte es nicht entgehen, wie alle diese Blätter dasselbe Leitmotiv, in den verschiedensten Tonarten und je nach der Richtung ihres Leserkreises, verarbeiteten. Wenn sie ihr Ziel nicht erreicht haben, so ist es vorzugsweise dem Umstände zuzuschreiben, daß Papst Leo XIII. nicht unter der jesuitischen Leitung steht, wie dies bei Pius IX. und seinem Leiborgan, der OiviltZ. og-twliog., der Fall war. Mit dieser Gegnerschaft wird das deutsche Reich und Preußen immer zu kämpfen haben, sie ist über¬ haupt durch keinen Friedensschluß zu gewinnen, wohl aber durch einen solchen zu schwächen, indem die mißvergnügten Elemente im Staate verringert werden und sich weniger Unzufriedne in die Arme des jesuitischen Anarchismus stürzen. Zum Teil Zöglinge der Väter von der Gesellschaft Jesu sind diejenigen katholischen Gegner des neuen Friedensgesetzes, welche aus dem Giftboden des Kulturkampfes emporgewachsen sind, in diesem ihre Existenz und ihre Vor¬ teile gefunden haben und mit dem Frieden beide bedroht sehen. Zu diesen Elementen gehört die kleine katholische Presse, welche in der Zahl von mehr als hundertfünfzig Blättern und Blättchen das deutsche Reich wie mit einem Spinnengewebe' überzogen hat, in dessen Fäden sich die Zentrumswähler fangen lassen. Geistliche, welche zusolge der Kampfgesetze ihre Pfarren auf¬ gegeben hatten oder eine Anstellung in der Seelsorge nicht nachsuchten, fanden Beschäftigung in Redaktionen und bei den Agitationen der Vereine und Ver¬ sammlungen; geschützt durch die konstitutionellen Grundrechte der Presse und der Vereinsfreiheit, waren sie imstande, ihren Haß gegen den Staat und die ketzerische Negierung die Zügel schießen zu lassen und fanden dabei ihre eigne Rechnung in Erwerb und Genuß. Viel angenehmer ist es, statt vor polnischen Bauern die Messe zu lesen oder ihre Beichte entgegenzunehmen, in den Haupt¬ städten des Reiches und der Provinz die öffentlichen Angelegenheiten zu be¬ arbeiten, mit Parlamentariern Rat zu pflegen und von dem Zwange befreit zu sein, den das priesterliche Leben und der geistliche Beruf auferlegten. Unter¬ stützt werden diese „Hetz- und Preßkaplcine" von den Geistlichen, welche in der Zeit des Kulturkampfes im Kampfe mit den Staatsgesetzen lebten und bei der Verwaisung der bischöflichen Sitze keine Disziplin und Zensur zu scheuen hatten. Für die letztern ist die Rückkehr geordneter kirchlicher Zustände das Ende ihrer Ungebundenheit; Leute dieses Schlages sitzen nicht nur in den Pfarreien, die unzufriednen Elemente, die vom Kampfe lebenden Fechter haben auch Eingang in den Kapiteln gefunden, wie schon die Thatsache beweist, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/404>, abgerufen am 17.09.2024.