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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Friede mit Rom.

deinen Grundsätzen der Duldung keinen Gewissenszwang zu bereiten und ihnen
alles zu gewähren, was sie zur Befriedigung ihrer kirchlichen Bedürfnisse nötig
erachten. Dieses Ziel darf man nach dem Gesetze vom 29. April d. I. als
erreicht betrachten. Maßgebend ist dabei vor allem die Anschauung des
Papstes; er allein hat über diesen Punkt zu entscheiden, und in seinem Breve
an den Erzbischof von Köln hat er es ausdrücklich ausgesprochen, daß die
Katholiken unter dem neuen Gesetze ihre religiösen, auf das Heil ihrer Seelen
gerichteten Ansprüche verwirklichen können. Diese Anschauung findet sich wieder
bei den friedliebenden Vertretern des Episkopats und bei den gleichgesinnten
politischen Repräsentanten der katholischen Laienwelt. Für einen Staat mit
gemischt konfessioneller Bevölkerung ist die Erreichung dieses Zieles wertvoll,
denn in der modernen Gesellschaft sind die vorhandenen Streitpunkte so zahl¬
reich, daß die Beilegung auch nur eines einzigen und wichtigen von Bedeutung
ist. Die veränderten Besitz- und Erwerbsverhältnisse haben die Gesellschaft des
neunzehnten Jahrhunderts mehr als je zerklüftet, der Kampf um den Besitz
und um die soziale wie die politische Macht ist heftig entbrannt, und nur die
Staatsordnung allein vermag diesen Kampf aller gegen alle zu beschwichtigen.
Eine mächtige Partei, die ihre Ziele in der Zerstörung des Bestehenden anstrebt,
setzt alle Hebel in Bewegung, um die Grundlagen dieser Staatsordnung zu
bekämpfen und zu zerstören. Die Sozialdemokratie und ihr anarchistischer Aus¬
wuchs sind keine Phantasiegebilde; sich gegen diese zu wehren, ist die Aufgabe aller
staatserhaltenden Elemente, und der Staat ist bei diesem Kampfe nicht in der
Lage, auf die Hilfe seiner katholischen Bürger zu verzichten. In Deutschland
und Preußen ist dieses innere Friedensbedürfnis umso größer, als das neue
deutsche Reich noch Jahre lang darauf wird gefaßt sein müssen, gegen innere und
äußere Feinde auf dem Kampfplatze zu stehen. Der Partikularistische Hang des
deutschen Volkes ist noch nicht ganz zurückgedrängt; wie tiefe Wurzeln auch
der nationale Einheitsgedanke nach seiner ohne gleichen erfolgten Verwirklichung
geschlagen hat, es fehlt nicht an inneren Widersachern, die ihm widerstreben.
In dem alten Preußen fügen sich die polnischen Elemente nur ungern in das
Staatsganze ein, eine lange Periode deutscher Gutmütigkeit hat es zugelassen,
daß dieser Pfahl sich immer weiter in dem preußischen Fleische breit machen
konnte, und erst der furchtlose und unerschrockene Patriotismus des Reichs¬
kanzlers vermochte die sorglose Nation aufzurütteln und sie in den bedrohten
Ostprovinzcn zur Wiedergewinnung und Erhaltung des deutschen Geistes an¬
zuspornen. In den neueren Provinzen finden sich noch zahlreiche Anhänger der
verlorenen Selbständigkeit, und einzelne von ihnen, wie Dänen, Welsen und
Elsaß-Lothringer, scheuen selbst davor nicht zurück, aus einem unglücklichen
Kriege des gesamten Vaterlandes und aus seiner Zerstückelung die Erreichung
ihrer landesverräterischen Pläne zu erhoffen. Auch nach außen hin ist den
ruhmreichen, mit schweren Opfern erkauften Kriegen und Siegen nur ein be-


Der Friede mit Rom.

deinen Grundsätzen der Duldung keinen Gewissenszwang zu bereiten und ihnen
alles zu gewähren, was sie zur Befriedigung ihrer kirchlichen Bedürfnisse nötig
erachten. Dieses Ziel darf man nach dem Gesetze vom 29. April d. I. als
erreicht betrachten. Maßgebend ist dabei vor allem die Anschauung des
Papstes; er allein hat über diesen Punkt zu entscheiden, und in seinem Breve
an den Erzbischof von Köln hat er es ausdrücklich ausgesprochen, daß die
Katholiken unter dem neuen Gesetze ihre religiösen, auf das Heil ihrer Seelen
gerichteten Ansprüche verwirklichen können. Diese Anschauung findet sich wieder
bei den friedliebenden Vertretern des Episkopats und bei den gleichgesinnten
politischen Repräsentanten der katholischen Laienwelt. Für einen Staat mit
gemischt konfessioneller Bevölkerung ist die Erreichung dieses Zieles wertvoll,
denn in der modernen Gesellschaft sind die vorhandenen Streitpunkte so zahl¬
reich, daß die Beilegung auch nur eines einzigen und wichtigen von Bedeutung
ist. Die veränderten Besitz- und Erwerbsverhältnisse haben die Gesellschaft des
neunzehnten Jahrhunderts mehr als je zerklüftet, der Kampf um den Besitz
und um die soziale wie die politische Macht ist heftig entbrannt, und nur die
Staatsordnung allein vermag diesen Kampf aller gegen alle zu beschwichtigen.
Eine mächtige Partei, die ihre Ziele in der Zerstörung des Bestehenden anstrebt,
setzt alle Hebel in Bewegung, um die Grundlagen dieser Staatsordnung zu
bekämpfen und zu zerstören. Die Sozialdemokratie und ihr anarchistischer Aus¬
wuchs sind keine Phantasiegebilde; sich gegen diese zu wehren, ist die Aufgabe aller
staatserhaltenden Elemente, und der Staat ist bei diesem Kampfe nicht in der
Lage, auf die Hilfe seiner katholischen Bürger zu verzichten. In Deutschland
und Preußen ist dieses innere Friedensbedürfnis umso größer, als das neue
deutsche Reich noch Jahre lang darauf wird gefaßt sein müssen, gegen innere und
äußere Feinde auf dem Kampfplatze zu stehen. Der Partikularistische Hang des
deutschen Volkes ist noch nicht ganz zurückgedrängt; wie tiefe Wurzeln auch
der nationale Einheitsgedanke nach seiner ohne gleichen erfolgten Verwirklichung
geschlagen hat, es fehlt nicht an inneren Widersachern, die ihm widerstreben.
In dem alten Preußen fügen sich die polnischen Elemente nur ungern in das
Staatsganze ein, eine lange Periode deutscher Gutmütigkeit hat es zugelassen,
daß dieser Pfahl sich immer weiter in dem preußischen Fleische breit machen
konnte, und erst der furchtlose und unerschrockene Patriotismus des Reichs¬
kanzlers vermochte die sorglose Nation aufzurütteln und sie in den bedrohten
Ostprovinzcn zur Wiedergewinnung und Erhaltung des deutschen Geistes an¬
zuspornen. In den neueren Provinzen finden sich noch zahlreiche Anhänger der
verlorenen Selbständigkeit, und einzelne von ihnen, wie Dänen, Welsen und
Elsaß-Lothringer, scheuen selbst davor nicht zurück, aus einem unglücklichen
Kriege des gesamten Vaterlandes und aus seiner Zerstückelung die Erreichung
ihrer landesverräterischen Pläne zu erhoffen. Auch nach außen hin ist den
ruhmreichen, mit schweren Opfern erkauften Kriegen und Siegen nur ein be-


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[0402] Der Friede mit Rom. deinen Grundsätzen der Duldung keinen Gewissenszwang zu bereiten und ihnen alles zu gewähren, was sie zur Befriedigung ihrer kirchlichen Bedürfnisse nötig erachten. Dieses Ziel darf man nach dem Gesetze vom 29. April d. I. als erreicht betrachten. Maßgebend ist dabei vor allem die Anschauung des Papstes; er allein hat über diesen Punkt zu entscheiden, und in seinem Breve an den Erzbischof von Köln hat er es ausdrücklich ausgesprochen, daß die Katholiken unter dem neuen Gesetze ihre religiösen, auf das Heil ihrer Seelen gerichteten Ansprüche verwirklichen können. Diese Anschauung findet sich wieder bei den friedliebenden Vertretern des Episkopats und bei den gleichgesinnten politischen Repräsentanten der katholischen Laienwelt. Für einen Staat mit gemischt konfessioneller Bevölkerung ist die Erreichung dieses Zieles wertvoll, denn in der modernen Gesellschaft sind die vorhandenen Streitpunkte so zahl¬ reich, daß die Beilegung auch nur eines einzigen und wichtigen von Bedeutung ist. Die veränderten Besitz- und Erwerbsverhältnisse haben die Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts mehr als je zerklüftet, der Kampf um den Besitz und um die soziale wie die politische Macht ist heftig entbrannt, und nur die Staatsordnung allein vermag diesen Kampf aller gegen alle zu beschwichtigen. Eine mächtige Partei, die ihre Ziele in der Zerstörung des Bestehenden anstrebt, setzt alle Hebel in Bewegung, um die Grundlagen dieser Staatsordnung zu bekämpfen und zu zerstören. Die Sozialdemokratie und ihr anarchistischer Aus¬ wuchs sind keine Phantasiegebilde; sich gegen diese zu wehren, ist die Aufgabe aller staatserhaltenden Elemente, und der Staat ist bei diesem Kampfe nicht in der Lage, auf die Hilfe seiner katholischen Bürger zu verzichten. In Deutschland und Preußen ist dieses innere Friedensbedürfnis umso größer, als das neue deutsche Reich noch Jahre lang darauf wird gefaßt sein müssen, gegen innere und äußere Feinde auf dem Kampfplatze zu stehen. Der Partikularistische Hang des deutschen Volkes ist noch nicht ganz zurückgedrängt; wie tiefe Wurzeln auch der nationale Einheitsgedanke nach seiner ohne gleichen erfolgten Verwirklichung geschlagen hat, es fehlt nicht an inneren Widersachern, die ihm widerstreben. In dem alten Preußen fügen sich die polnischen Elemente nur ungern in das Staatsganze ein, eine lange Periode deutscher Gutmütigkeit hat es zugelassen, daß dieser Pfahl sich immer weiter in dem preußischen Fleische breit machen konnte, und erst der furchtlose und unerschrockene Patriotismus des Reichs¬ kanzlers vermochte die sorglose Nation aufzurütteln und sie in den bedrohten Ostprovinzcn zur Wiedergewinnung und Erhaltung des deutschen Geistes an¬ zuspornen. In den neueren Provinzen finden sich noch zahlreiche Anhänger der verlorenen Selbständigkeit, und einzelne von ihnen, wie Dänen, Welsen und Elsaß-Lothringer, scheuen selbst davor nicht zurück, aus einem unglücklichen Kriege des gesamten Vaterlandes und aus seiner Zerstückelung die Erreichung ihrer landesverräterischen Pläne zu erhoffen. Auch nach außen hin ist den ruhmreichen, mit schweren Opfern erkauften Kriegen und Siegen nur ein be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/402>, abgerufen am 17.09.2024.