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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

vielmehr einfach und schmucklos sich darstellt, sondern der verhältnismäßig
schmalen Millionaja, denn ihr wendet sich die großartige Vorhalle zu, welche
zehn kolossale Giganten aus grauem Granit auf ihrem Nacken tragen, an
ägyptische Werke derart erinnernd, und nach dieser Seite hin liegt das wunder¬
volle Treppenhaus, getragen von grauen und braunen Granitsäulen. Über
die Kunstsammlungen der Eremitage zu reden ist hier nicht der Ort; genug,
daß sie in sich das Beste und Kostbarste vereinigt, was Rußland in dieser Art
seit Peter dem Großen besitzt, eine auserlesene Gemäldegalerie insbesondre
italienischer, spanischer, niederländischer und russischer Bilder, nnter denen aller¬
dings begreiflicherweise der modernste Vertreter des ächt russischen Realismus,
Wereschtschagin, noch keinen Platz sich erobert hat, die in ihrer Art einzigen,
ttberschwänglich reichen griechischen Altertümer von Kertsch, zahllose Werke der
griechischen Kleinkunst in fast unbegreiflicher Fülle, eine kostbare Samm¬
lung reizender Tanagrafiguren (Saburvw), eine bedeutende Galerie plastischer
Werke, endlich die merkwürdige Ausbeute, welche der Grabhügel eines Alanen¬
oder Hunnenfürsten aus dem sechsten Jahrhundert ergeben hat. Das alles
wird noch gehoben durch eine wahrhaft kaiserliche Pracht der Ausstattung:
Tische aus verschiedenfarbigem Granit und Marmor, aus Jaspis, Malachit
und Lapislazuli, riesige Vasen aus denselben Gesteinen zieren die Süle. Leider
ist der Zutritt zu diesen Herrlichkeiten im Sommer ein sehr beschränkter und
eine ebenso lästige wie überflüssige Zugabe für den Besucher der Aufwärter,
der jeden geleitet und ihm die gewünschten Aufklärungen, übrigens in durchaus
bescheidner Weise, aber nur in russischer Sprache giebt.

Die Millionaja mit ihren Adelspalüsten -- unter ihnen das Marmor¬
palais, das Katharina II. für den Fürsten Orlow ganz in Granit, Marmor,
Bronze und Eisen ausführen ließ -- leitet östlich nach dem weiten Marsfelde,
dem Schauplatze der glänzenden Maiparaden, und über dasselbe hinweg nach
dem Sommergarten, den Peter angelegt hat, wie denn auch uoch sein einfaches,
gelbweiß getünchtes Svmmcrpalais hier an ihn erinnert. Schön u"d schattig,
vortrefflich gepflegt, wie alle öffentlichen Anlagen Petersburgs, belebt von
einem Volke etwas verwitterter mythologischer Marmorgestalten und einigen
Allsten polnischer Könige -- unter ihnen auch der Krauskopf Johann Sobieskis
auf starkem Nacken --, die alle meist ans Warschau hierher verpflanzt sind,
würde er kaum in irgend einem Zuge daran erinnern, daß er am Ufer der
Newa grüne, wenn nicht etwa in seiner Mitte das Bronzedenkmal des Fabel¬
dichters Krylvw (geht. 1844) sich erhöbe, des Lieblings der russischen Kinder¬
welt. Wie in tiefes Sinnen verloren, sitzt die massive Gestalt des russischen
Gellert vorgebeugt auf einem Sessel; zu seinen Füßen spielen die Gestalten
seiner Phantasie in Reliefs verkörpert und tnmnielt sich die lebendige Kinder¬
welt Se. Petersburgs. In grellem Gegensatze zu diesem harmlos heitern Bilde
steht die byzantinische Kapelle am Ausgange des Gartens nach der Newa hin,


Russische Skizzen.

vielmehr einfach und schmucklos sich darstellt, sondern der verhältnismäßig
schmalen Millionaja, denn ihr wendet sich die großartige Vorhalle zu, welche
zehn kolossale Giganten aus grauem Granit auf ihrem Nacken tragen, an
ägyptische Werke derart erinnernd, und nach dieser Seite hin liegt das wunder¬
volle Treppenhaus, getragen von grauen und braunen Granitsäulen. Über
die Kunstsammlungen der Eremitage zu reden ist hier nicht der Ort; genug,
daß sie in sich das Beste und Kostbarste vereinigt, was Rußland in dieser Art
seit Peter dem Großen besitzt, eine auserlesene Gemäldegalerie insbesondre
italienischer, spanischer, niederländischer und russischer Bilder, nnter denen aller¬
dings begreiflicherweise der modernste Vertreter des ächt russischen Realismus,
Wereschtschagin, noch keinen Platz sich erobert hat, die in ihrer Art einzigen,
ttberschwänglich reichen griechischen Altertümer von Kertsch, zahllose Werke der
griechischen Kleinkunst in fast unbegreiflicher Fülle, eine kostbare Samm¬
lung reizender Tanagrafiguren (Saburvw), eine bedeutende Galerie plastischer
Werke, endlich die merkwürdige Ausbeute, welche der Grabhügel eines Alanen¬
oder Hunnenfürsten aus dem sechsten Jahrhundert ergeben hat. Das alles
wird noch gehoben durch eine wahrhaft kaiserliche Pracht der Ausstattung:
Tische aus verschiedenfarbigem Granit und Marmor, aus Jaspis, Malachit
und Lapislazuli, riesige Vasen aus denselben Gesteinen zieren die Süle. Leider
ist der Zutritt zu diesen Herrlichkeiten im Sommer ein sehr beschränkter und
eine ebenso lästige wie überflüssige Zugabe für den Besucher der Aufwärter,
der jeden geleitet und ihm die gewünschten Aufklärungen, übrigens in durchaus
bescheidner Weise, aber nur in russischer Sprache giebt.

Die Millionaja mit ihren Adelspalüsten — unter ihnen das Marmor¬
palais, das Katharina II. für den Fürsten Orlow ganz in Granit, Marmor,
Bronze und Eisen ausführen ließ — leitet östlich nach dem weiten Marsfelde,
dem Schauplatze der glänzenden Maiparaden, und über dasselbe hinweg nach
dem Sommergarten, den Peter angelegt hat, wie denn auch uoch sein einfaches,
gelbweiß getünchtes Svmmcrpalais hier an ihn erinnert. Schön u»d schattig,
vortrefflich gepflegt, wie alle öffentlichen Anlagen Petersburgs, belebt von
einem Volke etwas verwitterter mythologischer Marmorgestalten und einigen
Allsten polnischer Könige — unter ihnen auch der Krauskopf Johann Sobieskis
auf starkem Nacken —, die alle meist ans Warschau hierher verpflanzt sind,
würde er kaum in irgend einem Zuge daran erinnern, daß er am Ufer der
Newa grüne, wenn nicht etwa in seiner Mitte das Bronzedenkmal des Fabel¬
dichters Krylvw (geht. 1844) sich erhöbe, des Lieblings der russischen Kinder¬
welt. Wie in tiefes Sinnen verloren, sitzt die massive Gestalt des russischen
Gellert vorgebeugt auf einem Sessel; zu seinen Füßen spielen die Gestalten
seiner Phantasie in Reliefs verkörpert und tnmnielt sich die lebendige Kinder¬
welt Se. Petersburgs. In grellem Gegensatze zu diesem harmlos heitern Bilde
steht die byzantinische Kapelle am Ausgange des Gartens nach der Newa hin,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/390>, abgerufen am 17.09.2024.