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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zukunftspoeten.

fühlt, gerade von ihr aus, wie von einem deutlich springenden Punkt geleitet,
das Wesen dieser gesamten Richtung zu verfolgen.

Einschneidend, grell, lebensbestimmend wie ein Schicksal tritt sie sofort in
das erste Stück ein, in welchem Ibsen er selber, man kann leider nicht sagen
poetisch er selber ward. Es ist, als ob eine regelmäßig wiederkehrende Epidemie
den ihr an dieser Stelle fülligen Tribut forderte. Und so war es auch. Das
"junge Deutschland," bei uns schon erstorben, ging damals um in den skan¬
dinavischen Ländern. Es traf hier auf einen ihm längst geweihten, und dieser
Geweihte verfiel ihm ganz. Ibsen ist der nordische Vertreter des "jungen
Deutschlands." Adolf Strodtmann, Brandes u. a. schlagen die Brücke zu ihm
"ber Schleswig, Dänemark nach Norwegen. Soviel wir wissen, hat auch
"odtmann zuerst in Deutschland auf ihn aufmerksam gemacht in seinem Buche
."Das geistige Leben in Dänemark" und der "Zeitströmungs"-Literarhistorie
^^'une von G. Brandes verdankt Deutschland ja auch seine gegenwärtige
"Berühmtheit." Das "junge Deutschland" zu charakterisiren kann man sich
->eutz"tage und vornehmlich an dieser Stelle ersparen, wo diese Charakteristik
Zuerst versucht und dem Publikum vertraut wurde. Für die Schilderung des
nunmehr auch schon greisen skandinavischen Epigonen ist dies ein Vorteil. Sie
sendet die Hauptlinien der Figur bereits in Aller Kenntnis und kann sich darauf
^ .^"nten, Bildungen und Verbildungen nachzutragen, welche die leise, doch
> ig ändernde Zeit selbst an dem ausgeprägtesten Typus vornimmt. Auf die
^ Weinung des "freien Weibes" innerhalb des Rahmens des jungen Deutsch-
^ u braucht mau nur hinzuweisen. Es erweckt mannichfache Vorstellungs¬
rechen, die hinauf bis zu Rousseaus Julie und hinab bis auf unsre Opern¬
abende reichen, wo umtost von der "zehrenden" Chromatik und den "sehrenden"
^vrhaltsharmvnieu eines tausendstimmiger Orchesters das "erlösende Weib"
^uchard Wagners den "unbewußt höchste Lust" spendenden Liebestod stirbt.
Seine Ahne und sein eigentliches Musterbild ist nun freilich Schlegels Lucinde.
^iber man würde doch sehr vorschnell urteilen, wenn man damit sein eigentliches
Wesen erschöpft glaubte. Dies liegt vielmehr in Kreisen, mit denen Schlegels
^meinte, d. h. die Sinnlichkeit, wenig zu thun hat. Diese ist vielmehr nur eine
Stufe, eine für die Menge, für die Schulen, wie das junge Deutschland eine
war allerdings sehr verlockende Stufe auf dem langen Wege, auf welchem das
^few den "freien Mann" bei seinem geistigen Himmelssturme begleitet. Die
Führer aber, die jeweilig treibenden Kräfte in diesen Himmelszngen haben sich
ihre Gefährtin stets nicht Engel genug denken können. Nur schade, daß ihr
!^ ^"^ ^° unhimmlische Welt überhaupt, am Engel viel weniger
Geschmack zu finden pflegt, als am gefallenen Engel. Und so mag es kommen,
daß Heines Grisetten doch schließlich immer wieder aus den zwiespältig blickenden
Augen dieser "starken, freien und erlösenden" Weiber hervorlugen, welche ihren
Mann-Gott bei seinen verschiednen Weltbeseligungsgeschäften zu stärken und zu


Zukunftspoeten.

fühlt, gerade von ihr aus, wie von einem deutlich springenden Punkt geleitet,
das Wesen dieser gesamten Richtung zu verfolgen.

Einschneidend, grell, lebensbestimmend wie ein Schicksal tritt sie sofort in
das erste Stück ein, in welchem Ibsen er selber, man kann leider nicht sagen
poetisch er selber ward. Es ist, als ob eine regelmäßig wiederkehrende Epidemie
den ihr an dieser Stelle fülligen Tribut forderte. Und so war es auch. Das
«junge Deutschland," bei uns schon erstorben, ging damals um in den skan¬
dinavischen Ländern. Es traf hier auf einen ihm längst geweihten, und dieser
Geweihte verfiel ihm ganz. Ibsen ist der nordische Vertreter des „jungen
Deutschlands." Adolf Strodtmann, Brandes u. a. schlagen die Brücke zu ihm
"ber Schleswig, Dänemark nach Norwegen. Soviel wir wissen, hat auch
«odtmann zuerst in Deutschland auf ihn aufmerksam gemacht in seinem Buche
."Das geistige Leben in Dänemark" und der „Zeitströmungs"-Literarhistorie
^^'une von G. Brandes verdankt Deutschland ja auch seine gegenwärtige
"Berühmtheit." Das „junge Deutschland" zu charakterisiren kann man sich
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Zuerst versucht und dem Publikum vertraut wurde. Für die Schilderung des
nunmehr auch schon greisen skandinavischen Epigonen ist dies ein Vorteil. Sie
sendet die Hauptlinien der Figur bereits in Aller Kenntnis und kann sich darauf
^ .^"nten, Bildungen und Verbildungen nachzutragen, welche die leise, doch
> ig ändernde Zeit selbst an dem ausgeprägtesten Typus vornimmt. Auf die
^ Weinung des „freien Weibes" innerhalb des Rahmens des jungen Deutsch-
^ u braucht mau nur hinzuweisen. Es erweckt mannichfache Vorstellungs¬
rechen, die hinauf bis zu Rousseaus Julie und hinab bis auf unsre Opern¬
abende reichen, wo umtost von der „zehrenden" Chromatik und den „sehrenden"
^vrhaltsharmvnieu eines tausendstimmiger Orchesters das „erlösende Weib"
^uchard Wagners den „unbewußt höchste Lust" spendenden Liebestod stirbt.
Seine Ahne und sein eigentliches Musterbild ist nun freilich Schlegels Lucinde.
^iber man würde doch sehr vorschnell urteilen, wenn man damit sein eigentliches
Wesen erschöpft glaubte. Dies liegt vielmehr in Kreisen, mit denen Schlegels
^meinte, d. h. die Sinnlichkeit, wenig zu thun hat. Diese ist vielmehr nur eine
Stufe, eine für die Menge, für die Schulen, wie das junge Deutschland eine
war allerdings sehr verlockende Stufe auf dem langen Wege, auf welchem das
^few den „freien Mann" bei seinem geistigen Himmelssturme begleitet. Die
Führer aber, die jeweilig treibenden Kräfte in diesen Himmelszngen haben sich
ihre Gefährtin stets nicht Engel genug denken können. Nur schade, daß ihr
!^ ^"^ ^° unhimmlische Welt überhaupt, am Engel viel weniger
Geschmack zu finden pflegt, als am gefallenen Engel. Und so mag es kommen,
daß Heines Grisetten doch schließlich immer wieder aus den zwiespältig blickenden
Augen dieser „starken, freien und erlösenden" Weiber hervorlugen, welche ihren
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[0387] Zukunftspoeten. fühlt, gerade von ihr aus, wie von einem deutlich springenden Punkt geleitet, das Wesen dieser gesamten Richtung zu verfolgen. Einschneidend, grell, lebensbestimmend wie ein Schicksal tritt sie sofort in das erste Stück ein, in welchem Ibsen er selber, man kann leider nicht sagen poetisch er selber ward. Es ist, als ob eine regelmäßig wiederkehrende Epidemie den ihr an dieser Stelle fülligen Tribut forderte. Und so war es auch. Das «junge Deutschland," bei uns schon erstorben, ging damals um in den skan¬ dinavischen Ländern. Es traf hier auf einen ihm längst geweihten, und dieser Geweihte verfiel ihm ganz. Ibsen ist der nordische Vertreter des „jungen Deutschlands." Adolf Strodtmann, Brandes u. a. schlagen die Brücke zu ihm "ber Schleswig, Dänemark nach Norwegen. Soviel wir wissen, hat auch «odtmann zuerst in Deutschland auf ihn aufmerksam gemacht in seinem Buche ."Das geistige Leben in Dänemark" und der „Zeitströmungs"-Literarhistorie ^^'une von G. Brandes verdankt Deutschland ja auch seine gegenwärtige "Berühmtheit." Das „junge Deutschland" zu charakterisiren kann man sich ->eutz»tage und vornehmlich an dieser Stelle ersparen, wo diese Charakteristik Zuerst versucht und dem Publikum vertraut wurde. Für die Schilderung des nunmehr auch schon greisen skandinavischen Epigonen ist dies ein Vorteil. Sie sendet die Hauptlinien der Figur bereits in Aller Kenntnis und kann sich darauf ^ .^"nten, Bildungen und Verbildungen nachzutragen, welche die leise, doch > ig ändernde Zeit selbst an dem ausgeprägtesten Typus vornimmt. Auf die ^ Weinung des „freien Weibes" innerhalb des Rahmens des jungen Deutsch- ^ u braucht mau nur hinzuweisen. Es erweckt mannichfache Vorstellungs¬ rechen, die hinauf bis zu Rousseaus Julie und hinab bis auf unsre Opern¬ abende reichen, wo umtost von der „zehrenden" Chromatik und den „sehrenden" ^vrhaltsharmvnieu eines tausendstimmiger Orchesters das „erlösende Weib" ^uchard Wagners den „unbewußt höchste Lust" spendenden Liebestod stirbt. Seine Ahne und sein eigentliches Musterbild ist nun freilich Schlegels Lucinde. ^iber man würde doch sehr vorschnell urteilen, wenn man damit sein eigentliches Wesen erschöpft glaubte. Dies liegt vielmehr in Kreisen, mit denen Schlegels ^meinte, d. h. die Sinnlichkeit, wenig zu thun hat. Diese ist vielmehr nur eine Stufe, eine für die Menge, für die Schulen, wie das junge Deutschland eine war allerdings sehr verlockende Stufe auf dem langen Wege, auf welchem das ^few den „freien Mann" bei seinem geistigen Himmelssturme begleitet. Die Führer aber, die jeweilig treibenden Kräfte in diesen Himmelszngen haben sich ihre Gefährtin stets nicht Engel genug denken können. Nur schade, daß ihr !^ ^"^ ^° unhimmlische Welt überhaupt, am Engel viel weniger Geschmack zu finden pflegt, als am gefallenen Engel. Und so mag es kommen, daß Heines Grisetten doch schließlich immer wieder aus den zwiespältig blickenden Augen dieser „starken, freien und erlösenden" Weiber hervorlugen, welche ihren Mann-Gott bei seinen verschiednen Weltbeseligungsgeschäften zu stärken und zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/387>, abgerufen am 17.09.2024.