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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zukunftspoeten.

ganze Richtung. Nicht der Literarhistoriker, nicht der Antiquar, am drastischsten
wird der Theaterdirektor, der Bühnenagent darüber Auskunft geben können,
wieviel solch "catilinarische" Dramen einzulaufen Pflegen. Schon der damals
zwanzigjährige norwegische "Catilina" scheint darin Erfahrungen gemacht zu
haben. Wenigstens findet man ihn bald darauf als Dramaturgen eines ganz
nncatilinarischen kleinstädtischen Theaters, Jahr für Jahr sein faltiges zahmes,
solides Stück schreibend. Diese Stücke giebt es für uns nicht, der Poet und
seine Verehrer halten sie verborgen. Wer weiß, ob mit Recht. Aus jener Zeit
wenigstens scheint Idee und Ausführung des einzigen Jbsenschen Werkes herzu-
stammcn, dem es gelungen ist, seiner durchaus unpoetischen Natur eine poetische
Seite abzugewinnen, das Drama "Die Kronprätendenten." Denn man kann
"Phantasie" haben und sogar die vom Ehrgeiz gestachelte Energie, diese Phan¬
tasie willkürlich zu Hetzen und zu schrauben, und doch eine durchaus unpoetische
Natur sein, nämlich die absolute Unfähigkeit zeigen, von seinem Selbst zu ab-
strcchiren. Auch die "Subjektivste" Dichtung -- so lautet wenigstens der mangel¬
hafte Ausdruck für eine bekannte Sache -- muß ein "Außersichseiu" verraten,
sonst ist sie Rhetorik, Kopie, Fabrikat. Die "Kronprätendenten" scheinen in
Anlage und Charakteren ein Gefühl von diesem Grundmängel bei ihrem Dichter
anzudeuten, und gerade dies in Verbindung mit einer gegenwärtig sehr lebens¬
vollen, an sich poetischen Idee -- das Stück behandelt das Einheitswerk des
norwegischen Volkes, und wenn Poesie erhöhte Wirklichkeit ist, so wissen wir
nicht, wo ihr gegenwärtig die Wirklichkeit mehr entgegenkommen kann --
gerade diese dem Poeten feindlichen und fremden Umstände haben dem Stücke
mehr poetisches Leben verliehen, als man ihm nach seiner ganzen übrigen
"Poesie" zutrauen würde. Da ist ein Gegensatz zwischen zwei Rivalen, einem
sinnigen, großherzigen, von seiner Aufgabe ganz erfüllten Werkhelden und einem
ehrgeizigen, von kleinlichen Zielen und Ränken erfüllten Ichmenschen, der in
mancher Beziehung bezeichnend ist für seinen Schöpfer. Auch hier giebt es
Floskeln und Konstruktionen. Diese mittelalterlichen Recken unterhalten sich,
als ob sie ihre eigne Historie in Beckers Weltgeschichte gelesen Hütten. Aber
das haftet ja dem neuern historischen Drama überhaupt an. Schiller hat sich
mit schwerster Mühe und Schritt für Schritt davon losringen müssen. Genug,
wenn es nicht überwiegt. Viel mehr schon dem eigentlichen, dem ganzen Ibsen
angehörig erscheint das Liebesmotiv des Stückes. Der Held opfert Mutter
und Geliebte den Rücksichten seiner großen Aufgabe und vermählt sich mit der
Tochter seines neidischen Gegners. Er berücksichtigt und "Hut nicht, daß sie
ihn liebt. Das ist sinnig, das ist sogar schön, wie es dort zum Ausdruck
kommt, wie überhaupt alles Leben und Poesie annimmt, was in die Nähe dieser
einzigen un-Jbsenschen Figur gelangt. Aber diese Idee des weiblichen Opfers
an und für sich, diese Idee ist so merkwürdig für den "ganzen" Ibsen, so merk¬
würdig für die ganze literarische Reihe, zu der er gehört, daß man sich versucht


Zukunftspoeten.

ganze Richtung. Nicht der Literarhistoriker, nicht der Antiquar, am drastischsten
wird der Theaterdirektor, der Bühnenagent darüber Auskunft geben können,
wieviel solch „catilinarische" Dramen einzulaufen Pflegen. Schon der damals
zwanzigjährige norwegische „Catilina" scheint darin Erfahrungen gemacht zu
haben. Wenigstens findet man ihn bald darauf als Dramaturgen eines ganz
nncatilinarischen kleinstädtischen Theaters, Jahr für Jahr sein faltiges zahmes,
solides Stück schreibend. Diese Stücke giebt es für uns nicht, der Poet und
seine Verehrer halten sie verborgen. Wer weiß, ob mit Recht. Aus jener Zeit
wenigstens scheint Idee und Ausführung des einzigen Jbsenschen Werkes herzu-
stammcn, dem es gelungen ist, seiner durchaus unpoetischen Natur eine poetische
Seite abzugewinnen, das Drama „Die Kronprätendenten." Denn man kann
„Phantasie" haben und sogar die vom Ehrgeiz gestachelte Energie, diese Phan¬
tasie willkürlich zu Hetzen und zu schrauben, und doch eine durchaus unpoetische
Natur sein, nämlich die absolute Unfähigkeit zeigen, von seinem Selbst zu ab-
strcchiren. Auch die „Subjektivste" Dichtung — so lautet wenigstens der mangel¬
hafte Ausdruck für eine bekannte Sache — muß ein „Außersichseiu" verraten,
sonst ist sie Rhetorik, Kopie, Fabrikat. Die „Kronprätendenten" scheinen in
Anlage und Charakteren ein Gefühl von diesem Grundmängel bei ihrem Dichter
anzudeuten, und gerade dies in Verbindung mit einer gegenwärtig sehr lebens¬
vollen, an sich poetischen Idee — das Stück behandelt das Einheitswerk des
norwegischen Volkes, und wenn Poesie erhöhte Wirklichkeit ist, so wissen wir
nicht, wo ihr gegenwärtig die Wirklichkeit mehr entgegenkommen kann —
gerade diese dem Poeten feindlichen und fremden Umstände haben dem Stücke
mehr poetisches Leben verliehen, als man ihm nach seiner ganzen übrigen
„Poesie" zutrauen würde. Da ist ein Gegensatz zwischen zwei Rivalen, einem
sinnigen, großherzigen, von seiner Aufgabe ganz erfüllten Werkhelden und einem
ehrgeizigen, von kleinlichen Zielen und Ränken erfüllten Ichmenschen, der in
mancher Beziehung bezeichnend ist für seinen Schöpfer. Auch hier giebt es
Floskeln und Konstruktionen. Diese mittelalterlichen Recken unterhalten sich,
als ob sie ihre eigne Historie in Beckers Weltgeschichte gelesen Hütten. Aber
das haftet ja dem neuern historischen Drama überhaupt an. Schiller hat sich
mit schwerster Mühe und Schritt für Schritt davon losringen müssen. Genug,
wenn es nicht überwiegt. Viel mehr schon dem eigentlichen, dem ganzen Ibsen
angehörig erscheint das Liebesmotiv des Stückes. Der Held opfert Mutter
und Geliebte den Rücksichten seiner großen Aufgabe und vermählt sich mit der
Tochter seines neidischen Gegners. Er berücksichtigt und «Hut nicht, daß sie
ihn liebt. Das ist sinnig, das ist sogar schön, wie es dort zum Ausdruck
kommt, wie überhaupt alles Leben und Poesie annimmt, was in die Nähe dieser
einzigen un-Jbsenschen Figur gelangt. Aber diese Idee des weiblichen Opfers
an und für sich, diese Idee ist so merkwürdig für den „ganzen" Ibsen, so merk¬
würdig für die ganze literarische Reihe, zu der er gehört, daß man sich versucht


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[0386] Zukunftspoeten. ganze Richtung. Nicht der Literarhistoriker, nicht der Antiquar, am drastischsten wird der Theaterdirektor, der Bühnenagent darüber Auskunft geben können, wieviel solch „catilinarische" Dramen einzulaufen Pflegen. Schon der damals zwanzigjährige norwegische „Catilina" scheint darin Erfahrungen gemacht zu haben. Wenigstens findet man ihn bald darauf als Dramaturgen eines ganz nncatilinarischen kleinstädtischen Theaters, Jahr für Jahr sein faltiges zahmes, solides Stück schreibend. Diese Stücke giebt es für uns nicht, der Poet und seine Verehrer halten sie verborgen. Wer weiß, ob mit Recht. Aus jener Zeit wenigstens scheint Idee und Ausführung des einzigen Jbsenschen Werkes herzu- stammcn, dem es gelungen ist, seiner durchaus unpoetischen Natur eine poetische Seite abzugewinnen, das Drama „Die Kronprätendenten." Denn man kann „Phantasie" haben und sogar die vom Ehrgeiz gestachelte Energie, diese Phan¬ tasie willkürlich zu Hetzen und zu schrauben, und doch eine durchaus unpoetische Natur sein, nämlich die absolute Unfähigkeit zeigen, von seinem Selbst zu ab- strcchiren. Auch die „Subjektivste" Dichtung — so lautet wenigstens der mangel¬ hafte Ausdruck für eine bekannte Sache — muß ein „Außersichseiu" verraten, sonst ist sie Rhetorik, Kopie, Fabrikat. Die „Kronprätendenten" scheinen in Anlage und Charakteren ein Gefühl von diesem Grundmängel bei ihrem Dichter anzudeuten, und gerade dies in Verbindung mit einer gegenwärtig sehr lebens¬ vollen, an sich poetischen Idee — das Stück behandelt das Einheitswerk des norwegischen Volkes, und wenn Poesie erhöhte Wirklichkeit ist, so wissen wir nicht, wo ihr gegenwärtig die Wirklichkeit mehr entgegenkommen kann — gerade diese dem Poeten feindlichen und fremden Umstände haben dem Stücke mehr poetisches Leben verliehen, als man ihm nach seiner ganzen übrigen „Poesie" zutrauen würde. Da ist ein Gegensatz zwischen zwei Rivalen, einem sinnigen, großherzigen, von seiner Aufgabe ganz erfüllten Werkhelden und einem ehrgeizigen, von kleinlichen Zielen und Ränken erfüllten Ichmenschen, der in mancher Beziehung bezeichnend ist für seinen Schöpfer. Auch hier giebt es Floskeln und Konstruktionen. Diese mittelalterlichen Recken unterhalten sich, als ob sie ihre eigne Historie in Beckers Weltgeschichte gelesen Hütten. Aber das haftet ja dem neuern historischen Drama überhaupt an. Schiller hat sich mit schwerster Mühe und Schritt für Schritt davon losringen müssen. Genug, wenn es nicht überwiegt. Viel mehr schon dem eigentlichen, dem ganzen Ibsen angehörig erscheint das Liebesmotiv des Stückes. Der Held opfert Mutter und Geliebte den Rücksichten seiner großen Aufgabe und vermählt sich mit der Tochter seines neidischen Gegners. Er berücksichtigt und «Hut nicht, daß sie ihn liebt. Das ist sinnig, das ist sogar schön, wie es dort zum Ausdruck kommt, wie überhaupt alles Leben und Poesie annimmt, was in die Nähe dieser einzigen un-Jbsenschen Figur gelangt. Aber diese Idee des weiblichen Opfers an und für sich, diese Idee ist so merkwürdig für den „ganzen" Ibsen, so merk¬ würdig für die ganze literarische Reihe, zu der er gehört, daß man sich versucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/386>, abgerufen am 17.09.2024.