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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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allem Blut und Jammer des Irdischen, sondern mit allem Schmutz und G^uel
des Teuflischen befleckten Fetzen dieser Idee, wie ihre blinden, un Selbsiinteresse
erstarrten, im Werbedienst verrohten Mietlingsscharen, die Parteien. wie endlich
gar ihre Marodeure, die Macher und Jndustrieritter. die Schwärmer und
Narren des Größenwahnes, wie dieser ganze bunte Hexensabbath der Revolution
sich in der Poesie ausnimmt - das wird dem überschauenden Historiker einmal
die Musterkarte dieser Literatur zu lesen geben. Und das erste, was ihm
zuversichtlich daraus erhellen muß, wird die Erkenntnis sein, wie geradezu ent¬
gegengesetzt den poetischen Aufgaben, wie verhängnisvoll für ihre Ausschaltung
die Ideen sind, welche diesen Erscheinungen zu Grunde liegen. Die Dichtung
gründet sich wie die Religion auf die Unlösbarkeit des Weltproblems, auf das
Variable, Schwankende, Unerschöpfliche seiner Erscheinungen, nicht zum geringsten
auf seinen Widerspruch, gerade insoweit er quälend, niederdrückend, verwirrend
ist, als er zur Auflösung in einem Freudigeren. Erhebenderen. Klareren auf¬
fordert. Jene eben beschriebene Kehrseite der ursprünglichen Revoluttonsidee
leugnet teils jene Unlösbarkeit, teils diese Forderung, teils beides zugleich oder
sie hat ihre Erfüllung fertig in ihrem Programm, als Thatsache, nicht alö
Dichtung. Was soll da noch die Poesie? Und was soll sie nun rat ^dem
wachen, die so unverhohlen ihr Dasein überflüssig erscheinen lassen? Was muß
ihr trauriges Amt sein bei der Ausgestaltung dieser Ideen? Einem schon an
und für sich trübseligen und unwürdigen Subalternendienst? Doch sicherlich nichts
andres als ein im weiteren ihrer Natur ebenso widersprechendes Übertreiben, Erd¬
stellen und Verzerren der Wirklichkeit immer im Sinne ihr wesentlich fremder,
nicht nur außerpvetischcr. sondern noch mehr unpoetischer Tendenzen. Oder
im besten Falle ein Widerspiegeln dieses trüben, unseligen Zustandes menjch-
lichen Daseins. Daher nun ihr Kokettiren mit der Wissenschaft, welche ihr
einen soliden, nützlichen Hintergrund bieten soll - denn nur insofern meint
sie die Gunst und den Dank ihres Zeitalters gewinnen zu können -. payer
ihr schadenfroher pessimistischer Naturalismus oder schließlich ihre ohnmächtige
Nichtseinsphilosophie. Und daß mir jakein wesentliches Moment des Urbl des
fehle, daß die Spiegelung nicht bloß vollständig, sondern auch scharf und deutlich
ausfalle, so schwebt auch über ihr (eine höchstnotwendige Friedenstaube über
einer sonst unerträglichen geistigen Sintflut) die unbestimmt schillernde -Vor¬
stellung von einer nicht zu fernen erfüllenden Zukunft: sei es nun der oben ge¬
kennzeichneten Ideale, welche die Poesie ausschließen wird, oder jener Poesie, welche
nach Erreichung jener Ideale überflüssig wird. Genug, es ist dieser Zukunft
offenbar sehr zuträglich, daß kein Mensch sie ergründen kann. Ob nun. im
ganzen genommen, diese Erscheinung nicht noch auf andre Ursachen als d.e
historische Notwendigkeit zurückzuführen ist, ob die Stärke, Dauer und Massen-
haftigkeit. in der sie auftritt, "icht noch in anderen als literarhistorischen,
nämlich in allgemein menschlichen Gesetzen begründet liegt, in dem mehr oder


allem Blut und Jammer des Irdischen, sondern mit allem Schmutz und G^uel
des Teuflischen befleckten Fetzen dieser Idee, wie ihre blinden, un Selbsiinteresse
erstarrten, im Werbedienst verrohten Mietlingsscharen, die Parteien. wie endlich
gar ihre Marodeure, die Macher und Jndustrieritter. die Schwärmer und
Narren des Größenwahnes, wie dieser ganze bunte Hexensabbath der Revolution
sich in der Poesie ausnimmt - das wird dem überschauenden Historiker einmal
die Musterkarte dieser Literatur zu lesen geben. Und das erste, was ihm
zuversichtlich daraus erhellen muß, wird die Erkenntnis sein, wie geradezu ent¬
gegengesetzt den poetischen Aufgaben, wie verhängnisvoll für ihre Ausschaltung
die Ideen sind, welche diesen Erscheinungen zu Grunde liegen. Die Dichtung
gründet sich wie die Religion auf die Unlösbarkeit des Weltproblems, auf das
Variable, Schwankende, Unerschöpfliche seiner Erscheinungen, nicht zum geringsten
auf seinen Widerspruch, gerade insoweit er quälend, niederdrückend, verwirrend
ist, als er zur Auflösung in einem Freudigeren. Erhebenderen. Klareren auf¬
fordert. Jene eben beschriebene Kehrseite der ursprünglichen Revoluttonsidee
leugnet teils jene Unlösbarkeit, teils diese Forderung, teils beides zugleich oder
sie hat ihre Erfüllung fertig in ihrem Programm, als Thatsache, nicht alö
Dichtung. Was soll da noch die Poesie? Und was soll sie nun rat ^dem
wachen, die so unverhohlen ihr Dasein überflüssig erscheinen lassen? Was muß
ihr trauriges Amt sein bei der Ausgestaltung dieser Ideen? Einem schon an
und für sich trübseligen und unwürdigen Subalternendienst? Doch sicherlich nichts
andres als ein im weiteren ihrer Natur ebenso widersprechendes Übertreiben, Erd¬
stellen und Verzerren der Wirklichkeit immer im Sinne ihr wesentlich fremder,
nicht nur außerpvetischcr. sondern noch mehr unpoetischer Tendenzen. Oder
im besten Falle ein Widerspiegeln dieses trüben, unseligen Zustandes menjch-
lichen Daseins. Daher nun ihr Kokettiren mit der Wissenschaft, welche ihr
einen soliden, nützlichen Hintergrund bieten soll - denn nur insofern meint
sie die Gunst und den Dank ihres Zeitalters gewinnen zu können -. payer
ihr schadenfroher pessimistischer Naturalismus oder schließlich ihre ohnmächtige
Nichtseinsphilosophie. Und daß mir jakein wesentliches Moment des Urbl des
fehle, daß die Spiegelung nicht bloß vollständig, sondern auch scharf und deutlich
ausfalle, so schwebt auch über ihr (eine höchstnotwendige Friedenstaube über
einer sonst unerträglichen geistigen Sintflut) die unbestimmt schillernde -Vor¬
stellung von einer nicht zu fernen erfüllenden Zukunft: sei es nun der oben ge¬
kennzeichneten Ideale, welche die Poesie ausschließen wird, oder jener Poesie, welche
nach Erreichung jener Ideale überflüssig wird. Genug, es ist dieser Zukunft
offenbar sehr zuträglich, daß kein Mensch sie ergründen kann. Ob nun. im
ganzen genommen, diese Erscheinung nicht noch auf andre Ursachen als d.e
historische Notwendigkeit zurückzuführen ist, ob die Stärke, Dauer und Massen-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/383>, abgerufen am 17.09.2024.